Die HUGOS 2019 Teil 1: Novels und Novellas
Und da sind wir wieder!
Der diesjährige Worldcon steht an, und damit auch die Hugo Awards im Bereich Science-Fiction und Fantasy für die besten Romane, Kurzgeschichten, Medien, Fanzines, Comic und was der Kategorien mehr sind.
Für die Nicht-Science-Fiction und Fantasy-Fraktion: Es handelt sich dabei um einen seit Jahrzehnten vergebenen Preis, bei dem die tausenden Teilnehmer des jährlichen SF-Weltkongresses, dem SF-Worldcon, stimmberechtigt sind. Und wenn nicht diese Hardcore Fans wissen, was im vergangenen Jahr gut war, wer dann?
Und, ja, ich gehöre auch zu dieser Kategorie und bin daher seit Jahren vorschlags- und stimmberechtigt.
Natürlich gibt es da für den Nichtamerikaner ein kleines Problem: Wie auch bei den Filmen und den OSCARS, ist der HUGO (nach dem Pulp-Herausgeber Hugo Gernsbach benannt) eine amerikanische, bestenfalls noch britische Angelegenheit. Man mag das bedauern und bejammern (und es gibt auch wohlgesetzte Ausnahmen, wie der chinesische Preisträger von 2015, Cixin Liu mit "Die drei Sonnen"- aber innovative Science-Fiction erscheint in der Masse zuvörderst in den USA. Dort gibt es die Infrastruktur, die Heftmagazine für Kurzgeschichten, die vielen SF-Autoren einen nebenberuflichen Einstieg gaben. Es gibt die Millionen englischsprachigen Leser. Und wahrscheinlich auch den Druck, gutes abzuliefern oder unterzugehen.
Man mag von den USA halten was man will: Trends in der SF haben in der Mehrzahl die nordamerikanischen Kollegen gesetzt.
Aber diese angelsächsische Zentriertheit erfordert oftmals das Lesen im Original. War dies vor einem Jahrzehnt schlichtweg nicht möglich, weil amerikanische Buchausgaben, wenn überhaupt, nur über komplizierte Bestellwege erhältlich (und mit exorbitanten Preisen versehen) waren, so hat sich das Bild inzwischen doch deutlich gewandelt. AMAZON liefert mir binnen 2-3 Tage jedes amerikanische Buch zu einem Preis, der im Schnitt nur halb so hoch ist wie eine spätere deutsche Ausgabe. Und was nicht in Papierform erhältlich ist, wird im Romanbereich als kindle-Ausgabe angeboten: 3-4 Euro für einen Roman oder Langroman sind eine Ansage.
Auch dies mag man mit Blick auf das Produkt "Buch" bedauern und zwiespältig sehen, doch es beendet auch die Zeiten, wo Leute wie ich in seeligen Jungjahren die monatliche Lieferung der deutschen SF-Neuerscheinungen im Abo bei TRANSGALAXIS nicht bezahlen konnten…
Zurück zum aktuellen Jahr.
Da findet der Worldcon 2019 in akzeptabler Reichweite in Irland statt – und was mache ich? Ich fahre mit der Familie in Urlaub nach Schweden und werde keine Zeit haben, Irland einen Besuch abzustatten…
Wie seit Jahren üblich, arbeitete ich mich auch dieses Jahr durch die Kategorien Novel, Novella (langer Roman, kurzer Roman), Novelette und Short Story (langer Kurzgeschichte, kurze Kurzgeschichte) und nehme mir vor, ein paar Kommentare und Voraussagen zu den aktuellen Nominees abzugeben – und natürlich auch am Voting selbst teilzunehmen.
Wie immer werden die Ergebnisse der Hugos darüber entscheiden, welche Romane bald auch ins Deutsche übersetzt werden. Wobei sich mit der in den letzten Jahren aufgekommenen Tendenz, immer mehr Fortsetzungen von Romanen zu nominieren und der damit verbundenen Taktik der deutschen Verlage, die Rechte für die Fortsetzungen von Romanen proaktiv zu kaufen, die Lage sich teilweise für den deutschen Leser etwas entspannt hat.
Was ist allgemein zum HUGO-Jahrgang 2019 zu sagen?
