Hotelführer
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 11/2012

Als ich noch ein kleiner Junge war, besaß mein Vater ein geheimnisvolles Buch. Es war blau, hatte viele Seiten in dünnem Hochglanzdruck und trug die Bezeichnung „Hotelführer“. Mein Vater ergriff es immer dann, wenn er geschäftlich irgendwohin reisen musste, und er erklärte mir, dass man sich damit sein Hotel aussuchen könne.
Es besaß viele Bildchen in der Größe von Miniaturbriefmarken, die vage die Außenfassade eines Gebäudes erkennen ließen. Unter den Bildern befanden sich geheimnisvolle Texte und Abkürzungen in 3-Punkt Schrift der Art „EZ:8 DZ:42, T., WW., D, 60 DM“, worauf mein Vater nach konzentrierter Betrachtung auf die Ausstattung der Herberge schloss und die angegebene Telefonnummer zwecks Hotelbuchung wählte. In kleineren Stätten gab es meist nur einen einzigen Eintrag, was die Auswahl deutlich vereinfachte. Wie das Hotel dann tatsächlich aussah, war dann reine Überraschung.
Im Zeitalter des Internets ist dies, Gott sei Dank, alles anders. So schossen in den vergangenen Jahren neben den Portalen für die Buchung der kompletten Urlaubsreise auch Webseiten aus dem Boden, die die schnelle, sichere und supergünstige („Best-Price!“) tageweise Buchung von Hotelzimmern erlauben.


Mein mir angetraute Ehefrau und ich beschlossen, den Wochenendtrip im nahen Ausland durch Buchung eines adäquaten Hotelzimmers zu krönen. Nett, klein, zentral gelegen, aber gemütlich ausgestattet sollte es sein, nicht zu teuer. Wir riefen die Webseite einer in Funk und Fernsehen beworbenen Hotelplattform auf, und nach einigen überlegten Klicks auf unsere genauen Anforderungen hatten wir das Angebot von Hotels auf die passende Örtlichkeit eingeschränkt. Für einen super Angebotspreis hatten wir unser Schnäppchenzimmer bekommen. Wir waren glücklich. Und dann traf ich meinen Freund Rudi.
Rudi saß am hinteren Tisch seiner Stammkneipe und hatte neben seinem Bier einen Laptop aufgeklappt, an dem er konzentriert zu arbeiten schien. Ich nickte kurz und schaute ihm über die Schulter. Zu meiner Überraschung befand er sich nicht in einem höheren Level eines Computerspiels, sondern auf der Portalseite eines Hotelreservierungsportals. „Du willst auch verreisen?“
Er blickte hoch. „Quatsch. Ich arbeite. Mein neues Startup: Hotelbeschreibungs-Design. Für Webportale.“
„Häh?“
„Ich mache im Auftrag von Hotels die Einträge in den großen Buchungsportalen. Schnell, günstig, effizient. Eine Marktlücke.“
„Und warum machen die das nicht selber?“
„Weil die nicht wissen, worauf es ankommt! Wer sich einfach so als Hotel registrieren lässt, hat keine Chance. Da muss der Fachmann ran. Wolltet Ihr nicht demnächst verreisen?“
Ich bestätigte dies und verwies auf das von uns gewählte kuschelige Hotel. Rudi rief die Seite auf.
„Ach DAS! Das kenne ich. Die Beschreibung stammt von mir. Ein Stammkunde!“
„Und, ist das nicht toll?“
„Toll? Der Schuppen??“
„Ich bitte Dich. Da ist erst mal die zentrale Lage.“
„Ja. Links ist die 24 Stunden geöffnete Prolo-Disco. Rechts davon das Rotlichtviertel der Stadt.“
„Davon sieht man aber nichts auf den Bildern!“
„Logisch. War gar nicht so einfach, da einen passenden Blickwinkel zu bekommen. Der Fotograf musste sich auf die Straße legen und nach oben fotografieren. Mit Weichzeichner, damit man den abgefallenen Putz nicht so sieht.“
„Aber… was ist denn mit der ‚verkehrsgünstigen Anbindung‘?“
„Güterbahnhof und Rangiergleise direkt hinter dem Haus.“
„Immerhin haben Sie einen Parkplatz!“
„Ja. 500 Meter entfernt, direkt neben dem Vereinsheim der Hells Angels.“
Ich war verunsichert. „Aber die Bilder von den Zimmern sind schön! Das ist die Hauptsache!“
Rudi warf nur einen kurzen Blick darauf. „Das ist die Fürstensuite. Wenn ihr über Portal gebucht habt, bekommt ihr nur die Standardzimmer im Halbkeller. Bett, Stuhl, Tisch. Kein Bad.“
„Hier steht aber: Einzelne Zimmer haben Bad, Dusche, WC.“
„Genau. Die Billigheimer haben keines davon. WC ist um die Ecke im Gang.“
„Kein WC, aber WLan in den Zimmern??“
„Wieso WLan im Zimmer? Da steht nur: WLan. Ist nur im Wohnzimmer des Hotelchefs zu empfangen.“
„Immerhin der Preis ist günstig!“
„Ja. Der ist aber ohne Frühstück, Parkplatz und Fremdenverkehrsabgabe.“
„Kinderfreundlich: Tiere zum streicheln?“
„Mäuse und Siebenschläfer im Gebälk.“
„Und die Sauna…?“
„Ist nebenan. Im ‚Nackten Flamingo‘.
„Das ist ja der Gipfel. Und wieso hat der Schuppen dann 7,5 Sterne in der Bewertung durch die Gäste??“
„Weil ich jede negative Bewertung durch 3 Einträge mit Höchstnote ergänze. Sonderservice. Da ist dann schon rein mathematisch keine schlechte Note zu erwarten. Also gleich mal wieder: ‚Super Zimmer und urgemütlich!‘ 10 Sterne.“
„Das ist die Höhe. Ich storniere gleich wieder!“
„Wohl kaum. Du weißt noch die Bedingung für den ‚Superdeal‘? Stornierung nur nach Zahlung von Stornogebühr von 300 Euro möglich. Wird auf der angegebenen Kreditkarte direkt belastet.“
„Das ist ja mehr, als das Zimmer kostet!!“
„Genau. Stornierungen kommen deshalb auch nur noch selten vor.“

Ich wankte nach draußen. Ich werde mir eine andere Kneipe suchen müssen. Schon um Rudi nie mehr begegnen zu müssen. Mal schauen, es soll da auch Kneipenführer im Web geben. Da werde ich sicher was Gutes finden.
Der Beitrag wurde am Sonntag, 17. Februar 2013 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Hotelführer - Satire in VorSICHT November 2012'

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