Das Buffet
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 1/2012
Der Ablauf eines Festes, mag es die geschäftliche Weihnachtsfeier oder die Veranstaltung einer Institution oder Privatperson sein, war jahrhundertelang von klaren Regeln beherrscht:
Die Gäste kamen an einer großen Tafel zusammen, es wurden einige oberflächliche Ansprachen gehalten, und danach brachten niedere Bedienstete große Mengen von Tafelspeisen und diversen Leckereien an den Tisch. Die Gäste griffen herzhaft zu, tranken die alkoholischen Getränke leer, um im Anschluss gesättigt nach Hause zu torkeln. So weit, so gut.
Doch dann wurde das Buffet erfunden.
Gerade jetzt, zur Weihnachts- und Silvesterzeit, begegnet man dem Buffet-Fluch wieder vermehrt in freier Wildbahn. Eigentlich ja eine gute Idee: Eine große Zahl von unterschiedlichsten Speisen wartet darauf, von dem hungrigen Gast je nach persönlichem Geschmack gewählt und auf den Teller geladen zu werden. Leider gibt es aber auch noch andere Gäste, die etwas essen wollen, was die Sachlage deutlich verkompliziert. Deswegen hier, an dieser Stelle, die ultimative Anleitung zum Umgang mit einem Buffet:
Die "Ich-Beginne"-Taktik
Bescheidenheit ist eine Zier. Aber nicht beim Buffet. "So, das Buffet ist eröffnet!" Nach dieser in den Raum geworfenen Information ist auf den Gesichtern der Anwesenden der harte innere Kampf zwischen der guten Erziehung und dem Hunger auf die raren Delikatessen abzulesen. Ein lauerndes Starren füllt den Raum. Wer wird der erste sein? Und möglicherweise als gefräßig oder unhöflich gelten? Alles Unsinn! Stehen Sie einfach auf und rufen Sie ein leutseliges "Ach wenn sich keiner traut, dann fange ich mal an!" in den Raum. Das erntet immer einige Lacher und lässt Sie als einfühlsame Person erscheinen, die das Eis bricht. Gehen Sie jetzt beherzten, aber eiligen Schrittes zum Buffet und sorgen Sie dafür, dass Sie auch wirklich der erste sind.
Antizyklisch arbeiten
Nicht immer lässt sich die oben genannte Taktik des frühzeitigen Stürmens des Büffets tatsächlich durchführen. Manchmal hat der Run schon begonnen, und man ist gezwungen, sich mit anderen hungrigen Gästen auseinanderzusetzen. Hier gilt die Grundregel: Niemals mit der Vorspeise beginnen! So hübsch die Gänseleberhappen aussehen, und wie sehr auch Kaviarschnitten an Gänsetrüffelpastete duften mögen: Bis die Schlange das Vorspeisenbuffet erreicht hat, sind die guten Sachen sowieso bereits weg. Vergessen Sie die Vorspeise! Gehen Sie an der Schlange vorbei und begeben Sie sich direkt zu den Hauptspeisen .Jetzt können Sie sich ungestört mit den Hauptgerichten versorgen, während sich die anderen Gäste noch um ein popliges Wachtelei streiten. Und der Koch an der Ausgabe hat auch noch nichts zu tun und wird Ihnen gerne sein bestes Stück vom Braten abschneiden.
Gegen den Strom
Sollte auch diese Taktik fehlschlagen, bleibt Ihnen immer noch die klassische "Gegen-den-Strom"-Methode. Statt sich in die kilometerlange Schlange einzureihen, fangen Sie einfach am anderen Ende des Buffets an, und bewegen sich in Gegenrichtung. Im Moment des Aufeinandertreffens erlaubt Ihre Position am Kopfende der Nahrungsschlange sowie Ihr bereits gut gefüllter Teller auch brutales Hineindrängeln, mit einer gemurmelten Entschuldigung wegen der vergessenen Weinbergschnecke. Die Aufmerksameren der Gäste werden Sie zwar hasserfüllt dieses miesen Tricks wegen anstarren, aber das kann Ihnen egal sein. Schließlich haben Sie ja Hunger.
