Das Geschenk
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSicht 11/2016

Seit kurzem wird die Verwaltung der Stadt Bad Kreuznach von einem Skandal heimgesucht, der in den Annalen dieser Gemeinde seinesgleichen sucht. Nein, keine massiven Geldunterschlagungen in der Verwaltung, keine körperlichen Züchtigungen von Stadtbediensteten durch sadistische Vorgesetzte, und auch keine Vergiftung der Bürger durch schlechtes Leitungswasser. Die Sache ist noch viel schlimmer.

Als ich die Kneipe meines Vertrauens betrat, lief ich sofort Rudi in die Arme. Mein Freund Rudi, regelmäßigen Lesern dieser Kolumne bereits allseits bekannt, ist ein alter Freund von mir, dessen regelmäßigen Neugründungen von Unternehmungen und Dienstleistungsgeschäften gleichermaßen legendär wie erfolglos sind.
"Schön, dass ich dich sehe! Du musst mir unbedingt helfen. Ich benötige einen typischen empörten Bürger dieser Stadt. Nimm Platz!" Rudi hatte wieder einmal seinen Arbeitsplatz in die Kneipe verlegt, ein interessanter Versuch, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Er gab dem Wirt ein Zeichen, dass die nächsten zwei Bier auf meine Rechnung gehen würden.
"Ich sehe, Du bist immer noch im Medienbusiness?"
"Ja, ich erarbeite für die Stadt eine Imagekampagne, um zu retten, was noch zu retten ist! Wie stehst Du dazu?"
"Ich weiß nicht genau, was Du meinst..."
Jetzt wurde Rudi ungeduldig. "Na, die ganze Stadt spricht davon. Die Geschenk-Affäre. Dieses furchtbare, entsetzlich würdelose Verhalten… Ja, weißt Du nicht, was ein Achtzigjähriger Jubilar hier in Bad Kreuznach von der Stadt zu seinem Ehrentag bekommen hat??"
"Man bekommt zum Geburtstag etwas von der Stadt geschenkt? Hätte ich nicht gedacht!"
"Lenk nicht ab. Der Mitbürger bekam, so steht es in der Lokalpresse, doch tatsächlich… eine Packung Tee sowie ein angeklebtes Duplo!! Was sagst Du?"
Rudi hielt mir jetzt das Bild einer hübschen Teeschachtel aus biologischem Anbau sowie einem angeklebten Schokorigel, verpackt in eine Geschenkfolie, entgegen. Seine Hand zitterte vor Empörung. Langsam begann ich zu begreifen.
"Der Riegel war vergiftet!"
"Wieso… Nein, der Riegel ist in Ordnung."
"Der Tee war mit Schadstoffen angereichert?"
Jetzt schien Rudi verwirrt. Er blätterte in seinen Unterlagen.
"Nein, der Tee war auch harmlos. Was ich meine: was für eine Beleidigung dem Jubilar gegenüber! Was würdest Du in so einer Situation machen?"
"Den Schokoriegel essen und den Tee trinken. Und überrascht sein, überhaupt etwas zu bekommen. Sind Städte verpflichtet, etwas zu schenken?"
"Nein, das eigentlich nicht."
"Trotzdem, ich verstehe, was Du meinst. So ein Schokoriegel und ein Tee sind vielleicht etwas profan. Andererseits soll es ja wohl auch kein Vermögen kosten. Wir sind doch eine Weingegend. Warum nicht zwei Flaschen Wein von einem lokalen Winzer?"
"Wein geht gar nicht! Stell Dir vor, der Empfänger darf keinen Alkohol zu sich nehmen. Was hat er dann von seinem Geschenk?"
"Gut, dann Pralinen…"
"Nein, zu viel Zucker. Nicht gut für alte Menschen."
"Blumenstrauß?"
"Geht nicht, wegen den vielen Heuschnupfenallergikern. Willst Du die umbringen?"
"Kugelschreiberset?"
"Nein, diese Tintenminen sind total giftig"
"Rasierwasser oder ein kleines Parfüm wäre doch super…"
"Das schon gar nicht, wegen Gender-Korrektheit. Nachher fühlt sich die Frau als Mann oder umgekehrt und betrachtet das Geschenk als Beleidigung. Da muss eine Kommune Fingerspitzengefühl beweisen!"
"Kleiner Fresskorb von der Nahe mit Wurst und Biofleisch?"
"Und damit alle Vegetarier beleidigen? Unmöglich!"
"Ein Buch über Kreuznach?"
"Damit schließt Du alle Analphabeten und der deutschen Sprache unmächtigen Mitbürger ausländischer Herkunft aus. Völlig Indiskutabel!"
Jetzt war ich ratlos.
"Und was macht die Stadt jetzt?"
„Schwierige Sache. Zuerst hatten wir den Plan, schon Wochen vor dem Geburtstag durch eine Privatdetektei und freiwillige Mitarbeiter der Stadtverwaltung die Jubilare auszuspähen, um ein korrektes und angemessenes Geschenk zu finden. Leider ist die Zahl der potentiellen Beschenkten hoch, so dass dieser Plan aus Kostengründen wieder verworfen werden musste.
Jetzt versuche ich die von der Presse verbreitete Unzufriedenheit der Mitbürger zu beschwichtigen und arbeite an einem speziellen Neutral-Konzept. In unserer Findungsgruppe mit Psychologen, Therapeuten und Kulturspezialisten versuchen wir, nach ausführlichen Recherchen ein für alle Mitbürger einheitlich passend neutrales Geschenk zu finden. Die Tendenz geht momentan zu einem Schmuckfelsbrocken, aus einem zentralafrikanischen Flusskiesel gefertigt und in einem aus nachwachsenden Rohstoffen unter fairen Bedingungen produzierten Pappbehälter gelagert. Einzelimport. Was denkst Du?"
„Ich denke, dass es jedem klar sein müsste, dass ein Geschenk der Stadt nur eine Geste sein soll. Schenkt einen kleinen Bildband von Bad Kreuznach und überreicht ihn mit ein paar netten Worten.
Wem das Geschenk nicht gefällt, kann es machen, wie man es schon immer bei falschen Geschenken macht: Man bedankt sich höflich und verschenkt es dann weiter.
Rudi starrte mich an.
„Ja, so könnte man es natürlich auch machen.“
Der Beitrag wurde am Sonntag, 26. März 2017 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Meine VorSicht-Satiren - Das Geschenk'

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