Leserbrief
von Klaus Marion.

Aus ANDROMEDA NACHRICHTEN 128
© Klaus Marion August 1989

In frühen Jahren war Rudi Gerstner neben seiner Kneipentätigkeit auch als engagierter Fanzineherausgeber tätig. Wenn da nur nicht das Briefporto wäre...

Zu den größten Problemen für die Herausgeber von Science-Fiction Fan-Magazinen gehört die Tatsache, daß nach mühsamer Erstellung der Machwerke diese literarischen Konvulate irgendwie den Empfänger erreichen müssen. Und da es dabei meist nicht mit dem Porto des durchschnittlichen Normbriefes getan ist, bedarf es schon einer nicht unerheblichen Phantasie, die Kosten für den Transport innerhalb erträglicher Grenzen zu halten...

Die Wohnung von Rudi Gerstner befand sich in einem völlig normalem Zustand, also dergestalt, wie Räume normalerweise nach der Explosion einer Nuklearladung im Kilotonnenbereich auszusehen pflegen.
Das Wohnzimmer war von Stapeln mit den verschiedensten Fanzines überwuchert, dazwischen Taschenbücher, Essensreste, MacDonalds-Tüten, eine Schreibmaschine und verschiedene Stämme von Ungeziefer aller Art. Ich übersah geflissentlich die in einer Ecke hausende Tarantel.
Auf dem Wohnzimmertisch prangte neben einem Berg von leerem Papier mein an Rudi ausgeliehener Umdrucker Willfried. Ich betrachtete den Stapel bedruckter Blätter im Fanzine-Format und ultramarinem Blau.
"Also, wie man bei den Postgebühren überhaupt noch ein Fanzine rentabel unters lesende Volk bringen kann, ist mir ein absolutes Rätsel. Da kostet doch jede höhere Auflage ein Vermögen. Ganz zu schweigen von der normalen Fanpost."
Rudi drehte sich mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck in meine Richtung und musterte mich wie ein seltenes Insekt.
"Jetzt sag bloß, Du hast mein Aktionspaket 'Porto-Senker für Fans' noch nicht gelesen??"
"Nun, ich..."
"Ich verstehe Dich nicht. Und so etwas will aktuelle Artikel schreiben. Wo lebst Du denn? Na komm mal her, Ich zeig Dir ein paar interessante Sachen..."
Er stocherte wild in einem undefinierbaren Hügel und barg eine große Schachtel, deren Inhalt er auf dem kurzerhand leergefegten Tisch plazierte.
"Mein Aktions-Kit für den aufgeweckten Fanzineherausgeber. Kostet mit allem Drum und Dran nur lumpige 65,95, und enthält alles, was man so brauchen kann. Dazu Tips und Tricks in reicher Auswahl!"
Ich betrachtete interessiert das Sammelsurium. Eine Tonbandkassette mit eigenartiger Hülle fand mein Interesse.
"Was ist das?"
"Ha! Das ist eine Tonbandkassette. Ist Dein Fanzine zu wortgewaltig und gewichtsmäßig zu umfangreich, dann sprich es einfach auf Kassette. Die Kassette versiehst Du mit diesem Aufkleber und versendest ei portogünstig als Blindensendung! Da sparst Du unglaubliche Summen."
"Oder hier. Seidenpapier. Wozu ordinäre 80 Gramm Papier, wenn's auch die 4 g-Ausführung mit Durchscheineffekt genauso tut. So bleibt man locker unter der Normalportogrenze.
"Und das?"
"Ein Dia-Rahmen. Man fotografiere immer 8 Seiten auf ein Bild und versende die Angelegenheit als Dia. Der Empfänger braucht natürlich einen Projektor, und die Auflage ist wohl etwas... hmm... gering. Aber ein interessanter Gedanke, auf jeden Fall."
"Ich weiß nicht..."
