[abstract for english readers: This is a book review to Ursula K. Le Guin's "POWERS", which was Nebula awarded in 2008. The book is a phantastic novel about slavery and the moralistic and political implications. In my opinion, the book is very good, and is worth reading]

Ursula K. le Guin
Powers

Taschenbuch: 512 Seiten
Verlag: Houghton Mifflin; Auflage: Library. (6. April 2009)
Sprache: Englisch
ISBN-10: 0152066748
ISBN-13: 978-0152066741
Lieferbar über Amazon.de
Meine Wertung: Wertung: 4,5 von 5 Sternen

Gleich zu Anfang die schlechte Nachricht: Ja, das Buch ist in Englisch geschrieben, und nein, es gibt noch keine deutsche Ausgabe.
Wer es lesen will, der muss sich seinens englischen Wortschatzes besinnen.
Dabei aber die gute Nachricht: Das ist machbar, und es lohnt sich!

Ich kam an das Buch, weil es 2008 den Nebula Award für den besten in den USA geschriebenen SF- und Fantasyroman bekommen hat, und die Autorin nicht unbekannt ist.
(Für die Nicht-SF-und-Fantasy-Leser zur Erklärung: Ursula le Guin ist ein bischen die Agatha Christie (oder Johannes Mario Simmel, wenn man es schlechter meint) der Fantasyromane. Ihr Werk ist so lang wie ihre Bücher, duchaus gut geschrieben, aber nicht zu sehr vom Mainstream abweichend. Unterhaltungsliteratur mit Niveau, wenn man so will. )

Ich habe mir das Buch besorgt, es gelesen, und ich fand den Stoff in mehrfacher Hinsicht überraschend. Zuerst einmal war ich etwas erstaunt. Ist das Buch doch nicht ein einzelnes Werk, sonder der bislang dritte Teil einer lose zusammenhängenden Serie. Dafür, das dem so ist, wurde mir auf Cover und Werbung recht wenig darauf hingewiesen. Auf der anderen Seite sind die Zusammenhänge zu den anderen beiden Bänden (GIFTS und VOICES) so indirekt, dass man sie nicht gelesen haben muss. Das Buch bekommt an manchen Stellen dadurch einen geheimnisvolleren Touch, als es wohl beabsichtigt war. Auf der anderen Seite kommt der Leser damit gut zurecht, denn Le Guin packt an späteren Stellen immer wieder zu Begriffen und Hintergründen aus den früheren Romanen nachgeschobene Erklärungen. Das ist ganz clever gemacht, und bedient damit sowohl den singulären Romanleser wie auch den Serienliebhaber.
Der Roman ist weitgehend in sich abgeschlossen und ganz alleine lesbar (mal abgesehen von einer ganz speziellen Sache: Dazu aber mehr am Schluss dieser Besprechung)

