Der Einkaufswagen
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 8/2012
Zu den regelmäßig völlig unterschätzten Freuden des Lebens gehört der gemeinsame Einkauf der tagtäglichen Lebensmittel mit dem Lebenspartner. Nicht zusammen mit den Kindern – je nach Altersstufe sind solche Unternehmungen entweder absolut nervenzerreißend („ICH-WILL-SCHOKOLADEEEEEEEEE!“) oder ruinös („Ich habe mal die Playstation und den Blue-Ray-Player aus dem Sonderangebot eingepackt!“).
Nein, zusammen mit dem Partner in ruhiger Zweisamkeit die Lebensmittel für die Woche einkaufend, den Alltagstress vergessend, gemeinsam die Vorzüge eines gemütlichen abendlichen Essens mit Pasta und Käse oder eines guten Rumpsteaks mit Pfeffersoße abwägend. Nicht zu vergessen die hochspannenden Entscheidungen im Bereich Chablis oder Chardonnay. Die Welt könnte so schön sein.
Leider hat das Schicksal dabei den Einkaufswagen nicht berücksichtigt.
Lange Jahre war im städtischen Supermarkt das Mittel der Wahl zur Zwischenlagerung der aus den Regalen entnommenen Waren der Einkaufskorb. Das hatte seine guten Gründe. Im Gegensatz zum Superstore auf der grünen Wiese haben die kleineren Pendants innerhalb der Stadtgrenzen nur beschränkten Platz zur Verfügung. Zudem glaubte man, dass hier eher kleinere Mengen eingekauft würden, so dass dies ein völlig geeignetes Instrument zur Einkaufsbewältigung zu sein schien.
Doch bald hatten die Marketingstrategen erkannt, dass ein Einkaufswagen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil bieten: Man muss ihn nicht tragen und hat damit beide Hände frei, Sonderangebote in großen Mengen in das Gefährt zu schaufeln. Also verschwand der Einkaufskorb (es gibt ihn manchmal als Minivariante mit der Grundfläche eines großen Buches) aus den Geschäften.
Inzwischen ist man offensichtlich der Meinung, dass auch dies nicht mehr ausreichend ist. Im Supermarkt meines Vertrauens sind die Einkaufswagen inzwischen ca 2 Meter lang, gefühlt mindestens einen Meter breit und mit allerhand ausklappbaren Vorrichtungen versehen, um Kleinkinder, Kisten und Tüten daran zu befestigen. Von der Höhe dieser Gefährte ganz zu schweigen. Immer wieder beobachte ich an den Kassen kleinwüchsiger geratene Menschen, die voller Verzweiflung über dem Rand Ihres Einkaufswagens hängen, um an die in der Tiefe des Grundes abgelegten Einkäufe zu gelangen.
Diese Geräte sind fahrende Verkehrsblockaden.
Kaum betrete ich mit meiner Frau den Supermarkt, übernehme ich sicherheitshalber die Steuerung des für uns völlig überdimensionierten Gefährts. Nicht dass ich das müsste. Meine Frau findet überhaupt nichts dabei, während ihres Einkaufs den Wagen einfach mitten im Gang stehen zu lassen, um die Vorzüge eines Cheddars 200g gegen den eines Tilsiters geschnitten genauestens abzuwägen. Während dieses einkaufstechnischen wichtigen Augenblicks blockiert das vierrädrige Monster den kompletten Gang sowie die halbe Kühltheke. Hinter meiner Gattin tun sich Menschenschlangen auf, die je nach Temperament mit leidender Miene oder mordlustigem Blick diese Vollsperrung der Einkaufsstraße betrachten.
Das ist der Moment, wo ich die Situation dann mental nicht mehr ertrage und mit einem verbindlich-entschuldigenden Lächeln den Wagen an mich nehme und beiseiteschiebe.
Das heißt, ich würde dies tun, wenn dort nicht bereits derartige Fahrzeuge herrenlos geparkt wären. Also schiebe ich weiter bis zur nächsten Kreuzung und biege links ab. Leider stoße ich dort mit einem als riesiges Plastikauto getarnten Einkaufswagen zusammen, dessen wild an der wirkungslosen Steuerung kurbelndes Kleinkind prompt zu heulen anfängt.
