Für Genießer
von Klaus Marion.

Veröffentlicht in VORSICHT 9/2011


Zu den großen Rätseln des Universums gehören die Entstehung des Lebens, die Vereinheitlichung der Theorie der Gravitationskraft mit den anderen Grundkräften sowie das Ausfüllen der Steuererklärung. Zu dieser Liste gesellt sich eine weitere Frage, deren Brisanz im täglichen Leben gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Das Bestellen von Wein in einem Lokal.
Deswegen möchte ich hier einige ultimative Ratschläge im Umgang mit dieser immer drängenderen Frage geben.


In jugendlichen Jahren beschränkte sich das Thema "alkoholische Getränke" zumeist auf den Klassiker des sog. Bieres. Bier hat dabei in vielerlei Hinsicht klare Vorteile. Es bestellt sich einfach (" 'n Pils, bitte!"), es ist, bei ausreichender Kühlung und unter Deutschem Reinheitsgebot erzeugt, geschmacklich immer im akzeptablen Bereich, die Mengeneinteilung ist klar definiert (Glas, Kiste, Fässchen), und die Variationen sind leicht zu merken ("ich glaube, ich nehm' mal 'n Hefe!").
Wein kommt in solchen Lebensabschnitten eher in Form von Plastikkanistern oder unetikettierten Reste-Flaschen vom letztjährigen Weinfest des nahen Winzers vor, deren geschmackliche Komponente eher sekundär ist ("Hauptsache, es dröhnt!").
Mit fortschreitendem Lebensalter stellt man aber fest, dass dieses Ignorieren einheimischer Naturgutes nicht dauerhaft durchzuhalten ist. So muss festgehalten werden, dass in einem Gespräch mit Vorgesetzten, Kunden oder Schwiegereltern der Einwurf "Mein Gott, letzten Sonntag habe ich einen phan-tas-ti-schen 98er Grand Crû Château Sociando-Mallet aus Saint-Seurin-de-Cadourne Saint-Estèphe getrunken!", wenn nicht mindestens eine Beförderung, dann doch die allgemeine Anerkennung der Anwesenden einbringt. Wohingegen ein vergleichbares "Ich habe letzten Sonntag ein klasse Bitbruger Pils, gekühlt, gekippt" nur bedenkliches Stirnrunzeln auslöst.
Dazu kommt: Man entwickelt durchaus Geschmack an Wein.
Doch leider ist es in Lokalen nicht immer ganz einfach, einen Wein zu bestellen. Besonders, wenn man nicht alleine ist und natürlich dann immer eine Stimme in der Runde ein "Klaus, möchtest Du nicht den Wein aussuchen?" vernehmen lässt. Wenn nur irgend möglich, versuchen Sie diese Auszeichnung abzugeben. Sie vermeiden viele Probleme und Peinlichkeiten, wenn sie diese Ehre nicht annehmen, sondern an die Person weiterreichen, die Sie am wenigsten in der Tischrunde mögen. Soll die sich doch blamieren.
Doch manchmal kann man nicht anders. Also, wie bestellt man Wein?
Ganz einfach war es immer in einfachen Kneipen oder englischen Pubs. Da gibt es nur zwei Sorten: Rot oder Weiß. Die Bezeichnung "offener Wein" kann wörtlich genommen werden, durch die begrenzte Zahl der Sorten besteht die Hoffnung, dass die Flasche nicht länger als ein oder zwei Wochen mit geöffnetem Korken herumgestanden hat. Den pelzigen Geschmack auf der Zunge kann man ignorieren, nach zwei bis drei Gläsern wird er zwar nicht besser, es macht einem aber auch nichts mehr aus.
Dummer Weise sind es meist Restaurants, in denen man in die Verlegenheit kommt, einen Wein ordern zu wollen. Selbst bürgerliche Gaststätten drücken einem inzwischen eine undurchsichtige, vielseitige Weinliste in die Hand, die dutzende ihnen völlig unbekannter Weine enthält und erwarten dann eine Bestellung.