Nun:
Die Luft der vergangenen Jahre ist etwas raus. Hatten wir in den letzten Jahren stark besetzte Kandidatenfelder, so schwächelt in diesem Jahr die Nominierungsliste. Gerade bei den Novelettes und Short Stories finde ich die nominierten Werke tendenziell schwach. Wenig innovative Ideen, wenig überraschende Settings. War homosexuelle Beziehungen und gendergerechte Sprache in SF-Stories (je nach Sichtweise) Aufreger oder Befreiung, so hat es in diesem Jahr (zumindest in meinem Empfinden) manchmal fast etwas Pflichtschuldiges.
Ich habe mal wieder, bis auf eine Ausnahme, alles gelesen. Aber es war in einigen Fällen tatsächlich (für mich: ist natürlich alles subjektiv) harte Arbeit. Einige Kandidaten waren für mich so schwach, dass ich zum ersten Mal überlegt habe, meine persönliche subjektive Meinung nicht überall in eine Voting-Platzierung umzusetzen. Vielleicht bin ich aber auch nur einfach überarbeitet und deswegen etwas ungnädig…
Gehen wir‘s also mal durch:
#######################################
Best Novel (die Nummer gibt mein Voting an)
#######################################
1) #Record of a Spaceborn Few#, von Becky Chambers (Hodder & Stoughton / Harper Voyager) Dtsch: Unter uns die Nacht
2) #Spinning Silver#, von Naomi Novik (Del Rey / Macmillan) Dtsch: Das kalte Reich des Silbers
3) #The Calculating Stars#, von Mary Robinette Kowal (Tor)
4) #Space Opera#, von Catherynne M. Valente (Saga) Dtsch: Space Opera: Der metagalaktische Grand Prix
5) #Revenant Gun#, von Yoon Ha Lee (Solaris)
6) #Trail of Lightning#, von Rebecca Roanhorse (Saga) Dtsch: Das erwachte Land – Jägerin des Sturms
Jahrelang galt es als bei den HUGO Awards als gute Regel, dass Fortsetzungen von Romanen keine guten Kandidaten für den HUGO wären. Diese Übung ist in den letzten 3 Jahren mit dem dreifachen Gewinn von N.K. Jemisin’s „Fifth Season“-Romanen wohl endgültig gestorben.
Und so ist auch mein Kandidat für den HUGO Award zumindest ein Buch aus einem Universum, dass von Becky Chambers als das „Wayfarer Univers“ entwickelt wurde („Journey to a small and angry Planet“) und vage als Fortsetzungen durchgehen könnte.
Aber der Roman steht gut für sich allein, und er bietet tatsächlich etwas Neues.
Hintergrund sind die Wayfarer, eine Gruppe von Generationenraumschiffen mit Millionen von Erdbewohnern, die dem ökologischen Untergang der Erde entkommen sind, und die nach Generationen des Fluges durch das Weltall auf eine die Galaxie besiedelnde Gruppe von Aliens treffen, die sie mit Technologie und der Möglichkeiten versehen, neue Planeten als Heimat zu finden. Trotzdem bleiben die Menschen lieber in ihren Generationenraumschiffen, die gemeinsam unbewohnbare Welten umkreisen.
Die Fragen, die sie in der Handlung aufwirft und diskutiert, sind interessant. Wie muss sich eine Gesellschaft entwickeln, die über Generationen hinweg statisch an Bord eines Raumschiffes lebt? Welche Änderungen in politischem, moralischem, religiösem oder ganz allgemein menschlichem Verhalten ergeben sich aus diesen Randbedingungen?
Chambers entwickelt daraus ein Modell einer geschlossenen Gemeinschaft, bei der persönliche Verwirklichung oder individueller Narzismus dem Gemeinleben geopfert werden muss. Ein erzwungenes sozialistisches oder Kibbuz-ähnliches Modell, das sich sehr realistisch anfühlt.
Der interessante Punkt ist dabei aber die Frage, was mit der neuen jungen Generation passiert, die in einem plötzlich offenen Universum aufwächst. Freiwilliges einfügen in die bestehende Gesellschaftsform, oder aufbegehren und Suche nach den neuen Möglichkeiten im Universum?
Clever gemacht, durchaus mit manchen Längen, die die Handlung nicht so recht vorantreiben. Aber ein solides, interessantes und auch spannendes Stück SF, das mir ausnehmend gut gefällt. Mein Kandidat für den Sieg.