Ich entschuldige mich wortreich bei der Mutter und fädle mich rückwärts wieder in den Hauptverkehrsstrom der Einkäufer ein, verzweifelt nach einer möglichen Parkbucht suchend. Da! Vor den Sonderangebotsschütten mit heimischer Salami 1a fahre ich rechts ran und bleibe aufatmend stehen.
„Entschuldigung junger Mann, können Sie mal weggehen? Ich komme hier nicht dran.“ Eine ältere Dame knallt mir ihren Wagen in die Hacken, während ich schuldbewusst weiter schiebe. Jetzt stecke ich in einem Stau fest. 10 Einkaufswagen, alle von einkaufenden Frauen gehalten, die sich ohne um den Rest der Welt zu kümmern, interessiert Produktdetails studieren. Ich bleibe ebenfalls stehen. Wenn sich hier keiner um den Hintermann kümmert, dann brauche ich das auch nicht zu tun.
Ich starre blicklos auf die Regale. Wo bin ich hier eigentlich?
„He Sie da! Wenn Sie gar nichts einkaufen wollen, stehen sich nicht bloß rum und blockieren den Weg. Was suchen Sie überhaupt bei den Damenhygieneartikeln?“
Ich schiebe eilig meinen Wagen weiter. Irgendwo muss es doch eine Möglichkeit geben, ungestraft zu halten. Nichts. Und wo ist eigentlich meine Frau? Da, eine Abzweigung nach rechts…
Ich stehe im Lager. Wohltuende Stille. Links und rechts neben mir ein halbes Dutzend Ehemänner, alle mit fast leeren Einkaufswagen, alle auf der Suche nach einem Parkplatz im Laden. Ich bleibe aufatmend stehen. Endlich. Ein Leidensgenosse lässt eine Flasche Chianti kreisen. Ich atme tief ein. Hier kann ich bleiben. Nach einer Viertelstunde beschließe ich, wieder zurück ins Geschäft zu begeben.
Meine Frau sucht mich schon empört.
„Wo bist Du denn? Kannst Du nicht einfach mit dem Wagen in der Nähe bleiben? Wie soll man denn da einkaufen?“
Das wüsste ich auch gerne.
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 8/2012
Zu den regelmäßig völlig unterschätzten Freuden des Lebens gehört der gemeinsame Einkauf der tagtäglichen Lebensmittel mit dem Lebenspartner. Nicht zusammen mit den Kindern – je nach Altersstufe sind solche Unternehmungen entweder absolut nervenzerreißend („ICH-WILL-SCHOKOLADEEEEEEEEE!“) oder ruinös („Ich habe mal die Playstation und den Blue-Ray-Player aus dem Sonderangebot eingepackt!“).
Nein, zusammen mit dem Partner in ruhiger Zweisamkeit die Lebensmittel für die Woche einkaufend, den Alltagstress vergessend, gemeinsam die Vorzüge eines gemütlichen abendlichen Essens mit Pasta und Käse oder eines guten Rumpsteaks mit Pfeffersoße abwägend. Nicht zu vergessen die hochspannenden Entscheidungen im Bereich Chablis oder Chardonnay. Die Welt könnte so schön sein.
Leider hat das Schicksal dabei den Einkaufswagen nicht berücksichtigt.
Lange Jahre war im städtischen Supermarkt das Mittel der Wahl zur Zwischenlagerung der aus den Regalen entnommenen Waren der Einkaufskorb. Das hatte seine guten Gründe. Im Gegensatz zum Superstore auf der grünen Wiese haben die kleineren Pendants innerhalb der Stadtgrenzen nur beschränkten Platz zur Verfügung. Zudem glaubte man, dass hier eher kleinere Mengen eingekauft würden, so dass dies ein völlig geeignetes Instrument zur Einkaufsbewältigung zu sein schien.
Doch bald hatten die Marketingstrategen erkannt, dass ein Einkaufswagen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil bieten: Man muss ihn nicht tragen und hat damit beide Hände frei, Sonderangebote in großen Mengen in das Gefährt zu schaufeln. Also verschwand der Einkaufskorb (es gibt ihn manchmal als Minivariante mit der Grundfläche eines großen Buches) aus den Geschäften.
