Das Spiel
von Klaus Marion

Veröffentlich in Beam 8 1988


Eine immer wiederkehrende Freude sind sogenannte Science Fiction- oder Fantasy-Spiele. Natürlich gibt es einige echte Klassiker in diesem Genre. Bei manchen Neuerscheinungen jedoch macht man sich ernsthafte Gedanken über die Autoren der Spiele und ihre geistige Verfassung...

"Guten Abend!"

Mit einem lässigen Grinsen auf den Lippen schob sich Rudi Gerstner an mir vorbei in die Wohnung, hinter seinem Rücken eine flache Schachtel verbergend.

Ich folgte Rudi auf dem Fuße, jederzeit bereit, meine geheimen Bier- und Knabbervorräte im harten Nahkampf zu verteidigen. Derartige Sorgen schienen jedoch überraschender Weise unbegründet, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten durchwühlte Rudi nicht einmal meine Privatpost, sondern plazierte die hinter seinem Rücken befindliche Schachtel unauffällig in der Mitte des Tisches. Ich musterte das Ding vorsichtig, kam jedoch nach wenigen Minuten zu dem Schluß, daß es sich um keine wie immer geartete Höllenmaschine handeln konnte.

"Okay, ich gebe auf. Sag schon, was das ist."

Rudis Grinsen wurde noch um eine Spur breiter.

"Dies," bemerkte er stolz, " ist das neueste Produkt des Rudi Gerstner Spieleversands. Von mir entworfen, von mir konzipiert, von einem freundlichen Druckereibesitzer probegedruckt. Kostenlos natürlich."

"Einfach so?"

"Nun ja", räumte Rudi ein, ich habe ihm gesagt, daß ich 5000 Stück drucken lassen wolle. Ist ja auch egal. 100 will ich auf jeden Fall machen lassen."

Mit diesen Worten öffnete er den schmucken Kasten, dessen Titelbild eine bluttriefende Hand zeigte, die gerade dabei war, eine sich wild wehrende Gestalt zu zerquetschen.

"Wie heißt denn das Spiel?"

Rudi entfaltete einen großen Spielplan und setzte verschiedene, an hoffnungslose Alkoholiker erinnernde Spielfiguren auf ein Feld, das mit 'Start' gekennzeichnet war.

"Es spielt im Science Fiction Fandom und heißt 'Fannischer Aufstieg'. Spielregeln sind ganz einfach. Ich erkläre sie Dir kurz, dann spielen wir einmal. Holst Du mal was zu trinken und Kartoffelchips?"

Ich holte. Meine Frau hatte sich inzwischen im Schlafzimmer eingeschlossen und drohte, meinen Computer zu zerkleinern, wenn diese Nervensäge nicht verschwände. Sie sagte nicht 'Nervensäge', doch mein Respekt vor dem gedruckten Wort verbietet es mir, denn genauen Ausdruck niederzulegen.

Ich legte ihr dar, daß sich es bei Rudi Gerstner um einen personifizierten übergesetzlichen Notstand handle, dem man nicht so einfach beikommen könne.

Nun sind direkte Aufforderungen die ungünstigste und am wenigstens erfolgversprechende Methode, Rudi Gerstner wieder loszuwerden, und so willigte ich ein, wenigstens ein Spiel probeweise zu beginnen.

Ganz einfach, die Spielregeln, wie mir Rudi erklärte. Man brauche bloß vom Startfeld 'Beginn im Fandom' zum Zielfeld 'Du bist eine fannische Berühmtheit und wirst angebetet' zu gelangen und mit Hilfe eines Würfels die dazwischen liegenden 160 Felder schadlos zu durchqueren. Dazu gab es jede Menge Ereignis- und Zusatzkarten.

Ich wollte mich nicht lange in fruchtlose Spielregeldiskussionen verwickeln lassen, erhielt 5 Egoboo-Punkte und eine Ohrfeige von Rudi, um mir klarzumachen, "daß ich nun im Fandom sei". Als ich mich revanchieren wollte, versicherte Rudi mir, daß diese Ohrfeige nur einmal pro Spiel eingesetzt werden kann.

Nun ja, die Handlung entwickelte sich langsam, aber interessant. Mit Hilfe von Action-Marken gab ich ein Fanzine heraus, welches jedoch 6 Felder weiter wegen Spionage und Rufmord vom Verfassungsschutz verboten wurde. Durch diese Aktion geriet ich mit 8-Egoboo-Punkten in Rückstand, konnte das Blatt jedoch überraschend wenden, als Rudi die Karte 'Der Besuch von Hans-Jürgen Mader schafft Sie. 8 mal aussetzen! 'gezogen hatte. Leider verlor ich 4 Zahnarztpunkte, nachdem ich auf Feld 78 mit Josh Schütte in ein Streitgespräch verwickelt wurde, konnte dieses Malheur durch überraschendes Ausspielen der Karte "Armin Möhle kaltgestellt. Sie erhalten 50 Beifallspunkte" jedoch wieder etwas wettmachen.

Nach einer knappen Stunde standen wir beide kurz vor dem Ziel, als sich mir beim Durchlesen der letzten Felder etwas Merkwürdiges in mein Bewußtsein drängte.

"Sag mal Rudi, die letzten 6 Felder beinhalten alle so Sachen wie 'Von Klaus N. Frick mit der Krawatte erdrosselt. Noch mal neu anfangen! 'Wie soll man denn solche Sachen mit einem Würfelwurf überspringen?"

Rudi fing krächzend an zu lachen.

"Das ist ja der Gag. Was Du auch machst, Du kommst nie ans Ziel! Lustig, was?"

Ich packte Rudi wortlos am Kragen und warf ihn aus der Wohnung. Auf sein energisches Klopfen an der Tür erbarmte ich mich nach einer Weile und warf das Spiel hinterher. Hoffentlich hat es ihn erschlagen.
Der Beitrag wurde am Donnerstag, 9. Juni 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren Asimov-Keller-Bar abgelegt.
'Neues aus der Asimov-Keller-Bar: Das Spiel'

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