Auf Platz zwei setze ich als Kontrastprogramm eine lupenreine Fantasygeschichte von Naomi Novik, die einen Teil ihres Spins aus der Sichtweise der jüdischen Gemeinden im alten Russland zieht, bei der wirtschaftlicher Erfolg und Pogrome eng beieinanderliegen. Gut gemacht.
The #Calculating Stars# spielen im Lady-Astronaut-Universum, und sind eine Parallel-Welt-Geschichte über die Eroberung des Weltalls durch weibliche Astronauten. Leider werde ich mit dem Stil von Mary Robinette Kowal nicht wirklich warm, und die Grundidee ist doch sehr stark an der „Hidden Figures“ Film angelehnt. Doch, man muss es anerkennen, handwerklich sehr gut gemacht, so dass ich es an dieser Stelle auf Platz 3 setzen möchte.
#Space Opera# ist ein Roman über die Teilnahme der Erde an einem galaktischen „Eurovision Song Contest“, um der galaktischen Zivilisation beizutreten – im Falle des letzten Platzes würden die Menschen für “nicht bewusst“ erklärt und im Zuge dessen ausgelöscht werden. Leider sind aber die potentiellen Sänger oder Gruppen nicht wirklich überzeugend, so dass eine turbulente, bisweilen chaotische Handlung entsteht. Ein durchaus witziger Roman, der mit dem Versuch der Autorin begann, Amerikanern den Song Contest der Eurovision zu erklären. Aber ein potentieller Gewinner für den Hugo? Nein.
Die anderen zwei sind nicht mein Ding.
#Revenant Gun# ist der dritte Teil der mit #Ninefox Gambit# und #Raven Stratagem# angelegten Machineries-of-Empure-Trilogie. Die Teile 1 und 2 waren auch jeweils für den Hugo nominiert. Weiterhin: gut geschrieben, doch mag ich weder die Idee einer Handlung, die auf dem Glauben an einen imperialen Kalender basiert, noch halte ich den Roman besser als sein beiden Vorgänger.
#Trail of Lightning#. Im letzten Jahr den HUGO Award für die beste Short Story gewonnen, in diesem Jahr Kandidat für den besten Roman. Rebecca Roanhorse und ihr Schreibstil ist gerade en vogue. Leider, wie ich sagen muss, habe ich noch nicht den rechten Zugang gefunden. Schon das letztjährige #Welcome to Your Authentic Indian Experience# fand ich nicht so gut – und wurde etwas überrascht, dass es als Gewinner aus dem Wettbewerb hervorging.
Dieses Jahr hatte ich den Roman begonnen – und nach wenigen Seiten beiseitegelegt. Da war mir aber die Autorschaft noch gar nicht klargeworden. Bevor der Preis für den besten Roman wieder an sie geht, werde ich noch einen zweiten Versuch starten. Bis dahin bleibt das Buch auf meiner persönlichen Hitliste aber weiterhin auf dem letzten Platz.
#######################################
Best Novella (Nummern geben mein Ranking an)
#######################################
Ja ja, an dieser Stelle bricht mein Wiederstand gegen Fortsetzungen selbst komplett zusammen. Meine Favoriten sind alles eindeutige Fortsetzungsromane. Aber was solls. Hier meine Meinung in der Reihenfolge der Stimmabgabe…
1) #Artificial Condition#, von Martha Wells (Tor.com publishing)
Martha Wells geniale Fortsetzungsserie (Preisträger schon im letzten Jahr) über einen Kampfroboter („Mörderbot“), der sich illegaler Weise seiner ihn steuernden Softwaresicherungen entledigt hat, der ethische Grundüberlegungen anstellt und in seiner Freizeit endlose Fehrnsehserien konsummiert, ist so erfrischend neu und interessant, dass ich wahrscheinlich jeden der in schneller Folge erscheinenden Titel auf Platz 1 gesetzt hätte. Hier spielt die Handlung um eine Gruppe von Archäologen, die von ihrem Contractor betrogen wurden, und die von diesem schließlich umgebracht werden sollen, um eine Entdeckung auf einem Planeten geheim zu halten.
Hört sich banal an, ist aber spannend und gut geschrieben.
