Es klebt!
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 12/2011
Der kleine Nebenraum sollte einen neuen Bodenbelag bekommen.
Meine Familie war sich einig: "Bestell einen Handwerker, damit der Belag professionell gelegt wird. Am besten in PVC."
Ich hob protestierend meine Hand. Nicht nur, dass das Bestellen von Handwerkern mit den damit verbundenen exorbitanten Kosten in diesen wirtschaftlich angespannten Zeiten das falsche Signal an die Weltöffentlichkeit wäre – irgendwie empfand ich es als stark zurücksetzend, dass man offensichtlich gar kein Selbstverlegen von meiner Seite in Betracht gezogen hatte. Ich erklärte, dass ich die Verlegearbeiten selbstverständlich selber übernehmen würde.
"Du?"
"Ja, ich. Die Technik der Bodenverlegung ist mir völlig klar." Wie ich meiner Familie ausführlich erläuterte, ist gerade für einen technisch interessierten Menschen mit intellektueller Prägung das Verlegen eines neuen Bodenbelags eine besonders einfache Übung.
"Schneiden, auf den Boden legen, antackern, fertig. Ich mach' das schon!"
Eine Kontaktaufnahme mit einem Mitarbeiter des Baumarkts meines Vertrauens erwies sich als bildend. Der Mann hörte sich meine Vorstellungen zur geplanten Vorgehensweise bei der Bodenbelagsverlegung mit starrem Blick an, dann drückte er mir wortlos einen großen Eimer mit Klebstoff in die Hand und legte zwei seltsame Kunststoffschieber mit großen Zähnen an der Seite dazu. Auf meine Bitte des Zuschnitts eines passenden Stück Bodenbelags ("281,5 cm auf 278,3 cm, könnten Sie das linke Eck etwas abschrägen?") nahm er eine breite Rolle PVC, schnitt ein längeres Stück davon ab und knallte es auf meinen Wagen.
"Das PVC schneiden Sie am Schluss mit einem Messer passend. Hier, eine Anleitung!" Danach verschwand er kopfschüttelnd wieder hinter seinen Informationsstand.
Wie ich beim Durcharbeiten der Informationsschrift erstaunt erfuhr, werden solche Böden gemeinhin geklebt, wobei der sog. Zahnspachtel für einen gleichmäßigen Auftrag des Klebers in langen Bahnen auf den Boden sorgt.
Ich begab mich dergestalt direkt in den zu verschönernden Raum und begann mit einem gleichmäßigen Auftrag der pastenförmigen Substanz. Als ich mich kurz umdrehte, stützte ich mich versehentlich mit der linken Hand auf den schon aufgebrachten Klebstoff. Ich bemühte mich, ihn mit der rechten Hand zu entfernen, verteilte ihn damit aber gleichmäßig auf beiden Händen. Der Versuch, den Klebstoff mit einem Taschentuch zu entfernen, versah meine Hand mit einer kleidsamen Papierschicht in Pappmachétechnik. Bei der Anstrengung, den ekligen Kleb an der Raufasertapete abzuschmieren, zog ich stattdessen eine komplette Bahn von der Wand. Okay, da würde ich zu ernsteren Reinigungsmaßnahmen greifen müssen. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass sich zwischen mir und der Tür inzwischen zweieinhalb Meter Klebstoff auf dem Boden befanden. Nur ein kleiner Fleck in der Größe eines durchschnittlichen Fußes war noch frei. Peinlich. Ich würde springen müssen. Ich zog die Schuhe aus und nahm Anlauf. Der Sprung trug mich knapp neben die freie Fläche. Meine Socke klebte sofort am Boden fest und bremste meinen Schwung soweit, dass auch mein rechter Fuß auf dem Klebstoff niederging. Unter Zurücklassung meiner Fußbekleidung schlug ich außerhalb des Raumes flach auf den Boden.
Offensichtlich war der Klebstoff stärker, als die Paste auf den ersten Blick erschien. Auch mit einem Stock gelang es mir nicht, meine Socken wieder vom Boden zu entfernen.
Ich überlegte.
