Damon Knight: Welt ohne Maschinen (Orig.: Three Novels)
1968
Meine Wertung:
Erhältlich über Amazon.de, antiquarisch
Mit Kurzgeschichten ist das im Deutschen so eine Sache: Eigentlich gibt es sie nicht. Kurzgeschichten haben keine echte Tradition hier. Deutsche Literatur, das ist das anständige Buch, der Roman. Darunter geht es nicht. Höchstens bei Lyrik, bei Gedichten oder sonstiger sich reimender Prosa: Da darfs dann das kleine Büchlein im A6-Format sein, 60 Seiten. Natürlich im Hardcover, Papierschutzumschlag inklusive.
Kurzgeschichten erscheinen gerne in Zeitschriften. Oder anders herum: Zeitschriften verlangen von ihren Autoren, dass sie gefälligst etwas Kurzes produzieren. Schließlich soll ja außer der angeforderten Geschichte noch weiteres erscheinen. Gibt es solche Zeitschriften auf dem deutschen Markt? Im Playboy erscheinen Kurzgeschichten. Aber erstens stammen die meist nicht aus Deutschland, und zweitens ist es in Deutschland sinnlos, über die Qualitäten von Geschichten zu diskutieren, wenn Sie in diesem Umfeld erscheinen. Aber wer kauft sich auch den Playboy, bloß um die neueste Kurzgeschichte eines bekannten Autors zu lesen? Na also.
Kurzgeschichten in Deutschland für die breite Masse? Fehlanzeige!
Aber das ist nicht in jedem Land so.
Für uns Science Fiction Lesern ist das immer schon ein interessantes Phänomen: Ein Großteils der besten Science Fiction Literatur aus den USA erreicht uns in Form von Novels oder Novelettes. Gerade die Klassiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Bester, Kornbluth, Pohl, Asimov und die vielen anderen) erschienen fast nur in dieser kurzgefassten Variante. Sie erreichten die Öffentlichkeit in den PULP-Magazinen, billig hergestellten Zeitschriften für die Masse der Leser. Und obwohl viele Autoren die Gängelung durch die Herausgeber gehasst haben (und dies in späteren Biographien auch lautstark zum besten gaben), und obwohl einige der Autoren in ihrem späteren Leben, als ihre Bekanntheit endlich ausreichend für den Buchmarkt war, die sparsame Welt der Kurzgeschichten verließen, um Romane in epischer Breite zu produzieren (denken wir nur an Heinlein), so waren oftmals ihre besten Werke die Veröffentlichungen in den PULPs und den etwas seriöseren Magazin-Nachfolgern der 60er und 70er und 80er Jahre.
All diese Werke fanden schließlich ihren Weg nach Deutschland (wenn auch manchmal erst 20 oder 30 Jahre später), als Science Fiction in den Siebtigern auch in Deutschland ein bisschen salonfähig wurde. Aber worin veröffentlichen? Mangels Zeitschriften fanden sie sich in Büchern wieder. Zwar nur in der B-Klasse des Mediums, als billige Taschenbücher, gerne bei Goldmann oder Heyne in SF-Ausgaben, aber immerhin. Entweder als magerer "Sammelband" eines Autors, oder als Reihe, wie z.B. "The Best of SF&F".
Gemeinsam war den meisten dieser Bücher, dass sie ziemlich lieblos durchaus gute Geschichten ohne Rücksicht auf Thematik, Zeit oder Art zusammenfassten. Hauptsache, überhaupt mal übersetzt, wobei hier teilweise schreckliche, bis heute immer noch ungesühnte Verbrechen am lebenden Wort begangen wurden. Nicht nur Romane wurden gnadenlos auf TB-Größe zusammengekürzt, auch bei den Kurzgeschichten wurde oftmals ohne Rücksicht auf Verluste herausgestrichen. Dass dies meist nicht erwähnt wurde, sei hier ebenfalls angeprangert – nur die Erwähnung des umgekehrten Zustands ("Neu übersetzte ungekürzte Fassung") lässt ahnen, was hier an Frevel wohl begangen wurde.
Gelesen hat der gemeine SF-Fan es trotzdem – das Angebot war eh schon klein genug. Und die Qualität vieler dieser Novels ließ ihre Klasse trotz dergestalten Raubbaus erkennen.
