Was tut sich in Sachen Science Fiction Kurzgeschichten aktuell in den USA?
Kurzgeschichten (im angelsächsischen „Short Stories“) führen in Deutschland ein Schattendasein. Wenn überhaupt, werden Sie erst nach Jahren, und dann meist nicht als Heft, sondern als Taschenbuch übersetzt und in Deutschland publiziert.
Doch selbst diese vergleichsweise goldenen Zeiten sind heute vorbei.
Doch kaum etwas zeigt aktuelle Trends und Moden der Science-Fiction-Literatur so prägnant und klar wie die in den amerikanischen Magazinen veröffentlichten „Short Stories“.
Hier meine regelmäßige Beobachtung der Short-Stories in amerikanischen Magazinen, diesmal mit einem aktuellen Blich in die März/April-Ausgabe des ehrwürdigen „Magazine of Fantasy & Science Fiction“.
Meine Wertungen:
*=Na ja... **=Mäßig ***=Ganz gut ****=Gut *****=Sehr Gut ******=Herausragend
Repairman von Tim Sullivan
**
Eine sehr konventionelle Geschichte von der Ehefrau, die vom besten Freund ihres toten Mannes erfährt, dass dieser sich nicht das Leben genommen hat, sondern von seinem Arbeitsauftrag, Löcher und Lücken zwischen den Universen zu schließen, zurückkehren musste. Dieser Kollege ihres Mannes gibt ihr aber eine Lebensaufgabe für die Zukunft, in dem er sie bittet, sich um zukünftige Reparateure zu kümmern.
Eine eher durchschnittliche Story, Idee und Ausführung erscheinen mir irgendwie schon hundertmal gelesen – doch ihre Naivität macht aber auch einen gewissen Reiz der Geschichte aus.
One Year of Fame von Robert Reed
*****
Ein ganz anderes Kaliber ist da die Geschichte von Robert Reed: Ein alternder Romanautor, der seinen Lebensabend in einer kleinen Gemeinde in den USA verbringt, hat es plötzlich mit einer riesigen Menge von Verehrern zu tun, die allesamt seine früheren Werke bewundern und versuchen, ihrer Quelle der Anbietung möglichst nahe zu kommen. Dabei sind die in Massen auftauchen Fans allesamt künstliche Intelligenzen: Roboter-Diener, künstliche UPS-Fahrer, allerlei roberterhafte Kunstgeschöpfe. Oberflächlich betrachtet handelt die Geschichte von den durchaus komischen Versuchen des Mannes, mit diesen Plagegeistern zurecht zu kommen. Aber nebenbei wird aus der Sicht des einfachen Mannes die Geschichte einer Zukunft ausgebreitet, in der KIs Bewußtsein erlangt haben, und damit auch „Menschenrechte“ und Freiheit einklagen können. Lakonisch und unaufgeregt erzählt, ist es ein zwar teilweise absurdes, aber auch vergleichsweise glaubhaftes Bild einer solchen Zukunft.
Robert Reed ist wahrlich kein Unbekannter. Mit A Billion Eves gewann er 2007 den Hugo Award in der Kategorie „Best Novella“ (Bester Kurzroman), davor war er schon mehrmals auf den Nominierungslisten von HUGO und NEBULA. Beyond the Veil of Stars (1994), Marrow (1997) oder Engineering Infinity lohnen sich wirklich zu lesen und sind über Amazon auch lieferbar
Von seinen Romanen scheint aber keiner auf Deutsch erschienen zu sein.
The Tortoise Grows Elate von Steven Utley
****
Der 1948 geborene Steven Utley ist ein SF-Urgestein, und für eine Vielzahl von Romanen und insbesondere Kurzgeschichten bekannt: Ghost Seas (1997, Stories) oder Where or When (2006, Stories). Angekündigt ist auch eine Sammlung seiner bei Asimovs, GALAXY und F&SF veröffentlichten Silurian-Stories (The 400 Million Year Itch), zu der auch diese Neuveröffentlichung gehört.
Sie spielen alle in einem Umfeld eines wissenschaftlichen Zeitreiseeinsatzes, bei der das Selurian-Zeitalter vor 400 Millionen Jahre Ziel und Schauplatz ist.