Beneath the Sugar Sky, von Seanan McGuire (Tor.com publishing)
Wenn der erste Teil schon seinen HUGO bekommen hat (2017 „Every Heart a Doorway“), dann wäre auch der 3. Teil der Geschichte durchaus einen Preis wert. Hier haben wir die Fortsetzung über die Welten, zu denen manchmal geöffnete Türen führen, und Kinder ihren Weg in andere Leben finden. Die Handlung ist ohne Spoiler nur schwierig zu erläutern, und so lasse ich es an dieser Stelle einfach. Fantasy mit High Logic.
Warum ich ihn nicht auf Platz 1 gesetzt habe? Weil es Romane gibt, bei denen besser die offen gebliebenen Lücken unausgefüllt bleibe. Beaneath the Sugar Sky ist interessant, es erklärt aber Dinge in „Every Heart a Doorway“ die vielleicht besser nicht erklärt werden sollten. Die niedergeschriebene „Realität“ ist eben manchmal profan.
2) #The Black God’s Drums#, von P. Djèlí Clark (Tor.com publishing)
Ein bisschen Parallelwelt, ein bisschen Cyber Punk (Luftschiffe im vorletzten Jahrhundert in den Südstaaten!), ein bisschen Mystery, ein bisschen Fantasy, eine weiblicher Superheldin – eine tolle Geschichte im New Orleans einer ferner Parallelwelt.
Richtig gut schrieben, spannend, unterhaltsam und gutes Ende. Nicht schlecht. (Und wohl der Beginn einer ganzen Reihe in diesem Setting)
3) #The Tea Master and the Detective#, von Aliette de Bodard (Subterranean Press / JABberwocky Literary Agency)
Sherlock Holmes meets Weltraumfahrt und Schiffs-AIs. Eine Who-Done-it Geschichte in einer fernen Zukunft. Interessanter Ansatz. Nicht so mein Ding, aber durchaus ein würdiger Shortlist-Vertreter.
4) #Gods, Monsters, and the Lucky Peach#, von Kelly Robson (Tor.com publishing)
Dieses Buch lag für mich während des Lesens lange auf einer Pole Position für den Platz 1. Zukünftige Projektmanager versuchen ökologische Katastrophen zu beseitigen. Die kanadische Autorin ist sehr offensichtlich selber Projektmanager (ich bin‘s auch, und sie weiß, wovon sie schreibt…). Dazu Zeitreise, Bodymodifikation, Hightechverbindungen zu sozialen Systemen. Und ein interessanter Plot… Sah wirklich gut aus!
Doch die Idee der Geschichte (angeblich ist in der Vergangenheit keine Änderung der aktuellen Realität möglich, die Parallelwelt der Zeitreisenden kollabiert sofort nach Verlassen des Zielpunktes wieder), dass diese Änderungen doch dauerhaft sind (dazu ein betrügerischer Abgesandter eines Großunternehmens, der über Leichen geht) ist für den Leser schnell zu durchschauen. So wartet man also über 150 Seiten lang auf den Schluss, der das Ganze sauber auflöst – und wird mit einem offenen Ende alleingelassen…
What the heck?? Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Autorin ebenfalls kein guter Schluss eingefallen ist.
Und auch ein ethisches Problem bleibt gänzlich ungelöst. Was soll moralisch der Unterschied sein zwischen dem Quälen oder Töten von Menschen in einer Parallelwelt, je nachdem ob die Parallelwelt einfach wieder nach Rückkehr aus der Vergangenheit verschwindet, oder ob sie weiterbesteht? Die Restdauer des möglichen Lebens der Betroffenen? Oha, das ist ethisch eine ganz schiefe Bahn…
Aber sonst gut geschrieben und mit interessanten Ideen versehen. Deswegen auch ein würdiger Vertreter der Short List.
5. #Binti: The Night Masquerade#, von Nnedi Okorafor (Tor.com publishing)
Für mich schon beim letzten Mal ein hinterer Platz. Ein Roman, der in einzelne Scheiben geschnitten wird, und an (willkürlichen?) Stellen mit einem Cliffhanger endet? Das ist eine Beleidigung des Lesers. Für mich ist diese Fortsetzungsgeschichte durch und bekommt bei mir (trotz teilweise guter Schreibe) den letzten Platz. Sorry!
Novelettes und Short Story folgen im nächsten Teil!
Und da sind wir wieder!
