Die Maschinen
(Originaltitel: Ancillary Justice / Imperial Radch, Book 1)
von Ann Leckte
Taschenbuch: 544 Seiten
Verlag: Heyne Verlag (9. Februar 2015)
ISBN-13: 978-3453316362
Ann Leckie
Ancillary Justice
(dtsch: die Maschinen, Heyne-Verlag, Februar 2015)

Mit „Ancillary Sword“ ist inzwischen Ann Leckies zweiter Band der Reihe „Imperial Radch“- Reihe erschienen, und er kam 2014 auf den Markt, bevor ihr erster Band „Ancillary Justice“ in London beim Wordlcon mit deutlichem Abstand den HUGO gewann, nach Nebula-Award und dem Arthur C. Clarke Award für dieses Werk.
Fortsetzungen von großen SF-Romanen sind immer so eine Sache, und so möchte ich später in einer weiteren Besprechung diskutieren, ob es der Autorin denn gelungen ist, die Qualität des ersten Bands in den zweiten Band zu retten.

Doch da der erste Band erst noch in Deutsch erscheint, hier eine Besprechung über den im Februar in Deutsch erscheinenden ersten Roman.
Einem Meisterwerk.

Ann Leckies 2013 veröffentlichter Roman „Ancillary Justice“ (etwa: Hilfskräfte - Gerechtigkeit, deutscher Titel: Die Maschinen) ist eine seltene Perle. Als ich den Roman vor über einem Jahr zum ersten Mal gelesen hatte, kam bei mir schon nach 10 oder 20 Seiten dieses Gefühl hoch: Wow! Was für ein Buch!
Solche Momente habe ich bei SF-Romanen über die Jahre ab und zu einmal gehabt. John Brunners „Morgenwelt“ war so ein Kandidat. Oder William Gibsons „Neuromancer“. John Varleys „Der Satellit“. Oder auch aktuell Charles Stross’ „Equoid“.
Alles Romane, die es geschafft haben, ein neues Thema, einen neuen Blickwinkel oder eine neue Form im Bereich der erzählenden Science-Fiction zu finden.
SF-Romane haben gegenüber der normalen Belletristik den großen Vorteil, dass die Zahl der zu erzählenden Themen viel größer ist. Und gerade eine neue Idee oder ein neuer Plot eröffnet eine neue Welt von Erzählungen und Variationen, die viele Autoren dann über Jahre hinweg beschäftigen können.
Doch ein singuläres, neues Thema ist dazu nicht genug und macht noch keinen großen SF-Roman aus. Neben einer Idee für eine potentielle Zukunft sollte da noch eine dazu passende Umgebung gehören. Wem gelingt, ein solches „Universum“ zu schaffen, eröffnet sich selbst weitere literarische Möglichkeiten. Larry Nivens Ideen für seine Kurzgeschichten und Romane waren die gesellschaftlichen Auswirkungen von Langlebigkeit, von Teleportationszellen, einem wissenschaftlich realistischerem Ansatz in der Beschreibung des Weltraums und dem Zusammentreffen mit fremden Rassen und ihrer völlig anderen Psychologie.
Bekannt und berühmt wurde er aber letztendlich dafür, dass er mit seinen Geschichten ein ganzes Universum erschuf, in dem seine weiteren Geschichten spielen und sich gegenseitig mit neuen Themen versehen konnten. Das Ringwelt-Universum war geboren.
Wenn dazu noch eine besondere, originäre Form der Darstellung (man denke an die Erzählstruktur in Morgenwelt) kommt, kann ein wirklich großes Werk geboren werden.
Nicht immer funktioniert dies.
Aber wenn es funktioniert, ist das Ergebnis überragend.