Es gab damals nur wenige Ausnahmen, die aus der Lieblosigkeit der deutschen Veröffentlichung herausragten. Und da war Damon Knight's "Welt ohne Maschinen" ein Leuchtturm im Meer der Mittelmäßigkeit.
Damon Knight ist als langjähriger Herausgeber und Schreiben von Sekundärliteratur berühmt geworden. Doch seine frühen Romane und Kurzgeschichten sind ebenfalls von einer Qualität, die nicht unterschätzt werden sollte.
Welt ohne Maschinen besteht aus 3 Novellen, die im Deutschen mal wieder mit neuen Titeln versehen wurden: Welt ohne Maschinen ("Natural State"), Welt ohne Tod ("The Dying Man") und Welt ohne Gewalt ("Rule Golden). Die Geschichten stammen aus den Jahren 1951, 1954 und 1957, und sie beschäftigen sich alle drei mit Fragen der Menschseins und unseres Selbstverständnisse. In "Welt ohne Maschinen" finden wir die Utopie der sterbenden Großstädte im Kampf gegen eine einfache Landbevölkerung, die die Maschinen durch biologisch veränderte Tiere und Pflanzen abgelöst habt, und ein einfaches, glückliches Landleben der Hektik der Stadt vorzieht (im Übrigen wohl die erste SF-Geschichte, in der die Idee einer genetischen Manipulation in dieser Form artikuliert wurde. "Welt ohne Tod" ist der Blick in eine weit und fern liegende Zukunft, in der die Menschen genetisch verändert wurden und weder altern noch sterben. Tod ist etwas unbekanntes, und für die meisten der Menschen, die schon Tausende von Jahren leben, eine völlig unvorstellbare Erfahrung. Es ist die Geschichte eines Mannes, der aufgrund eines biologischen Ereignisses plötzlich altert, aus der Sicht einer Frau, die sein Altern und Sterben mit Erschrecken, Panik und später Liebe begleitet. (Einige der Überlegungen und Vorstellungen, was Langlebigkeit für uns, unsere sozialen Kontakte oder für Freundschaft und Liebe bedeuten würden, finden sich später frappierend ähnlich in Larry Nivens Kurzgeschichten und Romanen wieder).
"Welt ohne Gewalt2 ist die Erzählung über den Besuch eines Außerirdischen, der den Menschen ein Geschenk in Form einer als Katalysator wirkenden Chemikalie macht. Sie erweckt in den Menschen den parapsychologischen Sinn des Mitleidens. Jeder Schmerz erzeugt im Verursacher den gleichen Schmerz, jede willentlich Verletzung oder Tod eines anderen Menschen resultiert in ihm einen vergleichbaren Schock und Wirkung. Das Ganze beobachtet und reflektiert aus der Sicht eines kleinen Zeitungsherausgebers, der mehr oder weniger freiwillig hilft, und sich bis zum Ende der Geschichte nicht ganz klar ist, ob er Segen oder Fluch über die Menschheit bringt. Es ist eine sehr intelligente und sehr durchdachte Geschichte über die Folgen einer solchen Veränderung, die auf der einen Seite Kriege und Töten beendet, auf der anderen Seite auch Bestrafung, Gefängnis, Durchsetzen von Gesetzen fast unmöglich macht.
Alle Geschichten haben also etwas mit dem Menschen und seiner Selbst zu tun, und so ist das Zusammenbinden der drei so unterschiedlichen Geschichten eine hervorragende Kombination – hätte man damals gar nicht von der Goldmann-Taschenbuch-Reihe erwartet. Nun, die 3 Geschichten waren schon in den USA als "3-Novels" als Buch veröffentlicht und daher im Ganzen eingekauft worden.
Trotzdem: Die Geschichten wurden nicht gekürzt, und der Übersetzter Tony Westermayr hat saubere und solide Arbeit geleistet. Stil und Atmosphäre wurden hervorragend ins Deutsche transferiert.
Ich habe das Buch in meiner frühen Jugend gelesen, und fand es toll. Ich habe es später noch einmal gelesen, und ich fand die Geschichten noch besser. Aus jeder der dortigen Ideen hätte man locker ein dickes Buch machen können. An manchen Stellen hätte das sicher auch mehr Tiefe gegeben. Aber die Kürze der Geschichten erzwingt eine Konzentration auf die wesentliche Idee. Wenn so etwas funktioniert, ist eine Kurzgeschichte hervorragend.
Hier tut es das.