Hier eine deutliche Warnung: Niemals, ich wiederhole, niemals der angeblichen Regel folgen, in unbekannten Restaurants die Bedienung mit einem "Was würden Sie mir denn zum Essen empfehlen" konfrontieren. Das funktioniert nur in Perlen der Gastronomie. In einfachen Restaurants wird die Aushilfskellnerin Sie groß anstarren und etwas wie "Na, das müssen Sie doch wissen!" von sich geben, was für alle Beteiligten irgendwie peinlich ist. In besseren Restaurants kann es passieren, dass der Kellner sachkundig erwidert: "Oh, zum Fisch würde ich vielleicht Saint-Emillion empfehlen! An welche Classe dachten Sie da?" Ihr Stottern ist dann an dieser Stelle noch peinlicher. Hat das Lokal einen eigenen Weinkellner, wird Sie dieser ob Ihres Unwissens sofort durchschauen, Ihnen einen phantastischen Spitzenwein aus dem frühen 20. Jahrhundert empfehlen, dessen Flaschenpreis sich dann auf der Rechnung als höher als das Staatsdefizit von Albanien entpuppt.
Werfen Sie statt dessen einen Blick auf die Weinkarte, addieren Sie im Geist die in der laufenden Saison geschossenen Tore von Bayern München zusammen, nehmen die Quersumme und bestellen Sie dann den so-und-so-vielten Eintrag aus der Rubrik "Deutscher Wein". Ist der Preis je Flasche niedriger als Ihr Essen, können Sie diesen bestellten. Ansonsten wandern Sie jeweils um 2 Listenplätze zurück und prüfen erneut.
Irgendwann wird die Bedienungskraft zurückkehren, Ihnen etwas des bestellten Weines einschenken und dann erwartungsvoll auf Sie blicken. Jetzt müssen Sie probieren: Nehmen Sie einen Schluck, bewegen Sie diesen leicht mit dem Gaumen schnalzend im Mund und blicken Sie nachdenklich in die Ferne (Sie können dabei z.B. über den nächsten notwendigen Besuch Ihres Kfz in der Werkstatt nachdenken). Dann schlucken Sie, wiegen den Kopf und sagen dann grundsätzlich zur Bedienung. "Ja! Sehr gut!". Sagen Sie niemals "der ist ja korkig!", selbst wenn der Wein wie ein toter Iltis schmeckt. Tun Sie dies doch, wird die Bedienung beleidigt abziehen, und je nach Laune entweder den gleichen Wein wieder bringen (jetzt wirds dann sehr peinlich) oder Ihnen wortlos den Plastik- oder Glaskorken zeigen (noch sehr viel peinlicher).
Nein, Sie wenden sich zu den anderen Gästen am Tisch und sagen: "Ja, ein fruchtiger Grundton, mit Noten von Vanille, leicht erdig im Abgang. Bemerkenswert!" Es geht auch ein "Ja, ein erdiger Grundton, mit Noten von Früchten, vanillig im Abgang. Bemerkenswert!". Alternativ können Sie auch bemerken "Ja, ein vanilliger Grundton, mit Noten von Erde, fruchtig im Abgang. Bemerkenswert!" Das bleibt ganz Ihnen überlassen.
Sollte ein anderer Gast nicht Ihrer Meinung sein, dann bemerken Sie lächelnd, dass natürlich Wein auch immer eine persönliche Empfindung bedeutet, über die man nicht streiten könne.
Jetzt gelten Sie für alle Beteiligten als Mann/Frau von Welt, werden als kompetenter Gesprächspartner in Fragen feiner Lebensart betrachtet und können mit Optimismus in Ihre gesellschaftliche Zukunft blicken.
Sollte der Wein scheußlich schmecken oder einen kratzigen Nachgeschmack besitzen, können Sie diesen unauffällig in Topfpflanzen oder in die offene Handtasche der Dame am Nachbartisch entsorgen.

Oder Sie machen es ganz anders, und bestellen einfach nur ein großes Pils.
Der Beitrag wurde am Donnerstag, 8. September 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Für Genießer - Satire aus VORSICHT 9/2011'

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