Tausende von Büchern in meinem Bücherschrank - aber manche lohnen sich, einfach noch einmal gelesen zu werden. Jeden Tag ein neuer Vorschlag für ungewöhnliche Lesestunden - Ein wildes Sammelsurium des geschriebenen Wortes.
Dieses mal ein SF-Roman von 1992 (englisches Original: 1992):
Neal Stephenson: Snow Crash (Original: Snow Crash)
Meine Wertung:
Manche Bücher liest man noch einmal in großem Abstand. Gerade bei Literatur, die sich unter Science Fiction einzuordnen pflegt und damit meist naturgemäß mit Zukunftsentwürfen und Entwicklungen zu tun hat, kann dies einen interessanten Einblick ergeben.
Natürlich ist Science Fiction keine Wissenschaft der Zukunftsprognose - Science Fiction der besseren Art spielt mit aktuellen Entwicklungen und führt diese als Gedankenexperiment weiter. Entweder eine einzige Idee (z.B. Klimaveränderungen, einzelne technische Erfindungen), was aber im Ergebnmis meistens sehr verzerrte Realitäten ergibt, oder aber eine Fortschreibung einer ganzen Linie von Veränderungen, was zu realistischeren Phantasiewelten führt.
In diesem Zukunftsplot läßt der Autor dann seine Hauptfiguren agieren.
Dabei kann der Roman gut sein, die Hauptpersonen glaubhaft in ihren Handlungen - und die Vorhersage trotzdem völlig daneben liegen.
Gute Science Fiction betrachte Menschen in fremden Umgebungen, um uns etwas über uns und unser Zusammenleben zu sagen. Technische Vorhersagen sind dabei eher ein Abfallprodukt.
Trotzdem ist es immer wieder verblüffend, wenn die Zukunft eines SF-Romans Entwicklungen sehr präzise beleuchten: Neuromancer als einer der Geburtsstunden des Cyberpunks hat sehr interessant die Welt der virtuellen Realität, der Hackerszene und die Macht der globalen Konzerne vorhergesagt, ohne tatsächlich ein realistisches Bild zu liefern. Nun, Mitte der 80er Jahre war auch das Internet in unserem heutigen Sinne ja noch nicht einmal geboren.
In diesem Sinn habe ich mir wieder Neil Stephensons "Snow Crash" hervorgekramt (genau genommen noch einmal im englischen Original erworben), einem Buch von 1992, das zu einem Zeitpunkt entstand, als PCs und Internet-Vernetzung am Horizont auftauchten, aber in der Realität noch meilenweit vom heimischen PC-Nutzer entfernt waren.
Snow Crash verwebt eine gleichermaßen tiefgründige, satirische und actionreiche Geschichte aus einem Amerika, in dem alles und jedes privatisiert wurde, auch eigentlich staatliche Aufgaben und Dienste (Polizei, Feuerwehr, Gesetzgebung). Jedermann kann kleine Gebiete als Franchise vom Staat mieten, und dort sein eigenes Staatswesen mit Gesetzen, Regierung, Polizei, Gerichtswesen oder auch Militär realisieren: Ein Flickenteppich, indem die Hauptdarsteller Hiro für die Mafia Pizzas ausliefert (und deren Garantie der 30-minütigen Lieferzeit mit dem Leben des Lieferanten verbunden ist) und Y.T., ein 15 jähriges Mädchen, das als Kurierfahrerin mit einem Hightech-Skateboard und allerlei Hightech-Spielzeug unterwegs ist.
Mittelpunkt der Handlung aber ist eine sehr philosophische Idee über den Ursprung der Sprache und der Wahrheit über den Turmbau zu Babel mit der anschließenden Sprachverwirrung der Menschen.
(Wer sich für den Hintergrund der Handlung interessiert, der sei an den zugehörigen
Wikipedia-Artikel verwiesen.)
Was den Roman so bemerkenswert macht, sind jedoch einige im Roman ausgebreitete Ideen, die 15 Jahre später eine derartig verblüffende Ähnlichkeit in der Realität gefunden haben:
Stephensons Idee eines Metaversums ähnelt in geradezu in obskurer Weise dem heutigen "Second Life" - mit all ihren Einschränkungen und Besonderheiten.
Dann ein Programm, das der Hauptperson erlaubt, auf dem Bildschirm an jeden Ort der Welt heranzuzoomen - die Startseite dazu ist eine sich drehende blaue Erdkugel. Goggle Earth läßt sehr lebhaft grüßen!
Und die Hauptidee des privatisierten Amerikas ist eine bemerkenswerte Vorraussicht gesellschaftlicher Entwicklung: Dem Verschwinden des metaphysischen Ursprungs des "Staates" und der "Gesellschaft" in den westlichen Demokratien, hin zu einer legalistischen Definition eines Gesellschaftsvertrages - in dem letztendlich jede Rechtsform vereinbar ist. Und wenn es die mordende Diktatur der Mafia ist. Schließlich ist ja niemand gezwungen, in diesen Gebietsflicken zu leben.
Der Roman breitet ein Füllhorn von kleinen und großen Ideen aus.
Wer ihn noch nie gelesen hat: Unbedingt kaufen / lesen.
Und wer ihn bereits im Bücherschrank stehen hat, sollte sich das Vergnügen der rückwärtsgerichteten Betrachtung der Zukunftsversion noch einmal gönnen.