Die Handlung spielt in einer mittelalterlichen Welt auf einem imaginären Kontinent. Magie oder wahlweise paranormale Fähigkeiten und Mächte (die POWERs) sind einzelnen Vertretern von Rassen dieser Welt gegeben, stehen aber nicht im Vordergrund der Handlung.
Denn die eigentliche Handlung beschäftigt sich mit der Sklaverei - und zwar in einer schriftstellerisch und theoretisch hervorragend gestalteten Art und Weise.
Selten habe ich ein Buch gelesen, dass die moralischen und ethischen Fragen der Sklaverei in so packende Bilder gepackt hat.
Dabei ist das Buch kein Klagelied der Elenden dieser Welt.
Der Ich-Erzähler ist ein heranwachsender Junge, der als Haussklave eines der großen Ritterburgen zum Lehrer ausgebildet wird. Kein mit Elend geschlagener Kunta-Kinte, sondern ein Junge mit Zukunft. Der Haushalt, dem er und seine Schwester zugeordnet sind, ist bekannt für die Güte und Gerechtigkeit seiner Herrscher. Es gibt klare Regeln, es gibt die Gesetze des Hauses. Auch die Sklaven haben Rechte, und mancher der Freien wird als Erwachsener weniger Möglichkeiten haben als einzelne der unfreien Sklaven.
Die schrecklichen Begleiterscheinungen der Sklaverei sind nur die geflüsterten Schatten der anderen Haushalte, für den Erzähler wie Schreckgespenste aus einer anderen Welt.
Natürlich bestimmt keine junge Sklavin, wen sie heiraten wird. Und natürlich sind den Sklaven die Wahl der Arbeit oder des Aufenthaltsortes entzogen.
In der Erzählung und der Sichtweise des heranwachsenden Jungens, der nur diese gegebene Gesellschaftsordnung kennt, erscheint die Sklaverei in dieser Form nur wie eine exotische Form eines Gesellschaftsvertrages - manchem "Freien" im Mittelalter war weniger Schutz und Rechte gegeben als den hier handelnden Protagonisten. Fast wird man eingelullt von dieser schönfärbenden Sichtweise - doch dann nimmt die Handlung einen Verlauf, der genau den Punkt, den Unterschied zwischen Sklaverei und Freiheit klarstellt:
Es ist eben doch kein Gesellschaftsvertrag, dem alle faktisch zustimmen und dessen Regeln für alle gelten. In dem Moment, wo den Herrschenden und Gütigen die Konsequenz dieses Gesellschaftsvertrages eingefordert wird, wo der Sohn des Herrschers eine Vergewaltigung und einen Mord begeht, da ist die Konsequenz nicht dessen Bestrafung, wie es die Regeln erfordern würde (auch ein Mord an Sklaven ist zu bestrafen), sondern nur ein Bedauern und die verschämte Zahlung eines Blutgelds.
Hier zerbricht gnadenlos die Illusion eines heimeligen Rechtssystems, und es tritt die blanke Wahrheit hervor: Sklaverei ist die durch keine theoretische Verklitterung zu beschönigende Version von blankem Unrecht und Willkür.

Hier beginnt auch der zweite Teil der Handlung des Buches, wo die Hauptperson, die auf diese Weise seine ältere Schwester verloren hat und dem die Illusion der Gemeinschaft mit den festgelegten Regeln abhanden kommt, aus seiner "Verpflichtung" flieht.

Wie diese Handlung weitergeht, und welche Wendungen die Geschichte nimmt, das sollte jeder selber herausfinden. Das Buch ist unterhaltsam, manchmal erschreckend. Und es leistet mehr gegen die heimiligen Kitsch der "Wir-waren-doch-alle-eine-große-Familie" Welt, wie sie auch in manchen Südstaatenfilmen suggeriert wurde, als manche flammende politische Streitschrift.

Im weiteren Verlauf der Handlung werden im übrigen auch zwanglos und spielerisch andere Gesellschaftsentwürfe begutachtet. Und auch diese kommen nicht wirklich gut dabei weg. Es ist immer der Mensch, der des Menschen größter Feind ist.

Zu guter letzt noch etwas völlig anderes: Dieses Buch hat verwendet eines der frechsten Mittel zur Spannungserzeugung, die mir so je untergekommen ist.
Gleich zu Beginn wird dem Leser ein Blick in die Zukunft der Hauptperson eröffnet (er hat die Gabe der meist ungesteuerten Prophetie): Es wird ein kurzes Blick darauf entworfen, wie die Handlung ausgehen wird. Um dieses Bild zu verstehen, bedarf es einiger Teile der Handlung, doch schließlich ist dem Leser völlig klar, wie diese Zukunft aussehen wird. In der Konsequenz ist er die ganze Zeit am rätseln , wie die Handlung sich in diese Richtung bewegen wird.
Und ist dann völlig verblüfft, dass am Ende des Buches dieses Zeitpunkt immer noch viele Jahre in der Zukunft liegen muss.
Vielleicht wird er in einem der nächsten Bücher erreicht werden...

Klaus Marion
Der Beitrag wurde am Dienstag, 4. Mai 2010 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Buecher abgelegt.
'Ursula K. le Guin: Powers'

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