Der diesjährige Worldcon steht an, und damit auch die Hugo Awards im Bereich Science-Fiction und Fantasy für die besten Romane, Kurzgeschichten, Medien, Fanzines, Comic und was der Kategorien mehr sind.
Für die Nicht-Science-Fiction und Fantasy-Fraktion: Es handelt sich dabei um einen seit Jahrzehnten vergebenen Preis, bei dem die tausenden Teilnehmer des jährlichen SF-Weltkongresses, dem SF-Worldcon, stimmberechtigt sind. Und wenn nicht diese Hardcore Fans wissen, was im vergangenen Jahr gut war, wer dann?
Und, ja, ich gehöre auch zu dieser Kategorie und bin daher seit Jahren vorschlags- und stimmberechtigt.
Natürlich gibt es da für den Nichtamerikaner ein kleines Problem: Wie auch bei den Filmen und den OSCARS, ist der HUGO (nach dem Pulp-Herausgeber Hugo Gernsbach benannt) eine amerikanische, bestenfalls noch britische Angelegenheit. Man mag das bedauern und bejammern (und es gibt auch wohlgesetzte Ausnahmen, wie der chinesische Preisträger von 2015, Cixin Liu mit "Die drei Sonnen"- aber innovative Science-Fiction erscheint in der Masse zuvörderst in den USA. Dort gibt es die Infrastruktur, die Heftmagazine für Kurzgeschichten, die vielen SF-Autoren einen nebenberuflichen Einstieg gaben. Es gibt die Millionen englischsprachigen Leser. Und wahrscheinlich auch den Druck, gutes abzuliefern oder unterzugehen.
Man mag von den USA halten was man will: Trends in der SF haben in der Mehrzahl die nordamerikanischen Kollegen gesetzt.
Aber diese angelsächsische Zentriertheit erfordert oftmals das Lesen im Original. War dies vor einem Jahrzehnt schlichtweg nicht möglich, weil amerikanische Buchausgaben, wenn überhaupt, nur über komplizierte Bestellwege erhältlich (und mit exorbitanten Preisen versehen) waren, so hat sich das Bild inzwischen doch deutlich gewandelt. AMAZON liefert mir binnen 2-3 Tage jedes amerikanische Buch zu einem Preis, der im Schnitt nur halb so hoch ist wie eine spätere deutsche Ausgabe. Und was nicht in Papierform erhältlich ist, wird im Romanbereich als kindle-Ausgabe angeboten: 3-4 Euro für einen Roman oder Langroman sind eine Ansage.
Auch dies mag man mit Blick auf das Produkt "Buch" bedauern und zwiespältig sehen, doch es beendet auch die Zeiten, wo Leute wie ich in seeligen Jungjahren die monatliche Lieferung der deutschen SF-Neuerscheinungen im Abo bei TRANSGALAXIS nicht bezahlen konnten…
Zurück zum aktuellen Jahr.
Da findet der Worldcon 2019 in akzeptabler Reichweite in Irland statt – und was mache ich? Ich fahre mit der Familie in Urlaub nach Schweden und werde keine Zeit haben, Irland einen Besuch abzustatten…
Wie seit Jahren üblich, arbeitete ich mich auch dieses Jahr durch die Kategorien Novel, Novella (langer Roman, kurzer Roman), Novelette und Short Story (langer Kurzgeschichte, kurze Kurzgeschichte) und nehme mir vor, ein paar Kommentare und Voraussagen zu den aktuellen Nominees abzugeben – und natürlich auch am Voting selbst teilzunehmen.
Wie immer werden die Ergebnisse der Hugos darüber entscheiden, welche Romane bald auch ins Deutsche übersetzt werden. Wobei sich mit der in den letzten Jahren aufgekommenen Tendenz, immer mehr Fortsetzungen von Romanen zu nominieren und der damit verbundenen Taktik der deutschen Verlage, die Rechte für die Fortsetzungen von Romanen proaktiv zu kaufen, die Lage sich teilweise für den deutschen Leser etwas entspannt hat.
Was ist allgemein zum HUGO-Jahrgang 2019 zu sagen?
