Es ist soweit: Die Saison hat begonnen!

So nenne ich für mich den Zeitpunkt, wenn die Nominierungen für die jährlichen HUGO-Awards für die besten SF- und Fantasy Bücher, Filme und Medien veröffentlicht werden.
Für die Nicht-Science-Fiction und Fantasy-Fraktion: Es handelt sich dabei um einen seit Jahrzehnten vergebenen Preis, bei dem die tausenden Teilnehmer des jährlichen SF-Weltkongresses, dem SF-Worldcon stimmberechtigt sind. Und wenn nicht diese Hardcore Fans wissen, was im vergangenen Jahr gut war, wer dann?
Und, ja, ich gehöre auch zu dieser Kategorie und bin daher seit Jahren vorschlags- und stimmberechtigt.

Natürlich gibt es da für den Nichtamerikaner ein kleines Problem: Wie auch bei den Filmen und den OSCARS, ist der HUGO (nach dem Pulp-Herausgeber Hugo Gernsbach benannt) eine amerikanishe, bestenfalls noch britische Angelegenheit. Man kann das bedauern und bejammern (es gibt auch wohlgesetzte Ausnahmen, wie der chinesische Preisträger von 2015, Cixin Liu mit "Die drei Sonnen") - aber innovative Science Fiction erscheint in der Masse zuvörderst in den USA. Dort gibt es die infrastruktur, die Heftmagazine für Kurzgeschichten, die vielen SF-Autoren einen nebenberuflichen Einstieg gaben. Es gibt die Millionen englischsprachigen Leser. Und wahrscheinlich auch den kapitalistischen Druck, Gutes abzuliefern oder als Autor unterzugehen.
Man mag von den USA halten was man will: Trends in der SF haben in der Mehrzahl die Nordamerokanischen Kollegen gesetzt.
Aber diese angelsächsische Zentriertheit erfordert das Lesen im Original. War dies vor einem Jahrzehnt schlichtweg nicht möglich, weil amerikanische Buchausgaben, wenn überhaupt, nur über komplizierte Bestellwege erhältlich (und mit exorbitanten Preisen versehen) waren, so hat sich das Bild inzwischen doch deutlich gewandelt. AMAZON liefert mir binnen 1-3 Tage jedes amerikanische Buch zu einem Preis, der im Schnitt nur halb so hoch ist wie eine spätere deutsche Ausgabe. Und was nicht in Papierform erhältlich ist, wird im Romanbereich als kindle-Ausgabe angeboten: 3 bis 4 Euro für einen Roman oder Langroman als eBook sind eine Ansage.
Auch dies mag man mit Blick auf das Papierprodukt "Buch" bedauern und zwiespältig sehen, doch es beendet auch die Zeiten, wo Leute wie ich in seeligen Jungjahren die monatliche Lieferung der deutschen SF-Neuerscheinungen im ABO bei TRANSGALAXIS nicht bezahlen konnten.
Bleibt trotzdem das sprachliche Problem. Aber das ist Übungssache.
Ich habe mit den Harry Potter Büchern angefangen, in englisch zu lesen. Was mir damals zu Anfang große Probleme bereitete, da ich als eher unterdurchschnittliches Fremdsprachentalent und notemmäßigen Minimalisten den Englischunterricht in der Schule definitiv als vermeidbare Nebensache betrachtet habe.
Mann kann englische Texte lesen, auch wenn einzelne Wörter einem nicht geläufig sind - der Zusammenhang hilft einem meist beim Verständnis. Das funktioniert aber nicht, wenn man jeder 3. Wort nachschlagen muss. Und dann kommt man als Schnellleser in der Deutschen Sprache nicht voran. Frustrierend.
Dies bedeutet, ein gewisser Grundwortschatz (ich schätze mal 2000-3000 Vokabeln) muss parat sein.
Hier hilft leider nur eins: Mach es zu Deinem Projekt!
Ich habe mir damals meine verstaubten Englischbücher geschnappt und die Vokabeln aus 9 Jahren Unterricht erneut (bzw. erstmalig...) gelernt.
Ich habe mir angewöhnt, jedes mir nicht bekannte englische Wort, dass ich in einem Buch oder in der Times, meiner Tageszeitung, finde, nachzuschlagen und in einem elektronischen Vokabelkarteikasten abzulegen. Und dann zu lernen. Seit 15 Jahren arbeite ich an meinen inzwischen 3000 Spezialvokabeln jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit eine Viertelstunde lang. Wiederholen, wiederholen, wiederholen...
Auch wenn dies mein alten Englischlehrer von mir nicht glauben und zu Tränen rühren würde - es funktioniert! Seit Jahren lese ich die SF im englischen Original.
Das macht auch aus einem anderen Grund durchaus Sinn. Leider erreicht selbst bei den HUGO-nominierten Romanen nur ein Teil den deutschen Markt als Übersetzung, in den letzten Jahren würde ich mal auf weniger als 40% schätzen. Von den stilbildenden und Trends setzenden Kurzgeschichten mal ganz zu schweigen - diese bekommt hierzulande kaum einer je zu Gesicht.
Und die Übersetzungen ins Deutsche sind, ich muss es leider sagen, von sehr unterschiedlicher Qualität. Übersetzungen sind keine gut bezahlte Arbeit, und SF oder Fantasy macht es nicht leichter, da man hier oft mit Kunstwörtern oder mit an reale Ausdrücke angelehnte Variationen arbeitet. Das zu erkennen und im Deutschen eine vergleichbare Konstruktion zu finden, läßt einen Übersetzer nur schwer auf die für die Sicherung des Lebensunterhaltes notwendige Zahl von übersetzten Wörter pro Stunde kommen.
Ich behaupte auch nicht, dass ich es besser könnte. Ich muss jedoch feststellen, dass gerade in der SF sehr oft die "Stimmung" des Originales in der Übersetzung irgendwo verloren geht. Wenn aus lakonischen kurzen Sätzen bandwurmartige deutsche Satzkonstrukte werden, ist an irgendeiner Stelle etwas grundsätzlich schief gegangen. Ein Grund mehr, auf das Original zurückzugreifen.
Dabei ist das HUGO-Preiskommittee in der Richtung "Informationsbereitstellung" sehr löblich. Man versucht, jedes Jahr allen Abstimmungsberechtigten das "Voter-Package" zukommen zu lassen: Alle Kandidaten (auch die Comix!) werden als eBook-Version kostenlos (!) zur Verfügung gestellt. Ein Win-Win für alle Beteiligten. Bei den kurzen Sachen findet ein Nominierter plötzlich einen riesigen Interessentenbereich und macht Werbung für frühere oder zukünftie Veröffentlichungen. Und für die Autoren der Buchwerke scheint der Werbeeffekt den potentiellen Verlust von Käufern aufzuwiegen.
Dieses Paket liegt aber immer erst sehr spät vor, so dass ich darauf nur für die schneller zu lesenden Kurzgeschichten und Novelettes zurückkomme und versuche, die Romane schon vorab zu lesen. Und vielleicht habe ich sie sogar schon aus eigenem Antrieb gekauft und verschlungen (in diesem Jahr tatsächlich zwei: Martha Wells "Artificial Condition" und Seanan MacGuires "Beneath the Sugar Sky").
lch lese inzwischen mit einer akzeptablen Geschwindigkeit, so dass ich neben den 12 nominierten Short Stories und Novellettes auch die nominierten Romanen im Bereich Novel (langer Roman) und Novella (kürzerer Roman mit max ca 200 Seiten) bis zum Ende der Teilnahmefrist durchbekomme.
Nach soviel Vorrede: Was hat die diesjährige Parade im Bereich der Romane zu bieten:
Best Novel