1968
Meine Wertung:
Erhältlich über Amazon.de, antiquarisch
Mit Kurzgeschichten ist das im Deutschen so eine Sache: Eigentlich gibt es sie nicht. Kurzgeschichten haben keine echte Tradition hier. Deutsche Literatur, das ist das anständige Buch, der Roman. Darunter geht es nicht. Höchstens bei Lyrik, bei Gedichten oder sonstiger sich reimender Prosa: Da darfs dann das kleine Büchlein im A6-Format sein, 60 Seiten. Natürlich im Hardcover, Papierschutzumschlag inklusive.
Kurzgeschichten erscheinen gerne in Zeitschriften. Oder anders herum: Zeitschriften verlangen von ihren Autoren, dass sie gefälligst etwas Kurzes produzieren. Schließlich soll ja außer der angeforderten Geschichte noch weiteres erscheinen. Gibt es solche Zeitschriften auf dem deutschen Markt? Im Playboy erscheinen Kurzgeschichten. Aber erstens stammen die meist nicht aus Deutschland, und zweitens ist es in Deutschland sinnlos, über die Qualitäten von Geschichten zu diskutieren, wenn Sie in diesem Umfeld erscheinen. Aber wer kauft sich auch den Playboy, bloß um die neueste Kurzgeschichte eines bekannten Autors zu lesen? Na also.
Kurzgeschichten in Deutschland für die breite Masse? Fehlanzeige!
Aber das ist nicht in jedem Land so.
Für uns Science Fiction Lesern ist das immer schon ein interessantes Phänomen: Ein Großteils der besten Science Fiction Literatur aus den USA erreicht uns in Form von Novels oder Novelettes. Gerade die Klassiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Bester, Kornbluth, Pohl, Asimov und die vielen anderen) erschienen fast nur in dieser kurzgefassten Variante. Sie erreichten die Öffentlichkeit in den PULP-Magazinen, billig hergestellten Zeitschriften für die Masse der Leser. Und obwohl viele Autoren die Gängelung durch die Herausgeber gehasst haben (und dies in späteren Biographien auch lautstark zum besten gaben), und obwohl einige der Autoren in ihrem späteren Leben, als ihre Bekanntheit endlich ausreichend für den Buchmarkt war, die sparsame Welt der Kurzgeschichten verließen, um Romane in epischer Breite zu produzieren (denken wir nur an Heinlein), so waren oftmals ihre besten Werke die Veröffentlichungen in den PULPs und den etwas seriöseren Magazin-Nachfolgern der 60er und 70er und 80er Jahre.
All diese Werke fanden schließlich ihren Weg nach Deutschland (wenn auch manchmal erst 20 oder 30 Jahre später), als Science Fiction in den Siebtigern auch in Deutschland ein bisschen salonfähig wurde. Aber worin veröffentlichen? Mangels Zeitschriften fanden sie sich in Büchern wieder. Zwar nur in der B-Klasse des Mediums, als billige Taschenbücher, gerne bei Goldmann oder Heyne in SF-Ausgaben, aber immerhin. Entweder als magerer "Sammelband" eines Autors, oder als Reihe, wie z.B. "The Best of SF&F".
Gemeinsam war den meisten dieser Bücher, dass sie ziemlich lieblos durchaus gute Geschichten ohne Rücksicht auf Thematik, Zeit oder Art zusammenfassten. Hauptsache, überhaupt mal übersetzt, wobei hier teilweise schreckliche, bis heute immer noch ungesühnte Verbrechen am lebenden Wort begangen wurden. Nicht nur Romane wurden gnadenlos auf TB-Größe zusammengekürzt, auch bei den Kurzgeschichten wurde oftmals ohne Rücksicht auf Verluste herausgestrichen. Dass dies meist nicht erwähnt wurde, sei hier ebenfalls angeprangert – nur die Erwähnung des umgekehrten Zustands ("Neu übersetzte ungekürzte Fassung") lässt ahnen, was hier an Frevel wohl begangen wurde.
Gelesen hat der gemeine SF-Fan es trotzdem – das Angebot war eh schon klein genug. Und die Qualität vieler dieser Novels ließ ihre Klasse trotz dergestalten Raubbaus erkennen.
Es gab damals nur wenige Ausnahmen, die aus der Lieblosigkeit der deutschen Veröffentlichung herausragten. Und da war Damon Knight's "Welt ohne Maschinen" ein Leuchtturm im Meer der Mittelmäßigkeit.
