Das Notizbuch
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSicht 7/2017









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Die Vereinbarung war eindeutig. Einmal im Monat würde ich zu einem Termin, der üblicherweise "Redaktionsschluss" genannt wird, eine humorvolle, spritzige und qualitativ höchsten Ansprüchen genügende Satire abliefern. Im Gegenzug würde mir ein kleines Salär bezahlt sowie die Gelegenheit gegeben, mich im folgenden Monat erneut an der Unterhaltung des Lesers zu beteiligen.


Nun wird für eine neue humorvolle Geschichte üblicher Weise eine Idee benötigt.
Bedauerlicher Weise muss ich aber konstatieren, dass mein ständig arbeitendes Unterbewusstsein es nicht immer für nötig hält, in Anbetracht eines nahenden Abgabetermins rechtzeitig mit einem voller Esprit getränkten Thema aufzuwarten. Naive Gemüter könnten in so einer Situation auf die Idee kommen, dass es dann in diesem Monat halt mal keine Geschichte geben wird. An dieser Stelle trennt sich die Spreu des naiven Amateurs vom in vielen Redaktionsschlachten gestählten Profi.
Chefredakteure wechseln in solchen Momenten nämlich zu einem südsizilianischen Akzent und sagen Dinge wie "Oh, buon amico, Du enttäuschest mich. Habe ich, Dein Padrone, Dir nicht immer volles Vertrauen geschenket, Dich unterstützt, Deinen Lebensunterhalt bezahlt? Und jetzt dies? Wie konntest Du nur! Im Übrigen, wie geht es denn Deiner Familie? Der Frau? Den Kindern? Können Sie schwimmen…? " Dabei lächeln Sie genauso verblüffend sanft wie Don Corleone aus 'Der Pate I'.
In Anbetracht dieser potentiellen Gefahr habe ich mir schon vor langer Zeit ein elektronisches Notizbuch zugelegt, in das ich mir plötzlich auftauchende Einfälle für humorvolle Geschichten eintrage. Spare in der Not, dann hat Du Zeit, wie der Philosoph zu sagen pflegt.
Heute wäre so ein Tag.
Alle momentan durch meinen Kopf geisternden Themen haben den unbedeutenden Nachteil, dass ich schon einmal darüber geschrieben habe. Ich bin zwar bereit, nach vielen hunderten von Geschichten auf eine gewisse Demenz des Lesers zu vertrauen. Unglücklicher Weise haben aber Herausgeber für solche Dinge ein geradezu unheimliches Gedächtnis. Sie werden zu einem vor 25 Jahren schon einmal erschienen Thema milde kein weiteres Wort verlieren, allerdings wird bei der nächsten Abrechnung dann die Satire mit "Zweitabdruck ohne Honorar" markiert und der entsprechende Betrag in Abzug gebracht.
So bleibt mir nur eine Hoffnung: Ich greife zu meinem schlauen Ideenbüchlein.
Ich starre über den ersten Eintrag:
'Tote Maus vor Katzenklappe. Begeisterung an Neujahr? Helene Fischer!'
Ich bin ratlos. Was hat das arme Nagetier mit dem Katzenzugang zu tun? Warum ist sie letal verschieden? Und noch viel Schlimmer: Was hat Helene Fischer ihr getan?
Wenn dahinter eine Idee gesteckt hat, habe ich jetzt keine Ahnung mehr, worum es da ging. Vielleicht stand ich damals unter Alkohol? Mein Blick geht ratlos zum nächsten Eintrag.
'Gesichtszraing am fluhafen'. Was soll das denn heißen? Wahrscheinlich war die Rechtschreibkorrektur auf Englisch gestellt. 'Fluhafen' wäre ein cooles Deutsch-Englisches Wortspiel, wenn ich die Satire in Englisch schreiben würde, schließlich bedeutet im englischen Flu die 'Grippe'. Grippe-Hafen. Aber eine englische Satire würde eher nicht akzeptiert werden. Zudem ist keine Grippezeit.
Ich starre jetzt wieder auf den ersten Teil. Was ist ein 'zraing'?? Ich spreche das Wort zwanzig mal schnell hintereinander aus. Klingt komisch. Was könnte das heißen sollen? Regen? Reinigung?
Das könnte es sein! Eine Satire über Gesichtsreinigung am Flughafen! Nur – warum? Warum sollte ich mir am Flughafen das Gesicht reinigen? Aus politischen Gründen? Ging es um Terrorismus? Und wo ist der humoristische Aspekt?
Nächster Eintrag: 'Zwei Kilo Möhren, 200 g Aufschnitt, Fertigpizza!' Hmmm. Eine neue Satire über den verbrecherischen Einzelhandel? Übergewicht als nationales Problem? Dadaismus? Erst langsam wird mir bewusst, dass dies mein kürzlich abhanden gekommener Einkaufszettel sein könnte.

Ich schaue weiter. 'Refinanzierung von Handwerkerkosten: Toilettengebühr?'. Dieser Eintrag musste wohl während des mehrwöchigen Handwerkereinsatzes im Rahmen der Umgestaltung unseres Bads und einer Gästetoilette entstanden sein – nach meiner Erinnerung direkt im Anschluss an den von mir erlittenen Schwächeanfall bei Betrachtung der ersten Abschlagszahlung der Handwerkerrechnungen. Zu diesem Zeitpunkt schien es mir eine solide und humoristische Idee zu sein. Eine Satire über Möglichkeiten, die exorbitanten Kosten in geeigneter Weise wieder reinzuholen. Meine Frau meinte, das wäre geschmacklos und sei nicht für eine Satire geeignet. Ich schloss mich ihr an (Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal alle Freunde und Verwandten darauf hinweisen, dass für den Einwurf in den Türautomaten unseres WCs ausschließlich 50 Cent Stücke verwendet werden können. Diese sollten in ausreichender Zahl mitgebracht werden - Ich kann leider nicht immer wechseln!).
Was nun? Da!! Noch ein letzter Eintrag ist zu finden. Stimmt, bei der Weihnachtsfeier hatte ich doch diese geniale Satire-Idee: 'Boah, bin isch knülle. Hab aber ne geniale Idee für ne Schatire: Komscht n Hundsch sum Metzgschker blblbl bl…"

Ich gebe auf. Die Zeit für die Abgabe einer neuen Geschichte ist leider um.
Schade: Diesen Monat wird es daher keine neue Satire geben.
Der Beitrag wurde am Montag, 2. Oktober 2017 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Das Notizbuch - Satire in VorSICHT Juli 2017'

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