Wenn ich den Bodenbelag einfach auf dem ersten Meter entrollte, könnte ich von dort meine Strümpfe mit der Hand erreichen und sie wieder vom Boden ziehen.
Ich begann vorsichtig zu entrollen. Die ersten Zentimeter schienen einfach, dann entglitt die Rolle meinen klebrigen Fingen und entfaltete sich unter Abdeckung meiner Strümpfe, der von der Wand gezogenen Tapete, meiner noch am anderen Ende abgestellten Schuhe sowie des Eimers mit dem restlichen Klebstoff. Ein schmatzendes Geräusch deutete an, dass der Eimer diesem plötzlichen Aufprall nicht gewachsen war und zerschmettert den restlichen Klebstoff um sich herum verteilte.
Ich betrachte mein Werk. Nicht nur, dass verschiedene Höcker im PVC den Standort meiner Socken und Schuhe markierten, im Bereich des Eimers hatte sich eine große Blase gebildet: Die PVC-Bahn erinnerte mehr an eine Berg- und Talbahn in einem Ikea-Kinderparadies als einen konventionellen Fußboden.
Ich versuchte zu retten, was zu retten war. Da sich der Bodenbelag nur unter Mitnahme des Estrichs wieder abheben ließ, nahm ich einen kleinen Hammer und versuchte, durch kräftiges Schlagen die verschiedenen bergähnlichen Anhöhen in begehbare Ebenen zu verwandeln.
Meine Familie starrte sprachlos auf die sich vor Ihnen befindlichen Miniatur-Alpen in PVC-Kunststoff und Multicolor.
Ich erklärte prononciert, dass diese Verlegetechnik momentan total en Vogue sei und ebene Flächen in der heutigen Innendekoration stark überbewertet wären.
Der Klebstoff und der Belag hatten die Konsistenz von Stahlbeton angenommen.
Suche dringend einen Bodenverleger mit langer Arbeitserfahrung. Biete Höchstbetrag.
Besitzer von Presslufthämmern bevorzugt.
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 12/2011
Der kleine Nebenraum sollte einen neuen Bodenbelag bekommen.
Meine Familie war sich einig: "Bestell einen Handwerker, damit der Belag professionell gelegt wird. Am besten in PVC."
Ich hob protestierend meine Hand. Nicht nur, dass das Bestellen von Handwerkern mit den damit verbundenen exorbitanten Kosten in diesen wirtschaftlich angespannten Zeiten das falsche Signal an die Weltöffentlichkeit wäre – irgendwie empfand ich es als stark zurücksetzend, dass man offensichtlich gar kein Selbstverlegen von meiner Seite in Betracht gezogen hatte. Ich erklärte, dass ich die Verlegearbeiten selbstverständlich selber übernehmen würde.
"Du?"
"Ja, ich. Die Technik der Bodenverlegung ist mir völlig klar." Wie ich meiner Familie ausführlich erläuterte, ist gerade für einen technisch interessierten Menschen mit intellektueller Prägung das Verlegen eines neuen Bodenbelags eine besonders einfache Übung.
"Schneiden, auf den Boden legen, antackern, fertig. Ich mach' das schon!"
Eine Kontaktaufnahme mit einem Mitarbeiter des Baumarkts meines Vertrauens erwies sich als bildend. Der Mann hörte sich meine Vorstellungen zur geplanten Vorgehensweise bei der Bodenbelagsverlegung mit starrem Blick an, dann drückte er mir wortlos einen großen Eimer mit Klebstoff in die Hand und legte zwei seltsame Kunststoffschieber mit großen Zähnen an der Seite dazu. Auf meine Bitte des Zuschnitts eines passenden Stück Bodenbelags ("281,5 cm auf 278,3 cm, könnten Sie das linke Eck etwas abschrägen?") nahm er eine breite Rolle PVC, schnitt ein längeres Stück davon ab und knallte es auf meinen Wagen.
"Das PVC schneiden Sie am Schluss mit einem Messer passend. Hier, eine Anleitung!" Danach verschwand er kopfschüttelnd wieder hinter seinen Informationsstand.
