Schöner wählen
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 3/2014

Schon bei den nächsten Kommunalwahlen soll es gelten: Auf den Stimmzetteln in Rheinland Pfalz wird ein Hinweis aufgedruckt, der nachdrücklich daran erinnert, dass nach dem Grundgesetz Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Und man dies bitte bei der Abgabe der Stimme durch entsprechendes Wahlverhalten berücksichtigen soll. Das ist ein löbliches Vorhaben. Und absolut ausbaufähig…

Ich betrat einmal wieder das Wahlbüro. Die Damen und Herren des Wahlvorstands saßen wie immer an einer langen Reihe von Tischen, im Hintergrund waren mehrere Wahlkabinen zu sehen. Ich zeigte meine Benachrichtigungskarte vor und wollte schon nach dem Wahlzettel greifen, als mich die freundliche Dame zurückhielt.
"Soll ich Ihnen den Wahlzettel erläutern?"
Ich starrte sie an.
"Nun, ich mache meine Kreuzchen, und dann werfe ich ihn in die Box ein. Bisher hatte ich damit noch nie Probleme."
Sie blickte mich tadelnd an.
"Nun, diesmal ist es etwas komplizierter. Sehen sie hier…"
Sie entfaltete einen Wahlzettel in der Größe eines Bravo-Starschnitts.
"Das hier unten kennen Sie ja schon. Die Parteien, dazu die Kandidaten. Sie können mehrere Stimmen vergeben. Neu ist aber der Hinweis auf ein ordentliches Wahlverhalten!"
"Bitte?" Ich starrte auf eine große Überschrift in Balkenlettern: 'Bitte wählen Sie gleichberechtigt!'
"Muss ich denn gleich viele Männer und Frauen wählen?"
"Nein! Müssen nicht. Sollten aber! Bedenken Sie, dass die Gleichberechtigung Verfassungsrang hat. Um es Ihnen leichter zu machen, haben wir die Kandidaten auf dem Stimmzettel eingefärbt. Rot ist weiblich, Blau ist männlich, gelb ist sonstige."
"Und diese Prozentzahlen neben den Parteien?"
"Das zeigt Ihnen an, wieviel Prozent der Kandidaten der jeweiligen Partei männlich oder weiblich sind. Nur so als Hinweis."
Ich versuchte aus dem Gewirr von Angaben und Pfeilen schlau zu werden.
"Und diese farbigen Markierungen neben den Kandidatennamen?"
"Ja, das haben wir aufgrund eines Vorschlags des Vereins gegen Altersdiskriminierung angebracht. Sie wissen ja: Eine Diskriminierung aufgrund des Alters ist nach EU-Recht nicht erlaubt! Um hier dem Wähler eine kleine Hilfe zu geben, haben wir die Altersgruppe des Kandidaten als Hinweis hinzugefügt. Dazu eine Kennzeichnung, wie hoch der Anteil der Menschen der verschiedenen Altersgruppen in der Bevölkerung ist. Schließlich wollen wir ja niemanden benachteiligen!"
"Und diese kleinen Schutzhelme bei den Namen??"
"Das symbolisiert die Berufsgruppe. Eine gleichmäßige Durchmischung unter Berücksichtigung der Bevölkerungsanteile ist bei einer Wahl ein Gebot der Gerechtigkeit: Der Helm steht für Arbeiter und Angestellte, der Geldstapel für Selbständige, das Kissen für Beamte."
"Und diese Tiere?"
"Ein Appell des Deutschen Tierschutzbundes. Hier wird markiert, welcher der Kandidaten durch Besitz eines Haustiers den repräsentativen Charakter des Stadtparlaments in Bezug auf den Tierschutz wirkungsvoll vertreten kann."
"Und da sind noch diese Pfeile…"
"Da geht es um die Frage der konsequent gerechten Besetzung nach Schulbildung. Gerade die Unterrepräsentierung von kleineren Schulabschlüssen ist ein Verstoß gegen das Gebot der gleichen Chancen. Wir haben hier für alle Kandidaten den Schulabschluss sowie die Anteile je Partei aufgelistet."
Ich blinzelte.
"Und der kleine Mond?"
"Religiöse Zugehörigkeit. Eine Benachteiligung nach Glauben darf nicht passieren. Hier sollte ebenfalls eine repräsentative Durchmischung angestrebt werden. Die Symbole dienen zu Ihrer Orientierung!"
"Aber, warum sind hier einige Kreise vor den Namen dicker als die anderen?"
"Eine Initiative von 'Keine Benachteiligung aufgrund von Äußerlichkeiten'. Im Bereich einer Wahl sollten Sachargumente eine Rolle spielen, und nicht irgendwelche subjektiven Einschätzungen aufgrund des optischen Eindrucks. Aus diesem Grund hat ein Sachverständigengremium das Aussehen der Kandidaten geprüft. Personen, die nicht so gut aussehen, werden gerne unbewusst diskriminiert. Um hier wachzurütteln, wurden optisch Unterprivilegierte entsprechend gekennzeichnet. Bitte bevorzugt wählen."
"Und diese Hasen hier?"
"Ein Hinweis auf die sexuelle Orientierung. Es wird empfohlen, bei der Wahl die Kreuze so zu setzen, dass eine repräsentative Verteilung Ihrer Stimmabgabe erreicht wird!"
Ich schluckte.
"Das ist doch völliger Quatsch! Wie soll man das denn alles gerecht berücksichtigen??"
"Deswegen hat die Landesregierung bereits Musterstimmzettel für alle Bevölkerungsgruppen vorbereitet. Lassen Sie mich mal schauen: Ja, hier ist ein fertiger Stimmzettel für "Satiriker mittleren Alters". Den sollten Sie nehmen. Alle relevanten Kandidaten sind bereits in einem angemessenen Verhältnis parteienübergreifend angekreuzt. Mit diesem Stimmzettel haben Sie sozial und gleichberechtigt ein gutes Gewissen!"

"Und wo bleibt denn da die freie Wahl? Kann ich nicht einfach ein Kreuz bei der Partei und der Person machen, die ich wählen möchte?"
"Ich bitte Sie! Ein bisschen Verantwortung müssen Sie für die Demokratie schon übernehmen!"
Der Beitrag wurde am Samstag, 5. April 2014 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Schöner wählen - Satire in VorSICHT März 2014'

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