Leckis „Ancillary Justice“ ist so ein Buch.
Vom Hintergrund eine Space Opera, aber aus persönlicher Sicht erzählt. Es ist gleichzeitig auch ein Rätsel, denn trotz der offenen Ich-Erzählung sind viele Dinge für den Leser lange Zeit unklar, und lösen sich erst Stück für Stück gegen Ende der Erzählung auf.
Der Hintergrund der Erzählung ist eine ferne Zukunft in unserer Milchstraße, in der die menschlichen Radch Welt für Welt von anderen menschlichen Kulturen und Kolonien in ihr imperiales Reich holen. Das Vorgehen ist immer das Gleiche: Weigert sich ein Planetensystem, sich dem Imperium freiwillig zu unterwerfen, wird es mit Gewalt in das Imperium gezwungen. Widerstand wird blutig niedergeschlagen, die politischen Führer hingerichtet, die planetare Ordnung wird durch die gigantischen Truppentransporter und Schlachtschiffe der Radch erzwungen. Nach Besatzung und Aufbau einer neuen Ordnung qualifizieren sich die Bewohner der ehemals renitenten Systeme dann nach Jahrzenten als (theoretisch) vollwertige Bürger des Reiches.
Wen das an das Vorgehen des römischen Weltreichs erinnert, der liegt völlig richtig – die Analogie ist klar und gewollt.
Doch wie der Erzähler auf den ersten Seiten dem Leser deutlich macht, sind die schrecklichen ersten Jahrhunderte des imperialen Aufbaus mit seinen millionenfachen Massenhinrichtungen vorbei. Anhaltender Widersand wird durch Verurteilung der betreffenden zu „Ancillary“ geahndet – Todesurteile gehören der Vergangenheit an.
Was „Ancillary“ bedeutet, wird dem Leser erst langsam klar – und lässt einen nach der lakonischen Auflösung schaudern.
Dass der deutsche Titel des Romans mal wieder anders als das Original heißt, ist dieses mal nicht zu beanstanden. Das Wort Ancillary und seine Konnotationen im englischen sind hier nicht adäquat übersetzbar. Es bedeutet (als ancillary staff) Hilfspersonalkräfte, aber auch Zulieferer und hat als Adjektiv die Bedeutung von Zweitrangigkeit. Nachschub- und Hilfskräfte im Krieg, zum Beispiel.
Das ist so in seiner Vielschichtigkeit nicht zu übersetzen – ob „die Maschinen“ dem Roman eher gerecht wird, möchte ich aber sehr bezweifeln.
In Leckies zukünftiger Welt werden zu Ancillary verurteile Bürger zu zehntausenden in Kälteschlafkammern der großen Schlachtschiffe in Stasis gehalten – um im Fall von Kampfhandlungen aus dem Kälteschlaf geweckt zu werden, auf einem Operationstisch aufzuwachen, wo Ihnen ein Implantat zur Kommunikation in ihr Gehirn eingepflanzt wird, ihre Persönlichkeit bei lebendigem Leib dauerhaft gelöscht wird und durch den fernsteuernden Zugriff der Schlachtschiff-KIs ersetzt zu werden. Eine ferngesteuerte Hand der das Schlachtschiff steuernden künstlichen Intelligenz, ein Soldat, der bei Verbindungsausfall quasi als abgespaltener Teil der Persönlichkeit des Schlachtschiffs agiert, um danach wieder die Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Gehirn des Schlachtschiffs zu vereinen.
Verwundung oder Tod eines Ancillaries spielen keine Rolle – die Frachträume der Truppentransporter und Schlachtschiffe enthalten millionenfachen Ersatz an diesen potentiellen Marionetten-Soldaten.
Dabei, und das macht die Erzählung deutlich, sind die Schiffs-KIs keine kalten Todesautomaten – sie denken, fühlen und lieben –Ihren Kapitän, die menschlichen Soldaten. Ancillary ist für Sie wie für die herrschenden Radch nur totes Material.
Breq, der Ich-Erzähler, ist, wie sich im Laufe des Romans herausstellt, ein abgespaltener Teil der KI-Persönlichkeit eines dieser Schlachtschiffe. Nach der Zerstörung des Schiffs ist er der verbleibende kleine Rest „des Schiffs“. Und er befindet sich auf einer Mission, um die Ereignisse um die Zerstörung des Schiffes zu rächen.
Was mir beim Lesen nach einigen Seiten auffiel und mich sehr verwirrte, lässt sich in der Frage zusammenfassen: „Gibt es eigentlich in dieser Zukunft nur noch Frauen?“.
Anscheinend ist dies so: Hauptperson, Soldaten, Bürger: Alles Frauen. Was bei den verschiedenen beschriebenen Abhängigkeitsverhältnissen und Liebschaften gewisse Fragen aufwarf.
Bis irgendwann nebenbei erwähnt wird, dass es in der Sprache der Radch keine unterschiedlichen Personalpronomen gibt: Männer und Frauen werden gleichermaßen als „sie“ bezeichnet, es ist immer von Frauen und Schwestern die Rede, egal ob Mann oder Frau: Eine Mode der Androgynität, die über die Jahrtausende sich auch sprachlich niedergeschlagen hat – und der Ich-Erzählerin Probleme bereitet, als sie in einer anderen Sprach sprechen muss, und sie beredt die Komplexität einer solchen künstlichen Geschlechts-Unterscheidung beklagt.
Der Effekt ist auf den Leser erstaunlich wie irritierend. Sehr, sehr clever.
Der Roman, dessen Fragestellung viel mit Sein, Moral, der Menschlichkeit von KIs und der persönlichen Mission einer solchen Maschine zu tun hat, ist ein (im deutschen) 540-Seiten langes Rätsel, das mit seinen Auflösungen und Handlungen den Leser in den Bann zieht, um dann zu einem nach einer Fortsetzung verlangenden Schluss zu gelangen.
Ein wirklich gutes Buch.
Es hatte auch meine Stimme für den Hugo bekommen.
Unbedingt kaufen – unbedingt lesen.

Das einzige, was man aber vergessen sollte, ist der auf Amazon vom Verlag bereits hinterlegte Klappentext mit der Kurzbeschreibung des Romans. Ich erlaube mir, hier zu zitieren:

„Was wird aus den Menschen, wenn die Maschinen frei sein wollen?

Breq ist eine Kämpferin, die auf einem einsamen Planeten auf Rache sinnt. Hinter ihrer verletzlichen, menschlichen Fassade verbirgt sich mehr, als es zunächst den Anschein hat: Sie wurde von den Radch geschaffen, die nach und nach das gesamte Universum unterworfen haben. Breq ist nur dem Äußeren nach eine Frau, vor allem aber ist sie ist eine perfekt konstruierte Maschine, abgerichtet zum Erobern und Töten. Nun aber beschließt sie das Unmögliche: Ganz allein will sie es mit Anaander Mianaai aufnehmen, dem unbesiegbaren Herrscher der Radch. Denn Breq will endlich frei sein.“


Lieber Verlag: Lasst solche Texte bitte Leute schreiben, die das Buch auch tatsächlich gelesen (und möglichst auch verstanden) haben. So hat es nur wenig Ähnlichkeit mit dem tatsächlichen Inhalt. Und das ist für einen Verlag eher peinlich.
Der Beitrag wurde am Sonntag, 18. Januar 2015 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Buecher abgelegt.
'Buchbesprechung: Ann Leckie - Die Maschinen'

Teilen