Kurzgeschichten sind eine ganz besondere Sorte von Literatur: Kompakte Geschichten, verdichtet auf das Wesentliche. Die Kunst, mit wenigen Worten trotzdem große Dinge zu erzählen. Hier eine Sammlung meiner liebsten 100 Kurzgeschichten, von Science Fiction, über Krimi bis Horror. Alle ungewöhnlich. Alle lesenswert.
(Dabei verwende ich die Bezeichnung "Kurzgeschichte" in einer sehr weiten Definition : Siehe auch meine Einleitung)

Dieses mal eine Kurzgeschichte von 1967

Woody Allen - Von der Entdeckung und dem Gebrauch des falschen Tintenkleckses
Entnommen aus "Wie du dir, so ich mir" 1980
Originalveröffentlicht in : The New Yorker

Meine Wertung: Wertung: 5 von 5 Sternen

Seltsamer Weise machen wir die Bewertung und Wertschätzung von Dingen oftmals von Aspekten abhängig, die in keinerlei physischem Zusammenhang mit der Sache stehen. So hat ein mitgebrachter Stein aus dem Urlaub in Ozeanien seinen Ehrenplatz im Regal sicher, auch wenn sein chemisch exaktes Pendant aus dem Bachlauf um die Ecke sich keinerlei besondere Würdigung erfreut. Bei Gemälden und Büchern suchen wir unwillkürlich nach dem inneren Bild, der Vorstellung, des Künstlers, dass medienbedingt auf Leinwand oder Text eingeengt wurde, und dessen ganze Breite unser inneres Auge wiederaufstehen lässt. Zumindest sollte.
Denn gerade bei moderner Malerei ist es für die meisten Betrachter schwer zu entscheiden, ob "Schwarzes Quadrat bei Nacht" nach jahrelangem inneren Ringen entstand und die Vereinsamung des Menschen symbolisieren soll - oder ob es im Vollrausch zur Bezahlung der Miete innerhalb von 3 Minuten entstand.
Bei Büchern, und besonders bei Kurzgeschichten ist es ähnlich - auch hier sind wir zumindest irritiert, wenn ein Autor andeutet, dass er seine Geschichte herunterrattert, sich aber erklärtermaßen keine große Mühe gibt, sie zu feilen und nachzubearbeiten (King, Varley). Doch hier kann ja immerhin die Geschichte alleine zur Beurteilung stehen.
Doch ich habe zumindest einen Autor, bei dem ich mir seit Jahrzenten im Unklaren bin, ob er den Leser nur hochnehmen will, oder ob irgendein Sinn in der Geschichte steckt. Woody Allen, hervorragender Schauspieler (Ich liebe "Machs noch einmal Sam!") oder als genial beobachtender, hervorragender Regisseur und Drehbuchautor (Man denke z.B. an "Hannah und ihre Schwestern"), hat auch Kurzgeschichten geschrieben, die vielleicht am ehesten als "Grotesken" zu bezeichnen sind: Chaotische und teilweise völlig schwachsinnige Erzählungen, die ich ohne den Namen oben drüber direkt in den Müll befördert hätte.
Zwar kann ich mich mit Aphorismen wie "Es gibt nicht nur keinen Gott, sondern versuch mal, am Wochenende einen Klempner zu kriegen" durchaus anfreunden, aber hat die Kurzgeschichte über einen künstlichen (!) Tintenfleck tatsächlich einen Sinn? Eine tiefergehende Bedeutung? Existentialismus? Oder hat hier ein Autor unter brüllendem Gelächter von angetrunkenen Freunden in einem Anfall von Witzigkeit (oder aus akutem Geldmangel) binnen 10 Minuten eine völlig sinnfreie Kurzgeschichte konstruiert.
Ich weiß es nicht, auch wenn ich deutlich Zweiterem zuneige. Davon sollte sich aber am besten jeder ein eigenes Bild machen. Deswegen diese Kurzgeschichte auf dieser Liste!
Der Beitrag wurde am Montag, 17. Dezember 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic 100 Kurzgeschichten abgelegt.
'100 Kurzgeschichten ~ Tag 16: Woody Allen - Von der Entdeckung und dem Gebrauch des falschen Tintenkleckses'

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