Nun:
Die Luft der vergangenen Jahre ist etwas raus. Hatten wir in den letzten Jahren stark besetzte Kandidatenfelder, so schwächelt in diesem Jahr die Nominierungsliste. Gerade bei den Novelettes und Short Stories finde ich die nominierten Werke tendenziell schwach. Wenig innovative Ideen, wenig überraschende Settings. War homosexuelle Beziehungen und gendergerechte Sprache in SF-Stories (je nach Sichtweise) Aufreger oder Befreiung, so hat es in diesem Jahr (zumindest in meinem Empfinden) manchmal fast etwas Pflichtschuldiges.
Ich habe mal wieder, bis auf eine Ausnahme, alles gelesen. Aber es war in einigen Fällen tatsächlich (für mich: ist natürlich alles subjektiv) harte Arbeit. Einige Kandidaten waren für mich so schwach, dass ich zum ersten Mal überlegt habe, meine persönliche subjektive Meinung nicht überall in eine Voting-Platzierung umzusetzen. Vielleicht bin ich aber auch nur einfach überarbeitet und deswegen etwas ungnädig…
Gehen wir‘s also mal durch:
#######################################
Best Novel (die Nummer gibt mein Voting an)
#######################################
1) #Record of a Spaceborn Few#, von Becky Chambers (Hodder & Stoughton / Harper Voyager) Dtsch: Unter uns die Nacht
2) #Spinning Silver#, von Naomi Novik (Del Rey / Macmillan) Dtsch: Das kalte Reich des Silbers
3) #The Calculating Stars#, von Mary Robinette Kowal (Tor)
4) #Space Opera#, von Catherynne M. Valente (Saga) Dtsch: Space Opera: Der metagalaktische Grand Prix
5) #Revenant Gun#, von Yoon Ha Lee (Solaris)
6) #Trail of Lightning#, von Rebecca Roanhorse (Saga) Dtsch: Das erwachte Land – Jägerin des Sturms
Jahrelang galt es als bei den HUGO Awards als gute Regel, dass Fortsetzungen von Romanen keine guten Kandidaten für den HUGO wären. Diese Übung ist in den letzten 3 Jahren mit dem dreifachen Gewinn von N.K. Jemisin’s „Fifth Season“-Romanen wohl endgültig gestorben.
Und so ist auch mein Kandidat für den HUGO Award zumindest ein Buch aus einem Universum, dass von Becky Chambers als das „Wayfarer Univers“ entwickelt wurde („Journey to a small and angry Planet“) und vage als Fortsetzungen durchgehen könnte.
Aber der Roman steht gut für sich allein, und er bietet tatsächlich etwas Neues.
Hintergrund sind die Wayfarer, eine Gruppe von Generationenraumschiffen mit Millionen von Erdbewohnern, die dem ökologischen Untergang der Erde entkommen sind, und die nach Generationen des Fluges durch das Weltall auf eine die Galaxie besiedelnde Gruppe von Aliens treffen, die sie mit Technologie und der Möglichkeiten versehen, neue Planeten als Heimat zu finden. Trotzdem bleiben die Menschen lieber in ihren Generationenraumschiffen, die gemeinsam unbewohnbare Welten umkreisen.
Die Fragen, die sie in der Handlung aufwirft und diskutiert, sind interessant. Wie muss sich eine Gesellschaft entwickeln, die über Generationen hinweg statisch an Bord eines Raumschiffes lebt? Welche Änderungen in politischem, moralischem, religiösem oder ganz allgemein menschlichem Verhalten ergeben sich aus diesen Randbedingungen?
Chambers entwickelt daraus ein Modell einer geschlossenen Gemeinschaft, bei der persönliche Verwirklichung oder individueller Narzismus dem Gemeinleben geopfert werden muss. Ein erzwungenes sozialistisches oder Kibbuz-ähnliches Modell, das sich sehr realistisch anfühlt.
Der interessante Punkt ist dabei aber die Frage, was mit der neuen jungen Generation passiert, die in einem plötzlich offenen Universum aufwächst. Freiwilliges einfügen in die bestehende Gesellschaftsform, oder aufbegehren und Suche nach den neuen Möglichkeiten im Universum?
Clever gemacht, durchaus mit manchen Längen, die die Handlung nicht so recht vorantreiben. Aber ein solides, interessantes und auch spannendes Stück SF, das mir ausnehmend gut gefällt. Mein Kandidat für den Sieg.