Inzwischen ist man offensichtlich der Meinung, dass auch dies nicht mehr ausreichend ist. Im Supermarkt meines Vertrauens sind die Einkaufswagen inzwischen ca 2 Meter lang, gefühlt mindestens einen Meter breit und mit allerhand ausklappbaren Vorrichtungen versehen, um Kleinkinder, Kisten und Tüten daran zu befestigen. Von der Höhe dieser Gefährte ganz zu schweigen. Immer wieder beobachte ich an den Kassen kleinwüchsiger geratene Menschen, die voller Verzweiflung über dem Rand Ihres Einkaufswagens hängen, um an die in der Tiefe des Grundes abgelegten Einkäufe zu gelangen.
Diese Geräte sind fahrende Verkehrsblockaden.
Kaum betrete ich mit meiner Frau den Supermarkt, übernehme ich sicherheitshalber die Steuerung des für uns völlig überdimensionierten Gefährts. Nicht dass ich das müsste. Meine Frau findet überhaupt nichts dabei, während ihres Einkaufs den Wagen einfach mitten im Gang stehen zu lassen, um die Vorzüge eines Cheddars 200g gegen den eines Tilsiters geschnitten genauestens abzuwägen. Während dieses einkaufstechnischen wichtigen Augenblicks blockiert das vierrädrige Monster den kompletten Gang sowie die halbe Kühltheke. Hinter meiner Gattin tun sich Menschenschlangen auf, die je nach Temperament mit leidender Miene oder mordlustigem Blick diese Vollsperrung der Einkaufsstraße betrachten.
Das ist der Moment, wo ich die Situation dann mental nicht mehr ertrage und mit einem verbindlich-entschuldigenden Lächeln den Wagen an mich nehme und beiseiteschiebe.
Das heißt, ich würde dies tun, wenn dort nicht bereits derartige Fahrzeuge herrenlos geparkt wären. Also schiebe ich weiter bis zur nächsten Kreuzung und biege links ab. Leider stoße ich dort mit einem als riesiges Plastikauto getarnten Einkaufswagen zusammen, dessen wild an der wirkungslosen Steuerung kurbelndes Kleinkind prompt zu heulen anfängt.
Ich entschuldige mich wortreich bei der Mutter und fädle mich rückwärts wieder in den Hauptverkehrsstrom der Einkäufer ein, verzweifelt nach einer möglichen Parkbucht suchend. Da! Vor den Sonderangebotsschütten mit heimischer Salami 1a fahre ich rechts ran und bleibe aufatmend stehen.
„Entschuldigung junger Mann, können Sie mal weggehen? Ich komme hier nicht dran.“ Eine ältere Dame knallt mir ihren Wagen in die Hacken, während ich schuldbewusst weiter schiebe. Jetzt stecke ich in einem Stau fest. 10 Einkaufswagen, alle von einkaufenden Frauen gehalten, die sich ohne um den Rest der Welt zu kümmern, interessiert Produktdetails studieren. Ich bleibe ebenfalls stehen. Wenn sich hier keiner um den Hintermann kümmert, dann brauche ich das auch nicht zu tun.
Ich starre blicklos auf die Regale. Wo bin ich hier eigentlich?
„He Sie da! Wenn Sie gar nichts einkaufen wollen, stehen sich nicht bloß rum und blockieren den Weg. Was suchen Sie überhaupt bei den Damenhygieneartikeln?“
Ich schiebe eilig meinen Wagen weiter. Irgendwo muss es doch eine Möglichkeit geben, ungestraft zu halten. Nichts. Und wo ist eigentlich meine Frau? Da, eine Abzweigung nach rechts…
Ich stehe im Lager. Wohltuende Stille. Links und rechts neben mir ein halbes Dutzend Ehemänner, alle mit fast leeren Einkaufswagen, alle auf der Suche nach einem Parkplatz im Laden. Ich bleibe aufatmend stehen. Endlich. Ein Leidensgenosse lässt eine Flasche Chianti kreisen. Ich atme tief ein. Hier kann ich bleiben. Nach einer Viertelstunde beschließe ich, wieder zurück ins Geschäft zu begeben.
Meine Frau sucht mich schon empört.
„Wo bist Du denn? Kannst Du nicht einfach mit dem Wagen in der Nähe bleiben? Wie soll man denn da einkaufen?“
Das wüsste ich auch gerne.
Der Beitrag wurde am Freitag, 21. Dezember 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Der Einkaufswagen - Satire in VorSICHT August 2012'
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