"Die Kennen-wir-uns-nicht?"-Methode
Wenn alle Stricke reißen, die Schlange vor dem Buffet bereits Dutzende von Metern umfasst, und die Tische mit dem Nahrungsmittelangebot sich bereits bedenklich lichten, gilt es, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen. Blicken Sie genau auf die bereits bei den Nahrungsmitteln befindliche Menschenmenge, ob Sie nicht dort irgendeine wage bekannte Gestalt entdecken können. Wenn ja, dann ist der Abend gerettet. Gehen Sie beherzt zu der Person, klopfen Ihr auf die Schulter und geben Sie ein vernehmliches "Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen!" von sich. Der bestenfalls weitläufig Bekannte wird Sie groß anstarren, aber aus dem peinlichen Unwissen heraus, wer Sie sind, trotzdem eine Unterhaltung anfangen. Jetzt nehmen Sie sich einfach ganz selbstverständlich von den Platten auf ihren Teller und improvisieren ein paar Sätze.
Bei Pärchen oder auch bei Frauengruppen genügt im Übrigen auch ein improvisiertes "Lassen Sie doch mal die Schwangere an das Buffet!", um als Begleiter jederzeit ohne längere Wartezeit Zugriff auf die Leckereien zu bekommen.
Die Tellertechnik
Die meisten Buffets werden an den einzelnen Stationen mit den passenden Tellern ausgestattet: Kleine Vorspeisenteller, riesige Suppenschalen, mittlere Teller für den Hauptgang, Mini- Schälchen für den Nachtisch. Was einen dazu zwingt, gerade für die besonderen Leckereien mehrmals das Buffet aufzusuchen (wo die guten Sachen dann alle schon weg sind).
Als Gast können Sie diese Zumutung getrost ignorieren. Schnappen Sie sich den größten Suppenteller und laden Sie sich die Köstlichkeiten in praktischen Großverbrauchermengen auf den Teller. Für den Nachtisch können Sie auch jederzeit einen Hauptspeisenteller verwenden. Machen Sie einfach ein bedauerndes Gesicht ob Ihrer Schusseligkeit und murmeln Sie etwas wie "das mit den Tellern kapiere ich wohl nie!". Es ist übrigens auch keinerlei Problem, gleich zwei Teller auf einmal zu füllen – es sieht harmlos so aus, als ob man für den Partner etwas mitbringen würde.
Die Happy-Birthday-Rochade
Doch was soll man tun, wenn der Notfall eintritt? Hunderte von Menschen stehen am Buffet des Geburtstagskinds des öffentlichen Lebens, Nahrungsmittel werden bereits knapp, und die unverfrorenen Gäste verweigern einem den schnellen Zugang zu den Speisen? Hier gibt es für beherzte Menschen wie uns immer noch ein ultimatives Mittel. Stellen Sie sich vor die Selbstbedienungstafel und rufen Sie laut: "Dem Geburtstagskind ein Ständchen!" Dann beginnen Sie ein "Happy Birthday to you" zu schmettern. Alle anwesenden Gäste werden sich umdrehen und in den Gesang einstimmen. Jetzt können Sie beherzt in die entstehenden Lücken stoßen und Ihren Teller mit Leckereien vollladen.
Ich nicht verstehen
Und wenn alles versagt? Dann schieben Sie einfach ein paar Gäste am Buffet beiseite und sagen Sie etwas kasachisch Klingendes. Man wird Sie sofort als zu einem anderen Kulturkreis zugehörig identifizieren, der offensichtlich nicht unsere Sitten und Gebräuche kennt, und daher Ihr Handeln tolerieren.
Guten Appetit !