Auf Platz zwei setze ich als Kontrastprogramm eine lupenreine Fantasygeschichte von Naomi Novik, die einen Teil ihres Spins aus der Sichtweise der jüdischen Gemeinden im alten Russland zieht, bei der wirtschaftlicher Erfolg und Pogrome eng beieinanderliegen. Gut gemacht.
The #Calculating Stars# spielen im Lady-Astronaut-Universum, und sind eine Parallel-Welt-Geschichte über die Eroberung des Weltalls durch weibliche Astronauten. Leider werde ich mit dem Stil von Mary Robinette Kowal nicht wirklich warm, und die Grundidee ist doch sehr stark an der „Hidden Figures“ Film angelehnt. Doch, man muss es anerkennen, handwerklich sehr gut gemacht, so dass ich es an dieser Stelle auf Platz 3 setzen möchte.
#Space Opera# ist ein Roman über die Teilnahme der Erde an einem galaktischen „Eurovision Song Contest“, um der galaktischen Zivilisation beizutreten – im Falle des letzten Platzes würden die Menschen für “nicht bewusst“ erklärt und im Zuge dessen ausgelöscht werden. Leider sind aber die potentiellen Sänger oder Gruppen nicht wirklich überzeugend, so dass eine turbulente, bisweilen chaotische Handlung entsteht. Ein durchaus witziger Roman, der mit dem Versuch der Autorin begann, Amerikanern den Song Contest der Eurovision zu erklären. Aber ein potentieller Gewinner für den Hugo? Nein.
Die anderen zwei sind nicht mein Ding.
#Revenant Gun# ist der dritte Teil der mit #Ninefox Gambit# und #Raven Stratagem# angelegten Machineries-of-Empure-Trilogie. Die Teile 1 und 2 waren auch jeweils für den Hugo nominiert. Weiterhin: gut geschrieben, doch mag ich weder die Idee einer Handlung, die auf dem Glauben an einen imperialen Kalender basiert, noch halte ich den Roman besser als sein beiden Vorgänger.
#Trail of Lightning#. Im letzten Jahr den HUGO Award für die beste Short Story gewonnen, in diesem Jahr Kandidat für den besten Roman. Rebecca Roanhorse und ihr Schreibstil ist gerade en vogue. Leider, wie ich sagen muss, habe ich noch nicht den rechten Zugang gefunden. Schon das letztjährige #Welcome to Your Authentic Indian Experience# fand ich nicht so gut – und wurde etwas überrascht, dass es als Gewinner aus dem Wettbewerb hervorging.
Dieses Jahr hatte ich den Roman begonnen – und nach wenigen Seiten beiseitegelegt. Da war mir aber die Autorschaft noch gar nicht klargeworden. Bevor der Preis für den besten Roman wieder an sie geht, werde ich noch einen zweiten Versuch starten. Bis dahin bleibt das Buch auf meiner persönlichen Hitliste aber weiterhin auf dem letzten Platz.
#######################################
Best Novella (Nummern geben mein Ranking an)
#######################################
Ja ja, an dieser Stelle bricht mein Wiederstand gegen Fortsetzungen selbst komplett zusammen. Meine Favoriten sind alles eindeutige Fortsetzungsromane. Aber was solls. Hier meine Meinung in der Reihenfolge der Stimmabgabe…
1) #Artificial Condition#, von Martha Wells (Tor.com publishing)
Martha Wells geniale Fortsetzungsserie (Preisträger schon im letzten Jahr) über einen Kampfroboter („Mörderbot“), der sich illegaler Weise seiner ihn steuernden Softwaresicherungen entledigt hat, der ethische Grundüberlegungen anstellt und in seiner Freizeit endlose Fehrnsehserien konsummiert, ist so erfrischend neu und interessant, dass ich wahrscheinlich jeden der in schneller Folge erscheinenden Titel auf Platz 1 gesetzt hätte. Hier spielt die Handlung um eine Gruppe von Archäologen, die von ihrem Contractor betrogen wurden, und die von diesem schließlich umgebracht werden sollen, um eine Entdeckung auf einem Planeten geheim zu halten.
Hört sich banal an, ist aber spannend und gut geschrieben.
