Selbst ist der Mann
von Klaus Marion.

Veröffentlicht in VORSICHT 6/2011


"Der Trockner ist kaputt!"
Derartige Hilferufe von anderen Haushaltsmitgliedern registriere ich von Jahr zu Jahr mit immer größerem Schrecken. Denn trotz des geradezu herzerweichenden Vertrauens insbesondere weiblicher Familienmitglieder in meine allgemeinen und speziellen technischen Fähigkeiten, lassen die fortschreitende technische Entwicklung doch früher so problemlos durchzuführende Instandsetzungsarbeiten heutzutage zu einem schweißtreibenden Abenteuer mit ungewissem Ausgang werden. Elektronik, verkapselte Teile und modulare Baugruppen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, sich bei allen Bastelversuchen jederzeit unsterblich vor der eigenen Familie zu blamieren.
Ich blickte meiner Tochter daher tief in die Augen, um ihr die schmerzliche Wahrheit näher zu bringen.
"Davon verstehe ich leider nichts. Wir müssen einen Monteur rufen!"
"Aber ich dachte, das wäre Deine Arbeit?"
Ich starrte sie an. Was lernen die Kinder eigentlich heutzutage in der Schule?
"Das ist nicht meine Arbeit. Ich schreibe Computerprogramme. Ich entwerfe Softwaresysteme. Ich manage Großprojekte. Ich halte die virtuelle Welt am Laufen..."
"Dann ist so ein Trockner doch sicher kein Problem für Dich?"
Was soll man da sagen? Nun, schließlich ist so ein Wäschetrockner ja kein Hexenwerk. Wäsche und Wärme rein, Wasser raus. Ich nickte also zustimmend und machte mich mit Werkzeug und Messinstrumenten auf den Weg.
4 Stunden später teilte ich meiner Familie mit, dass es sich wohl um einen größeren Schaden handeln müsse. Ich rief einen Monteur.

Damit wäre für mich die peinliche Angelegenheit normalerweise abgeschlossen. Durch einen Zufall ergab es sich jedoch, dass der Besuch des geübten Handwerksmeisters auf einen Tag meiner häuslichen Anwesenheit fiel, so dass ich persönlich den Experten zu unserer funktionslosen Trockenmaschine geleiten durfte.
Der betrachte sich das nicht funktionierende Gerät, examinierte kurz die Stromversorgung und starrte mich prüfend an.
"Sie haben aber keinen Reparaturversuch unternommen?" Ich schüttelte den Kopf.
"Gott sei Dank, sie glauben ja gar nicht, was ich da dann so alles vorfinde. Keine Wärmezufuhr. Prüfen wir mal den Heizstab!"
Er schraubte die Rückwand ab. "Die Siegel an den Schrauben sind beschädigt. Ist die Maschine schon einmal repariert worden?" Ich nickte wortlos mit dem Kopf.
"Komisch, habe ich gar nichts in den Unterlagen" Er drehte im Inneren einen unauffälligen Knopf und zog einen langen Stab heraus. "Der Heizstab. Ah ja, der ist kaputt. Ich tausche ihn aus – dann läuft die Maschine wieder!"
Leider erwies sich die Maschine trotzdem nicht zur Aufnahme der Arbeit bereit. Er runzelte die Stirn. "Ist aber ungewöhnlich, gleich mehrere Fehler auf einmal" Er begann, weitere Teile aufzuschrauben. Kurz drauf wurde er fündig.
"So was, die Kontaktschuhe auf der Steuereinheit sind falsch aufgesteckt. Wundert mich eigentlich, dass der Trockner damit überhaupt jemals lief. Jetzt haben wir es aber!"
Leider nicht. Der Trockner rührte sich immer noch nicht. Der gute Mann wühlte weiter. Tatsächlich war der Feuchtigkeitsfühler nicht richtig angeschraubt und hatte keine elektrische Verbindung mehr. Doch auch dies führte nicht zur Lösung des Problems. Der Handwerker starrte mich an.
"Da hat wirklich niemand versucht, das Gerät zu reparieren? Nur ein bisschen vielleicht??"
Ich schüttelte den Kopf. "Keinesfalls," log ich gekonnt und versuchte die peinliche Situation durch ein Gespräch über die allgemeine wirtschaftliche Lage des Reparaturwesens im Allgemeinen zu entspannen. Das Gespräch wurde auf Seiten der technischen Einsatzkraft immer einsilbiger, je mehr Reparaturen er ausführte. Nach Entdeckung eines eingeklemmten Schlauchs, einer abgerissenen Steuerleitung und Entfernung eines Kurzschlusses im Entfeuchter hob der gute Mann schließlich einen kleinen Schalter anklagend in die Höhe: "Die Isolierung des Anschlusses ist beschädigt. Wie kommt das?
"Mäuse?" warf ich hilfreich ein, erntete aber nur einen verbitterten Blick.
Während des Austausch des Netzteil mit der beschädigten Transformatorwicklung und der anschließenden Korrektur der verstellten Achslage der Trommel versuchte ich, ein Gespräch auf die heutigen Probleme bei der Endkontrolle der Montage zu lenken.
"Hören Sie mal, ich bin doch nicht blöd. Hier hat jemand rumgepfuscht und fast alles kaputt gemacht. Der Trockner lief doch früher, oder?"
"Öh...Weiß nicht?"
"Und Sie waren hier nicht dran?"
"Neeeein..."
"Hat vielleicht ein Kind von Ihnen hier herumgeschraubt?"
"JAA! Das wäre natürlich möglich. Ein Kind. Ein Junge." Meine Einbildungskraft erschuf eine deutliches Bild des Übeltäters vor meinem inneren Auge. "Äh 6 Jahre alt...?"
Der Mann schüttelte den Kopf. "Da müssen Sie aber in Zukunft aufpassen. Der hat ja die ganze Maschine ruiniert. Ich habe jetzt fast jedes Teil ausgetauscht. Ne neue Maschine wäre da allemal billiger gewesen!"
Ich bedankte mich kleinlaut.

Wie ich meiner Familie erläuterte, war der Defekt am Trockner so umfangreich, dass selbst der Monteur Stunden gebraucht habe. Ich hätte daher keine Chance zur Reparatur gehabt.
Ist ja schon skandalös, in welchem Zustand die Technik manchmal die Fabrik verlässt.

Klaus Marion
Der Beitrag wurde am Samstag, 19. November 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Selbst ist der Mann! - Satire in VORSICHT 6/2011'

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