Damon Knight ist als langjähriger Herausgeber und Schreiben von Sekundärliteratur berühmt geworden. Doch seine frühen Romane und Kurzgeschichten sind ebenfalls von einer Qualität, die nicht unterschätzt werden sollte.
Welt ohne Maschinen besteht aus 3 Novellen, die im Deutschen mal wieder mit neuen Titeln versehen wurden: Welt ohne Maschinen ("Natural State"), Welt ohne Tod ("The Dying Man") und Welt ohne Gewalt ("Rule Golden). Die Geschichten stammen aus den Jahren 1951, 1954 und 1957, und sie beschäftigen sich alle drei mit Fragen der Menschseins und unseres Selbstverständnisse. In "Welt ohne Maschinen" finden wir die Utopie der sterbenden Großstädte im Kampf gegen eine einfache Landbevölkerung, die die Maschinen durch biologisch veränderte Tiere und Pflanzen abgelöst habt, und ein einfaches, glückliches Landleben der Hektik der Stadt vorzieht (im Übrigen wohl die erste SF-Geschichte, in der die Idee einer genetischen Manipulation in dieser Form artikuliert wurde. "Welt ohne Tod" ist der Blick in eine weit und fern liegende Zukunft, in der die Menschen genetisch verändert wurden und weder altern noch sterben. Tod ist etwas unbekanntes, und für die meisten der Menschen, die schon Tausende von Jahren leben, eine völlig unvorstellbare Erfahrung. Es ist die Geschichte eines Mannes, der aufgrund eines biologischen Ereignisses plötzlich altert, aus der Sicht einer Frau, die sein Altern und Sterben mit Erschrecken, Panik und später Liebe begleitet. (Einige der Überlegungen und Vorstellungen, was Langlebigkeit für uns, unsere sozialen Kontakte oder für Freundschaft und Liebe bedeuten würden, finden sich später frappierend ähnlich in Larry Nivens Kurzgeschichten und Romanen wieder).
"Welt ohne Gewalt2 ist die Erzählung über den Besuch eines Außerirdischen, der den Menschen ein Geschenk in Form einer als Katalysator wirkenden Chemikalie macht. Sie erweckt in den Menschen den parapsychologischen Sinn des Mitleidens. Jeder Schmerz erzeugt im Verursacher den gleichen Schmerz, jede willentlich Verletzung oder Tod eines anderen Menschen resultiert in ihm einen vergleichbaren Schock und Wirkung. Das Ganze beobachtet und reflektiert aus der Sicht eines kleinen Zeitungsherausgebers, der mehr oder weniger freiwillig hilft, und sich bis zum Ende der Geschichte nicht ganz klar ist, ob er Segen oder Fluch über die Menschheit bringt. Es ist eine sehr intelligente und sehr durchdachte Geschichte über die Folgen einer solchen Veränderung, die auf der einen Seite Kriege und Töten beendet, auf der anderen Seite auch Bestrafung, Gefängnis, Durchsetzen von Gesetzen fast unmöglich macht.
Alle Geschichten haben also etwas mit dem Menschen und seiner Selbst zu tun, und so ist das Zusammenbinden der drei so unterschiedlichen Geschichten eine hervorragende Kombination – hätte man damals gar nicht von der Goldmann-Taschenbuch-Reihe erwartet. Nun, die 3 Geschichten waren schon in den USA als "3-Novels" als Buch veröffentlicht und daher im Ganzen eingekauft worden.
Trotzdem: Die Geschichten wurden nicht gekürzt, und der Übersetzter Tony Westermayr hat saubere und solide Arbeit geleistet. Stil und Atmosphäre wurden hervorragend ins Deutsche transferiert.
Ich habe das Buch in meiner frühen Jugend gelesen, und fand es toll. Ich habe es später noch einmal gelesen, und ich fand die Geschichten noch besser. Aus jeder der dortigen Ideen hätte man locker ein dickes Buch machen können. An manchen Stellen hätte das sicher auch mehr Tiefe gegeben. Aber die Kürze der Geschichten erzwingt eine Konzentration auf die wesentliche Idee. Wenn so etwas funktioniert, ist eine Kurzgeschichte hervorragend.
Hier tut es das.
Der Beitrag wurde am Sonntag, 11. Dezember 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Buecher abgelegt.
'Ein Blick zurück: Damon Knight's "Welt ohne Maschinen"'
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