Beneath the Sugar Sky, von Seanan McGuire (Tor.com publishing)
Wenn der erste Teil schon seinen HUGO bekommen hat (2017 „Every Heart a Doorway“), dann wäre auch der 3. Teil der Geschichte durchaus einen Preis wert. Hier haben wir die Fortsetzung über die Welten, zu denen manchmal geöffnete Türen führen, und Kinder ihren Weg in andere Leben finden. Die Handlung ist ohne Spoiler nur schwierig zu erläutern, und so lasse ich es an dieser Stelle einfach. Fantasy mit High Logic.
Warum ich ihn nicht auf Platz 1 gesetzt habe? Weil es Romane gibt, bei denen besser die offen gebliebenen Lücken unausgefüllt bleibe. Beaneath the Sugar Sky ist interessant, es erklärt aber Dinge in „Every Heart a Doorway“ die vielleicht besser nicht erklärt werden sollten. Die niedergeschriebene „Realität“ ist eben manchmal profan.
2) #The Black God’s Drums#, von P. Djèlí Clark (Tor.com publishing)
Ein bisschen Parallelwelt, ein bisschen Cyber Punk (Luftschiffe im vorletzten Jahrhundert in den Südstaaten!), ein bisschen Mystery, ein bisschen Fantasy, eine weiblicher Superheldin – eine tolle Geschichte im New Orleans einer ferner Parallelwelt.
Richtig gut schrieben, spannend, unterhaltsam und gutes Ende. Nicht schlecht. (Und wohl der Beginn einer ganzen Reihe in diesem Setting)
3) #The Tea Master and the Detective#, von Aliette de Bodard (Subterranean Press / JABberwocky Literary Agency)
Sherlock Holmes meets Weltraumfahrt und Schiffs-AIs. Eine Who-Done-it Geschichte in einer fernen Zukunft. Interessanter Ansatz. Nicht so mein Ding, aber durchaus ein würdiger Shortlist-Vertreter.
4) #Gods, Monsters, and the Lucky Peach#, von Kelly Robson (Tor.com publishing)
Dieses Buch lag für mich während des Lesens lange auf einer Pole Position für den Platz 1. Zukünftige Projektmanager versuchen ökologische Katastrophen zu beseitigen. Die kanadische Autorin ist sehr offensichtlich selber Projektmanager (ich bin‘s auch, und sie weiß, wovon sie schreibt…). Dazu Zeitreise, Bodymodifikation, Hightechverbindungen zu sozialen Systemen. Und ein interessanter Plot… Sah wirklich gut aus!
Doch die Idee der Geschichte (angeblich ist in der Vergangenheit keine Änderung der aktuellen Realität möglich, die Parallelwelt der Zeitreisenden kollabiert sofort nach Verlassen des Zielpunktes wieder), dass diese Änderungen doch dauerhaft sind (dazu ein betrügerischer Abgesandter eines Großunternehmens, der über Leichen geht) ist für den Leser schnell zu durchschauen. So wartet man also über 150 Seiten lang auf den Schluss, der das Ganze sauber auflöst – und wird mit einem offenen Ende alleingelassen…
What the heck?? Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Autorin ebenfalls kein guter Schluss eingefallen ist.
Und auch ein ethisches Problem bleibt gänzlich ungelöst. Was soll moralisch der Unterschied sein zwischen dem Quälen oder Töten von Menschen in einer Parallelwelt, je nachdem ob die Parallelwelt einfach wieder nach Rückkehr aus der Vergangenheit verschwindet, oder ob sie weiterbesteht? Die Restdauer des möglichen Lebens der Betroffenen? Oha, das ist ethisch eine ganz schiefe Bahn…
Aber sonst gut geschrieben und mit interessanten Ideen versehen. Deswegen auch ein würdiger Vertreter der Short List.
5. #Binti: The Night Masquerade#, von Nnedi Okorafor (Tor.com publishing)
Für mich schon beim letzten Mal ein hinterer Platz. Ein Roman, der in einzelne Scheiben geschnitten wird, und an (willkürlichen?) Stellen mit einem Cliffhanger endet? Das ist eine Beleidigung des Lesers. Für mich ist diese Fortsetzungsgeschichte durch und bekommt bei mir (trotz teilweise guter Schreibe) den letzten Platz. Sorry!
Novelettes und Short Story folgen im nächsten Teil!
Der Beitrag wurde am Mittwoch, 14. August 2019 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Science Fiction abgelegt.
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