⦁ The Calculating Stars, by Mary Robinette Kowal (Tor)
⦁ Record of a Spaceborn Few, by Becky Chambers (Hodder & Stoughton / Harper Voyager)
⦁ Revenant Gun, by Yoon Ha Lee (Solaris)
⦁ Space Opera, by Catherynne M. Valente (Saga)
⦁ Spinning Silver, by Naomi Novik (Del Rey / Macmillan)
⦁ Trail of Lightning, by Rebecca Roanhorse (Saga)

Best Novella

⦁ Artificial Condition, by Martha Wells (Tor.com publishing)
⦁ Beneath the Sugar Sky, by Seanan McGuire (Tor.com publishing)
⦁ Binti: The Night Masquerade, by Nnedi Okorafor (Tor.com publishing)
⦁ The Black God’s Drums, by P. Djèlí Clark (Tor.com publishing)
⦁ Gods, Monsters, and the Lucky Peach, by Kelly Robson (Tor.com publishing)
⦁ The Tea Master and the Detective, by Aliette de Bodard (Subterranean Press / JABberwocky Literary Agency)


Ich werde in regelmäßigen Abständen die Bücher besprechen und meine persönlichen Siegerkandidaten begründen.

Klaus Marion, im April 2019
Der Beitrag wurde am Freitag, 26. April 2019 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Science Fiction abgelegt.
'HUGO 2019 - die Nominierten'

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