"Dann betrachte das einmal. Der ewige Umschlag. Wird mit einem wasserlöslichen Spezialstift beschriftet. Besonders gut für den umfangreichen Briefwechsel untereinander bekannter Personen geeignet. Nach Ankunft des Briefes öffnet man den Umschlag unter Dampf vorsichtig, löscht die Anschrift und trägt die des Absenders ein. Dann schreibt man groß auf den Umschlag: 'Bin ich nicht, falsche Adresse' und wirft das Ding wieder in den Postkasten. Der Empfänger macht es für die Antwort sinngemäß genauso. Beim durchschnittlichen Intelligenzquotienten der Bediensteten der Postbetriebe kann man mit bis zu 20facher Verwendung des Umschlages rechnen.
Oder hier: Spezialfluid für Briefmarken. Vor dem Absenden die Briefmarken bestreichen, und der postalische Stempel verschwindet nach einfachem Abwischen völlig spurlos!"
"Und dieser Stempel?"
"Nun, ein ganz raffinierter Trick. Kommt auf Sendungen, deren Empfänger uns nicht so sehr am Herzen liegen.
"Sie haben gewonnen!!! Gebühr zahlt Empfänger", entzifferte ich mühsam.
"Tja, so eine Sendung nimmt jeder an. Ganz neu auch der Drucksache-Umschlag mit doppeltem Boden. In das eigentliche Fach kommt irgendein popeliges Werbeblatt, der Brief oder ein kleines Fanzine verschwindet unauffällig im doppelten Pappboden. Ganz raffiniert! Man muß allerdings den Empfänger einweihen, sonst kann es zu traurigen Verlusten kommen."
Ich zog einen Bogen mit bunten Bildchen hervor.
"Sondermarken."
"Mit Bildern von Perry Rhodan Autoren??"
"Nun, welcher Postbeamte kennt schon alle Marken? Also hab ich mal ein paar Spezialmodelle drucken lassen. Senkt die Portokosten ungemein. Und wenn's doch rauskommt: Die Strafgebühr zahlt erst mal der Empfänger...
Das hier ist eine Adressenliste von Leuten, die man mal probeweise anschreiben könnte. Werbung auf dem eigenen Briefpapier! Motto: Ich schreibe, Henkel bezahlt. Hier ein Beispielsbogen: 'Ich schreibe Dir heut' so beschwingt, weil meine Hemden mit Persil gewaschen sind.' Das ganze in 36 Punkt-Schrift, fett. In der unteren Hälfte kann man dann seine Nachricht unterbringen. Eine Irre Idee!"
Ich musterte einen dicken Umschlag.
"Und das?"
"Oh, das ist meine Spezialentwicklung. Der MIRT."
"Wie bitte?"
'MIRT. Manoeuverable Independently Targeted Re-entry Letters. Entwickelt von mir. Dieser Umschlag wird an sich selber adressiert und mit bis zu 16, mit alten gestempelten Marken versehenen Briefen bestückt. Nach dem Einwurf in den Briefkasten öffnet sich der Umschlag nach einer einstellbaren Zelt von 4-16 Stunden automatisch und stößt die eigentlichen Briefe aus. Da die Umschläge jetzt bereits die amtliche Kontrolle passiert haben, werden sie auf dem Postamt als einfache Irrläufer ausgesondert und zu ihrem eigentlichen Bestimmungsort weitergeleitet. Eine echte Weiterentwicklung der Interkontinentalrakete. Man beachte den unwahrscheinlichen Spareffekt! Und hier..."
Es schien mir langsam dringend angebracht, unauffällig das Weite zu suchen.
"Du, Ich muß noch ganz schnell etwas erledigen. Wirklich eilig..."
"Halt, ich habe Dir noch gar nicht erklärt, wie man einen Con kostengünstig mit einer Verkaufsveranstaltung eines Kaffeefahrtenveranstalters kombinieren kann. Da ist echt Geld drin. Oder der Trick mit Hilfe einer Büroklammer und einem Luftballon einen Briefmarkenautomaten zu leeren. So warte doch..."

Ich werde wohl eine Zeitlang mein Bier Zuhause trinken. Sicher ist sicher.
Der Beitrag wurde am Donnerstag, 2. Juni 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren Asimov-Keller-Bar abgelegt.
'Neues aus der Asimov-Keller-Bar: Portosenker'

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