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 1/2012
Der Ablauf eines Festes, mag es die geschäftliche Weihnachtsfeier oder die Veranstaltung einer Institution oder Privatperson sein, war jahrhundertelang von klaren Regeln beherrscht:
Die Gäste kamen an einer großen Tafel zusammen, es wurden einige oberflächliche Ansprachen gehalten, und danach brachten niedere Bedienstete große Mengen von Tafelspeisen und diversen Leckereien an den Tisch. Die Gäste griffen herzhaft zu, tranken die alkoholischen Getränke leer, um im Anschluss gesättigt nach Hause zu torkeln. So weit, so gut.
Doch dann wurde das Buffet erfunden.
Gerade jetzt, zur Weihnachts- und Silvesterzeit, begegnet man dem Buffet-Fluch wieder vermehrt in freier Wildbahn. Eigentlich ja eine gute Idee: Eine große Zahl von unterschiedlichsten Speisen wartet darauf, von dem hungrigen Gast je nach persönlichem Geschmack gewählt und auf den Teller geladen zu werden. Leider gibt es aber auch noch andere Gäste, die etwas essen wollen, was die Sachlage deutlich verkompliziert. Deswegen hier, an dieser Stelle, die ultimative Anleitung zum Umgang mit einem Buffet:
Die "Ich-Beginne"-Taktik
Bescheidenheit ist eine Zier. Aber nicht beim Buffet. "So, das Buffet ist eröffnet!" Nach dieser in den Raum geworfenen Information ist auf den Gesichtern der Anwesenden der harte innere Kampf zwischen der guten Erziehung und dem Hunger auf die raren Delikatessen abzulesen. Ein lauerndes Starren füllt den Raum. Wer wird der erste sein? Und möglicherweise als gefräßig oder unhöflich gelten? Alles Unsinn! Stehen Sie einfach auf und rufen Sie ein leutseliges "Ach wenn sich keiner traut, dann fange ich mal an!" in den Raum. Das erntet immer einige Lacher und lässt Sie als einfühlsame Person erscheinen, die das Eis bricht. Gehen Sie jetzt beherzten, aber eiligen Schrittes zum Buffet und sorgen Sie dafür, dass Sie auch wirklich der erste sind.
Antizyklisch arbeiten
Nicht immer lässt sich die oben genannte Taktik des frühzeitigen Stürmens des Büffets tatsächlich durchführen. Manchmal hat der Run schon begonnen, und man ist gezwungen, sich mit anderen hungrigen Gästen auseinanderzusetzen. Hier gilt die Grundregel: Niemals mit der Vorspeise beginnen! So hübsch die Gänseleberhappen aussehen, und wie sehr auch Kaviarschnitten an Gänsetrüffelpastete duften mögen: Bis die Schlange das Vorspeisenbuffet erreicht hat, sind die guten Sachen sowieso bereits weg. Vergessen Sie die Vorspeise! Gehen Sie an der Schlange vorbei und begeben Sie sich direkt zu den Hauptspeisen .Jetzt können Sie sich ungestört mit den Hauptgerichten versorgen, während sich die anderen Gäste noch um ein popliges Wachtelei streiten. Und der Koch an der Ausgabe hat auch noch nichts zu tun und wird Ihnen gerne sein bestes Stück vom Braten abschneiden.
Gegen den Strom
Sollte auch diese Taktik fehlschlagen, bleibt Ihnen immer noch die klassische "Gegen-den-Strom"-Methode. Statt sich in die kilometerlange Schlange einzureihen, fangen Sie einfach am anderen Ende des Buffets an, und bewegen sich in Gegenrichtung. Im Moment des Aufeinandertreffens erlaubt Ihre Position am Kopfende der Nahrungsschlange sowie Ihr bereits gut gefüllter Teller auch brutales Hineindrängeln, mit einer gemurmelten Entschuldigung wegen der vergessenen Weinbergschnecke. Die Aufmerksameren der Gäste werden Sie zwar hasserfüllt dieses miesen Tricks wegen anstarren, aber das kann Ihnen egal sein. Schließlich haben Sie ja Hunger.
