Deo
von Klaus Marion.

Veröffentlicht in VORSICHT 2/2011


Es gehört heutzutage zum guten Ton, beim Gespräch im Kollegen- oder Bekanntenkreis einfließen zu lassen, dass man gerade eben erst wieder bei einem bestimmt Schwedischen Selbstbedienungs-Möbelhaus gewesen sei. Diese Aussage strahlt sowohl eine gewisse Jugendlichkeit aus, wie auch den erkennbaren Willen, sich nicht irgendwelchen überflüssigen möbeltechnischen Konsum-Konventionen hinzugeben. Zudem signalisiert es gerade in Zeiten nach einer überwundenen wirtschaftlichen Problemlage ein gesundes Bewusstsein für wirtschaftliche Sparmaßnahmen.
Dabei kaufe ich tatsächlich gerne beim gelb-blauen Möbelhaus ein. Die Ware ist durchaus günstig, und der Selbstzusammenbau kommt meiner Freude an Bastelarbeiten sowie Improvisationstechnik durchaus entgegen.
So ist es für mich auch kein Problem, wenn ich aus dem familiären Umfeld wieder einmal den Auftrag bekomme, nach Arbeitsschluss meine Heimfahrt in der nächsten Möbelfiliale zwecks schnellem Einkauf kurz zu unterbrechen.
"Wir bräuchten 5 Billy-Regale für den Hobbyraum. Sind sogar im Angebot! Die gehen doch ins Auto?" Ich bemerkte lässig zu meiner Frau, dass dies kein Problem sei.
Am nächsten Abend lenkte ich mein Fahrzeug auf den großen Parkplatz und begab mich schnellen Schrittes ins öffentliche Warenlager. Billy-Regale, das war mir bewusst, befinden sich in ihren Standardfarbe weiß auf großen Paletten und können von den Kunden in beliebiger Menge auf ihren Transportwagen befördert werden.
"Einfach mitnehmen!" verhieß das Plakat über der Regalreihe. Ich starrte auf die verpackten Schränke. Die Kartons waren über 2 Meter lang
Ich beugte mich tief herunter und umfasste einen der Kartons und hob ihn hoch. Das heißt, ich hätte ihn hochgehoben, wenn es mir gelungen wäre, die Verpackung auch nur einen einzigen Zentimeter anzuheben.
Ich prüfte kurz die Theorie, dass die gestapelten Kartons möglicherweise Dekoware und miteinander verklebt wären. Dies schien nicht der Fall zu sein. Ich versuchte es noch einmal. Mit einem titanenhaften Ruck hebelte ich den Karton in die Höhe. Offensichtlich hatte ich ihn nicht ganz mittig gefasst, denn sein eines Ende folgte sofort der Schwerkraft und donnerte auf den Boden. Ich stöhnte zweimal, dann griff ich verzweifelt um, tappte wankend drei Schritte zu meinem Transportwagen und ließ den Karton mit letzter Kraft auf die Ladefläche fallen.
Ein kleines Kind beobachtete mich neugierig.
Betont locker ergriff in das nächste Regal und hob es verkniffen lächelnd ein paar Zentimeter in die Höhe. Meine Bandscheibe meldete sich protestierend, während ich auch dieses Paket auf das andere fallen ließ. Ein starker Schmerz ließ sich im Lendenwirbelbereich vernehmen.
Meine Versuche erregten langsam die Aufmerksamkeit der ersten herumstehenden Kunden. Anzugsträger beobachtet man besonders gerne bei Kraftarbeiten, wenn sie sich dabei lächerlich machen können
Der Zustand meines Rückens und die allgemeine Beobachtung ließen mir eine neue Taktik angemessen erscheinen. Ich wuchtete das eine Ende des Kartons auf meinen Wagen, um dann das verbleibende Ende einfach hinüber zu schieben. Das heißt, ich hätte es so gemacht, wenn nicht der Wagen durch den Aufprall von 50 kg Schrankgewicht einen gesunden Bewegungsimpuls bekommen hätte, was ihn zusammen mit der darauf liegende Masse lautstark inmitten der Angebotspalette mit den "Dekovasen Villerbü" schob.
Nach der anschließend schlagartig einsetzenden Stille in der gesamten Halle hatte ich die allgemeine Aufmerksamkeit für mich. Sogar zwei Mitarbeiter des Hauses, mit Gabelhubwagen versehen, beobachten mich interessiert. Sie schienen Wetten untereinander abzuschließen.
Sollte ich einen von ihnen bitten, mir zu helfen?
Nein. Der Mann als solches hat sich nicht vom keulenschwingenden Urmenschen zu seiner heutigen Größe im Bereich der mittleren Führungsebene emporgearbeitet, indem er an simplen Kartons mit Billy-Regalen verzweifelt.
Es ist mir trotzdem völlig rätselhaft, wie in einer Welt, bei der die Beförderung von Koffern in Flugzeugen über 30 kg mit der Begründung verweigert wird, dies könne von den Gepäckarbeitern nicht gehoben werden, soviel Gewicht in eine einzige Packung verlagert werden kann. Rein gefühlsmäßig würde ich den Kasten auf knapp 80 kg im Schatten schätzen, im Freien noch etwas mehr.
Ich ging erneut in die Hocke und griff den nächsten Karton. Ich rief mir die Bilder der letzten Weltmeisterschaft der Gewichtsheber in der Superschwergewichtsklasse in Erinnerung, pumpte kurz und riss dann den Karton in die Höhe. Erneut gelang es mir, den Karton in einem halben Meter Höhe zu stabilisieren. Bei dem dazu notwendigen Ausfallschritt rammte ich allerdings beinahe ein Kleinkind, dessen Vater mir sicherlich die Meinung gesagt hätte, wäre er nicht durch den durch die anschließende Drehung hervorgerufenen Schlag in tiefere Gefilde an Lautäußerungen gehindert gewesen, die ein geflüstertes "öijöijöi" überstiegen.
Mit einem Krachen landete der Karton auf dem Wagen, der sich bereits sichtbar durchzubiegen begann.
Vereinzelter spontaner Applaus änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass mein Rücker unmissverständlich artikulierte, dass keine weiteren Arbeiten im Schwergewichtsumfeld zu erwarten wären.
Ich tat das einzige mögliche: Ich riss die noch fehlende Packung auf und legte Bretter, Rückwand und Böden Stück für Stück auf meinen Wagen.
Dann schob ich diesen zur Kasse.
"Die Packung war schon offen. Ich nehme ihn trotzdem" bemerkte ich kühl zum Kassierer.
"Schon klar" meinte der Fachmann an der Kasse. "Ich schicke Ihnen jemand vom Verladeservice. In neutraler Kleidung. Er hebt Ihnen die Sachen ins Auto."
Na also. Es gibt für alles eine Lösung.
Der Beitrag wurde am Donnerstag, 30. Juni 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Schwer erkauft - Satire aus VORSICHT 2/2011'

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