Wie ich beim Durcharbeiten der Informationsschrift erstaunt erfuhr, werden solche Böden gemeinhin geklebt, wobei der sog. Zahnspachtel für einen gleichmäßigen Auftrag des Klebers in langen Bahnen auf den Boden sorgt.
Ich begab mich dergestalt direkt in den zu verschönernden Raum und begann mit einem gleichmäßigen Auftrag der pastenförmigen Substanz. Als ich mich kurz umdrehte, stützte ich mich versehentlich mit der linken Hand auf den schon aufgebrachten Klebstoff. Ich bemühte mich, ihn mit der rechten Hand zu entfernen, verteilte ihn damit aber gleichmäßig auf beiden Händen. Der Versuch, den Klebstoff mit einem Taschentuch zu entfernen, versah meine Hand mit einer kleidsamen Papierschicht in Pappmachétechnik. Bei der Anstrengung, den ekligen Kleb an der Raufasertapete abzuschmieren, zog ich stattdessen eine komplette Bahn von der Wand. Okay, da würde ich zu ernsteren Reinigungsmaßnahmen greifen müssen. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass sich zwischen mir und der Tür inzwischen zweieinhalb Meter Klebstoff auf dem Boden befanden. Nur ein kleiner Fleck in der Größe eines durchschnittlichen Fußes war noch frei. Peinlich. Ich würde springen müssen. Ich zog die Schuhe aus und nahm Anlauf. Der Sprung trug mich knapp neben die freie Fläche. Meine Socke klebte sofort am Boden fest und bremste meinen Schwung soweit, dass auch mein rechter Fuß auf dem Klebstoff niederging. Unter Zurücklassung meiner Fußbekleidung schlug ich außerhalb des Raumes flach auf den Boden.
Offensichtlich war der Klebstoff stärker, als die Paste auf den ersten Blick erschien. Auch mit einem Stock gelang es mir nicht, meine Socken wieder vom Boden zu entfernen.
Ich überlegte.
Wenn ich den Bodenbelag einfach auf dem ersten Meter entrollte, könnte ich von dort meine Strümpfe mit der Hand erreichen und sie wieder vom Boden ziehen.
Ich begann vorsichtig zu entrollen. Die ersten Zentimeter schienen einfach, dann entglitt die Rolle meinen klebrigen Fingen und entfaltete sich unter Abdeckung meiner Strümpfe, der von der Wand gezogenen Tapete, meiner noch am anderen Ende abgestellten Schuhe sowie des Eimers mit dem restlichen Klebstoff. Ein schmatzendes Geräusch deutete an, dass der Eimer diesem plötzlichen Aufprall nicht gewachsen war und zerschmettert den restlichen Klebstoff um sich herum verteilte.
Ich betrachte mein Werk. Nicht nur, dass verschiedene Höcker im PVC den Standort meiner Socken und Schuhe markierten, im Bereich des Eimers hatte sich eine große Blase gebildet: Die PVC-Bahn erinnerte mehr an eine Berg- und Talbahn in einem Ikea-Kinderparadies als einen konventionellen Fußboden.
Ich versuchte zu retten, was zu retten war. Da sich der Bodenbelag nur unter Mitnahme des Estrichs wieder abheben ließ, nahm ich einen kleinen Hammer und versuchte, durch kräftiges Schlagen die verschiedenen bergähnlichen Anhöhen in begehbare Ebenen zu verwandeln.
Meine Familie starrte sprachlos auf die sich vor Ihnen befindlichen Miniatur-Alpen in PVC-Kunststoff und Multicolor.
Ich erklärte prononciert, dass diese Verlegetechnik momentan total en Vogue sei und ebene Flächen in der heutigen Innendekoration stark überbewertet wären.
Der Klebstoff und der Belag hatten die Konsistenz von Stahlbeton angenommen.
Suche dringend einen Bodenverleger mit langer Arbeitserfahrung. Biete Höchstbetrag.
Besitzer von Presslufthämmern bevorzugt.
Der Beitrag wurde am Sonntag, 15. Januar 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Es klebt ! - Satire in VORSICHT Dezember 2011'
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