"Die Kennen-wir-uns-nicht?"-Methode
Wenn alle Stricke reißen, die Schlange vor dem Buffet bereits Dutzende von Metern umfasst, und die Tische mit dem Nahrungsmittelangebot sich bereits bedenklich lichten, gilt es, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen. Blicken Sie genau auf die bereits bei den Nahrungsmitteln befindliche Menschenmenge, ob Sie nicht dort irgendeine wage bekannte Gestalt entdecken können. Wenn ja, dann ist der Abend gerettet. Gehen Sie beherzt zu der Person, klopfen Ihr auf die Schulter und geben Sie ein vernehmliches "Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen!" von sich. Der bestenfalls weitläufig Bekannte wird Sie groß anstarren, aber aus dem peinlichen Unwissen heraus, wer Sie sind, trotzdem eine Unterhaltung anfangen. Jetzt nehmen Sie sich einfach ganz selbstverständlich von den Platten auf ihren Teller und improvisieren ein paar Sätze.
Bei Pärchen oder auch bei Frauengruppen genügt im Übrigen auch ein improvisiertes "Lassen Sie doch mal die Schwangere an das Buffet!", um als Begleiter jederzeit ohne längere Wartezeit Zugriff auf die Leckereien zu bekommen.
Die Tellertechnik
Die meisten Buffets werden an den einzelnen Stationen mit den passenden Tellern ausgestattet: Kleine Vorspeisenteller, riesige Suppenschalen, mittlere Teller für den Hauptgang, Mini- Schälchen für den Nachtisch. Was einen dazu zwingt, gerade für die besonderen Leckereien mehrmals das Buffet aufzusuchen (wo die guten Sachen dann alle schon weg sind).
Als Gast können Sie diese Zumutung getrost ignorieren. Schnappen Sie sich den größten Suppenteller und laden Sie sich die Köstlichkeiten in praktischen Großverbrauchermengen auf den Teller. Für den Nachtisch können Sie auch jederzeit einen Hauptspeisenteller verwenden. Machen Sie einfach ein bedauerndes Gesicht ob Ihrer Schusseligkeit und murmeln Sie etwas wie "das mit den Tellern kapiere ich wohl nie!". Es ist übrigens auch keinerlei Problem, gleich zwei Teller auf einmal zu füllen – es sieht harmlos so aus, als ob man für den Partner etwas mitbringen würde.
Die Happy-Birthday-Rochade
Doch was soll man tun, wenn der Notfall eintritt? Hunderte von Menschen stehen am Buffet des Geburtstagskinds des öffentlichen Lebens, Nahrungsmittel werden bereits knapp, und die unverfrorenen Gäste verweigern einem den schnellen Zugang zu den Speisen? Hier gibt es für beherzte Menschen wie uns immer noch ein ultimatives Mittel. Stellen Sie sich vor die Selbstbedienungstafel und rufen Sie laut: "Dem Geburtstagskind ein Ständchen!" Dann beginnen Sie ein "Happy Birthday to you" zu schmettern. Alle anwesenden Gäste werden sich umdrehen und in den Gesang einstimmen. Jetzt können Sie beherzt in die entstehenden Lücken stoßen und Ihren Teller mit Leckereien vollladen.
Ich nicht verstehen
Und wenn alles versagt? Dann schieben Sie einfach ein paar Gäste am Buffet beiseite und sagen Sie etwas kasachisch Klingendes. Man wird Sie sofort als zu einem anderen Kulturkreis zugehörig identifizieren, der offensichtlich nicht unsere Sitten und Gebräuche kennt, und daher Ihr Handeln tolerieren.
Guten Appetit !
Der Beitrag wurde am Samstag, 3. März 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Das Buffet - Satire in VorSICHT Januar 2012'
Teilen