Tausende von Büchern in meinem Bücherschrank - aber manche lohnen sich, einfach noch einmal gelesen zu werden. Jeden Tag ein neuer Vorschlag für ungewöhnliche Lesestunden - Ein wildes Sammelsurium des geschriebenen Wortes.
Dieses mal ein von 1995 (englisches Original: 1993):

Ein Feuer auf der Tiefe (Original: A Fire Upon the Deep)


Meine Wertung: Wertung: 5 von 5 Sternen

Mein Lieblings SF-Roman. Als bester SF-Roman 1993 weltweit ausgezeichnet, ist es dieses dicke Buch wert gelesen zuwerden.
Vernon Vinge ist inzwischen emeritierter Professor für Informatik (genauer: Mathematics and computer scientist), und natürlich haben seine wenigen Romane einen technischen Touch.
Aber es ist keine Hardware-SF, sondern Technik ist nur ein Mittel zum Zweck der Handlung und der Entwicklung der Hauptfiguren.
Ich spare mir hier zu tiefe Details der Handlung - es würde die Überraschungen des Handlungsganges verderben.

Aber ganz allgemein ist des Roman ein Musterbeispiel für gute SF. Zum einen das Basisuniversum, in dem die Handlung spielt. Die Idee der "Tiefen", der Abhängigkeit der Naturgesetze von ihrem Abstand vom Zentrum der Galaxis, erlaubt eine Handlung, die sowohl normalen Naturgesetzen wie bei uns gehorcht, gleichzeitig aber Überlichtgeschwindigkeit, intelligente Computersysteme (K.I.s) und Supertechnik bereit hält. Und das alles gleichzeitig, aber räumlich getrennt.
Dann verarbeitet der Autor verschiedene Ideen in seinem Roman, die bei sparsamer Verwendung jede für sich ein eigenständiges Buch hätten ergeben: Die Vorstellung von 4er oder 5er Gruppen von Wesen, die einen auf akustischer Kommunikation beruhenden Gemeinschaftsgeist beherbergen (eine Art Split-Brain) ist genial und auch hervorragend beschrieben (Schon die Verwendung des Wir und Ich in den inneren Monologen solcher Wesen ist so klasse wie überraschend).
Die Beschreibung der tödlichen Abhängigkeit von Zivilisationen und Lebewesen von ihrer Technik wird hier interessant ausgesponnen, die Idee des Befalls der Datennetze mit einer intelligenten "Perversion" (man würde heute Computervirus sagen), die eigenes Selbstbewußtsein besitzt und über die Netztechnik auch den menschlichen Geist befällt und versklavt, ist excellent und enthält interessante Implikationen (und das war lange vor dem ersten Computervirus nach heutigem Sinn gewesen!)
Die unumgängliche Vergänglichkeit ganzer Rassen wird zum Thema gemacht, bei denen Milliarden von Einzelwesen zu einer geistigen Einheit transzendieren und zu "Mächten" mutieren. Ein interessantes Gedankenkonstrukt.
Dazu die Transponierung des Usenet, der damals im universitären Bereich aufkommenden ersten Diskussionsforen (das war vor dem Internet im heutigen Sinne) in eine galaxisweite Form, in dem ganze Planetensysteme in Foren miteinander diskutieren. Hier erlaubt er sich den Kniff, die Möglichkeiten des Usenet und der Datennetze nicht in die technische Zukunft zu transportieren, sondern bei den Bandbreiten und den Formen der damaligen technischen Möglichkeiten zu bleiben.

Dazu eine Unmenge von Annahmen, die gar nicht groß diskutiert werden, sondern als Hintergrund der Handlung dienen, die aber dem Roman eine gedankliche Tiefe geben (so stammen die Menschen der Zukunft von einem Planetensystem, auf dem das Matriarchat herrschte - aber inzwischen herrscht natürlich Gleichberechtigung. Trotzdem sind die Helden und Ritter der Vergangenheit alles Frauen...), die man bei vielen Romanen vermißt, und die dann als "Eindimensionalität" bezeichnet werden.

Gute Charakterbeschreibungen und eine stringente Handlung runden das Ganze zu einem meiner Lieblingsromane ab.

Nobody is perfect: Die Übersetzung leidet an ein paar Stellen ein wenig an grammatikalischen Mehrdeutigkeiten im Englischen, bei denen sich der Übersetzer für eine Form oder Bedeutung im Deutschen entscheiden musste - bei denen es sich aber dann bei späteren Romanen und Novellen herausstellte, dass es die falsche war. Wer dem Englischen buchfest mächtig ist, sollte sich mal das Original vornehmen. Ist interessant, aber auch anstrengend: Man kämpft ständig hart mit der Frage, ob man ein bestimmtes Wort oder Formulierung nicht kennt, ob es ein fiktives Wort der Zukunft ist, oder ob es sich um eine Wortspiel handelt. Der Übersetzer war nicht zu beneiden, er hat seine Arbeit aber sehr ordentlich gemacht.

Bei aller clever durchkonstruierten Handlung hat ausgerechnet der Informatiker Vinge aber mit seiner gedanklichen Konstruktion der Rudelwesen, die ihre Gedankenvorgänge per Ultraschall zusammenschalten, das Bandbreitenproblem ignoriert. Biologische Datenverarbeitung ist im menschlichen Gehirn nur bis relativ niedrigen Datenmengenraten möglich - und die Bandbreite von Ultraschall ist sowieso begrenzt. Eine Serialisierung der parallelen Kommunikation von Milliarden von Gehirnzellen ist so sicherlich nicht möglich.
Aber die Idee war einfach zu schön, um nicht genutzt zu werden...
Der Beitrag wurde am Mittwoch, 23. Februar 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic 100 Buecher abgelegt.
'100 Books ~ Tag 26: Vernon Vinge - Ein Feuer auf der Tiefe'

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