Dieses mal ein SF-Roman von 1992 (englisches Original: 1992):
Neal Stephenson: Snow Crash (Original: Snow Crash)
Meine Wertung:
Manche Bücher liest man noch einmal in großem Abstand. Gerade bei Literatur, die sich unter Science Fiction einzuordnen pflegt und damit meist naturgemäß mit Zukunftsentwürfen und Entwicklungen zu tun hat, kann dies einen interessanten Einblick ergeben.
Natürlich ist Science Fiction keine Wissenschaft der Zukunftsprognose - Science Fiction der besseren Art spielt mit aktuellen Entwicklungen und führt diese als Gedankenexperiment weiter. Entweder eine einzige Idee (z.B. Klimaveränderungen, einzelne technische Erfindungen), was aber im Ergebnmis meistens sehr verzerrte Realitäten ergibt, oder aber eine Fortschreibung einer ganzen Linie von Veränderungen, was zu realistischeren Phantasiewelten führt.
In diesem Zukunftsplot läßt der Autor dann seine Hauptfiguren agieren.
Dabei kann der Roman gut sein, die Hauptpersonen glaubhaft in ihren Handlungen - und die Vorhersage trotzdem völlig daneben liegen.
Gute Science Fiction betrachte Menschen in fremden Umgebungen, um uns etwas über uns und unser Zusammenleben zu sagen. Technische Vorhersagen sind dabei eher ein Abfallprodukt.
Trotzdem ist es immer wieder verblüffend, wenn die Zukunft eines SF-Romans Entwicklungen sehr präzise beleuchten: Neuromancer als einer der Geburtsstunden des Cyberpunks hat sehr interessant die Welt der virtuellen Realität, der Hackerszene und die Macht der globalen Konzerne vorhergesagt, ohne tatsächlich ein realistisches Bild zu liefern. Nun, Mitte der 80er Jahre war auch das Internet in unserem heutigen Sinne ja noch nicht einmal geboren.
In diesem Sinn habe ich mir wieder Neil Stephensons "Snow Crash" hervorgekramt (genau genommen noch einmal im englischen Original erworben), einem Buch von 1992, das zu einem Zeitpunkt entstand, als PCs und Internet-Vernetzung am Horizont auftauchten, aber in der Realität noch meilenweit vom heimischen PC-Nutzer entfernt waren.
Snow Crash verwebt eine gleichermaßen tiefgründige, satirische und actionreiche Geschichte aus einem Amerika, in dem alles und jedes privatisiert wurde, auch eigentlich staatliche Aufgaben und Dienste (Polizei, Feuerwehr, Gesetzgebung). Jedermann kann kleine Gebiete als Franchise vom Staat mieten, und dort sein eigenes Staatswesen mit Gesetzen, Regierung, Polizei, Gerichtswesen oder auch Militär realisieren: Ein Flickenteppich, indem die Hauptdarsteller Hiro für die Mafia Pizzas ausliefert (und deren Garantie der 30-minütigen Lieferzeit mit dem Leben des Lieferanten verbunden ist) und Y.T., ein 15 jähriges Mädchen, das als Kurierfahrerin mit einem Hightech-Skateboard und allerlei Hightech-Spielzeug unterwegs ist.
Mittelpunkt der Handlung aber ist eine sehr philosophische Idee über den Ursprung der Sprache und der Wahrheit über den Turmbau zu Babel mit der anschließenden Sprachverwirrung der Menschen.
(Wer sich für den Hintergrund der Handlung interessiert, der sei an den zugehörigen
Wikipedia-Artikel verwiesen.)
Was den Roman so bemerkenswert macht, sind jedoch einige im Roman ausgebreitete Ideen, die 15 Jahre später eine derartig verblüffende Ähnlichkeit in der Realität gefunden haben:
Stephensons Idee eines Metaversums ähnelt in geradezu in obskurer Weise dem heutigen "Second Life" - mit all ihren Einschränkungen und Besonderheiten.
Dann ein Programm, das der Hauptperson erlaubt, auf dem Bildschirm an jeden Ort der Welt heranzuzoomen - die Startseite dazu ist eine sich drehende blaue Erdkugel. Goggle Earth läßt sehr lebhaft grüßen!
Und die Hauptidee des privatisierten Amerikas ist eine bemerkenswerte Vorraussicht gesellschaftlicher Entwicklung: Dem Verschwinden des metaphysischen Ursprungs des "Staates" und der "Gesellschaft" in den westlichen Demokratien, hin zu einer legalistischen Definition eines Gesellschaftsvertrages - in dem letztendlich jede Rechtsform vereinbar ist. Und wenn es die mordende Diktatur der Mafia ist. Schließlich ist ja niemand gezwungen, in diesen Gebietsflicken zu leben.
Der Roman breitet ein Füllhorn von kleinen und großen Ideen aus.
Wer ihn noch nie gelesen hat: Unbedingt kaufen / lesen.
Und wer ihn bereits im Bücherschrank stehen hat, sollte sich das Vergnügen der rückwärtsgerichteten Betrachtung der Zukunftsversion noch einmal gönnen.
Der Beitrag wurde am Mittwoch, 16. Februar 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic 100 Buecher abgelegt.
'100 Books ~ Tag 19: Neal Stephenson - Snow Crash'
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