In der vorliegenden Geschichte spielt das Umfeld keine wirkliche Rolle, in locker-schnoddrigem Tonfall wird in der Icherzählung von den persönlichen Animositäten und Besonderheiten der Protagonisten der Geschichte dieses wissenschaftlichen Feldeinsatzes erzählt.
Amüsant und nett zu lesen.
The Queen and the Cambion von Richard Bowes
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Der 68-jährige Bowes schreibt schon seit Jahrzehnten SF. Hier legt er dem Leser eine wunderhübsche Fantasy-Geschichte über das Leben der Königin Victoria vor, die als Jugendliche entdeckt, dass mit Hilfe eines Jahrhunderte alten Zauberspruches der Magier Merlin herbeigerufen werden kann, um dem jeweiligen Monarchen, vor und nach Königin Victoria zu Diensten zu sein.
Doch da die Rufe Merlin nicht in temporaler Reihenfolge erreichen, weiß er vieles über das Schicksal der Königin in ihrer Zukunft, wie sie auch Dinge über seine Zukunft kennt, die er noch nicht erlebt hat. Eine clever entwickelter Plot mit menschlichem Tiefgang. Nett zu lesen.
Demiurge von Geoffrey A. Landis
***
Hugo und Nebula-Gewinner, seine Romane, insbesondere auch die Kurzgeschichten wurden auch vielfach ins Deutsche übersetzt.
Hier eine 1000-Worte-Kurzgeschichte über einen Autor, der sein eigenes Universum schafft, und der in der Lage ist, seine Fans auch dorthin mitzunehmen.
Als Geschichte eher konventionell, lebt die Geschichte von ihrer Sprache und ihrem Rhythmus.
The Man who Murdered Mozart von Robert Walton und Barry N. Malzberg
*****
Ist mir die Vorstellung von gemeinsam geschriebenen Romanen schon immer ein bisschen Suspekt gewesen, so ist dieses Konzept etwas, was ich bei einer Short Story so gar nicht nachvollziehen kann. Wie geht so etwas? Wie schreibt man gemeinsam eine Kurzgeschichte?
Wie auch immer: Es hat funktioniert. Hier entstand im Verbund vom Altmeister Malzberg und dem Neuling Walton eine kraftvolle und sprachgewaltige Geschichte aus einer Zukunft, in denen die Hauptdarsteller versuche, Mozart mit Hilfe eines zeitsprungs vom Tod zu erretten, um ihm dann nach einer geglückten Heilung weitere Jahre des Schaffens zu geben. Doch nicht aus altruistischen Motiven, sondern aus Machtgier und kalter Berechnung. Doch haben hier auch noch andere der Beteiligten ihre eigenen Vorstellungen.
Hervorragend.
Perfect Day von C.S. Friedman
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Meine 6 Sterne für diese Ausgabe. Eine genial, witzige und rasante Kurzgeschichte über eine Zukunft, in die wir in unsere Neuroschnittstelle die neuesten Apps laden: Die Gesundheitsapp, die uns Ratschläge für ein gesundes Leben gibt (und unseren Rabatt bei der Krankenversicherung streicht, wenn wir uns nicht daran halten), die Arbeitgeber-App, die uns je nach Anzahl der Verspätungen vor unserem Auge vor nachteiligen Folgen für den Arbeitsplatz warnt, oder die Alleinsein-App, die in gemeinsam benutzen Wohnungen immer anzeigt, wo die anderen bewohner sind, so dass man ihnen ausweichen kann.
Jedem Android und iPhone-User in Terminologie und Ideenansätzen bekannt, ist es ein vergnüglicher Blick in eine gar nicht so unwahrscheinliche (nahe) Zukunft.
Sonst eher im Bereich der Fantasy angesiedelt, ist die 1957 geborene Novellenschreiberin Celia Friedman eine Autorin, bei der man sich für die Zukunft noch viel erhoffen mag.
Der Beitrag wurde am Freitag, 1. Juni 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Watching Short Stories abgelegt.
'Blick in die USA: Short Stories in „Magazine of Fantasy & Science Fiction“ Februar/März 2012'
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