Für die aktuelle politische Bildungsdebatte möchte ich eine kleine Anmerkung in den Raum werfen:

Es ist nie zu spät!

Verzweifelte einst der liebe Herr Nötzold, seines Zeichens mein Englischlehrer in der Oberstufe, an meiner blanken Unfähigkeit, auch nur ansatzweise vernünftig in englisch zu kommunizieren (allerdings nicht nur bei mir: Er taufte unseren gesamten Grundkurs schlicht seinen "Untergrundkurs"), so wäre er mit Sicherheit inzwischen stolz auf mich:

Beide von mir fürs Harry-Potter-Übersetzungs-Projekt abgelieferten Seiten-Übersetzungen wurden mit der Note "Hervorragend" lektoriert. Das finde ich umso erwärmender, als der harte Kern der teilnehmenden Übersetzer echte Sprach-Cracks/Freaks sind.

Aber, das muss ich auch sagen, es ist weder Begabung noch Genie, es ist, wie so oft im Leben, das Ergebnis schlichter (Vor-)Arbeit. Also das Gegenteil meiner "wofür brauche ich das denn, Hauptsache die Note reicht gerade"-Einstellung meiner Schulzeit.

Gestartet habe ich das Projekt "Englisch lernen für Anfänger" vor 4 Jahren, als mein Sohn Sven zum ersten Mal einen Englandaustausch startete und wir die Eltern seines Austauschpartners auch persönlich kennen lernten. Dabei wurde mir schauerlich bewußt, dass ich zwar in der Lage war, englische Fachbücher der Informatik zu lesen (was aber nicht wirklich beeindruckend ist, da die meisten Begriffe der Computerwelt sowieso englisch sind, und man sich daher an ihnen festhalten kann. Zudem sind englische Fachbücher grundsätzlich in "easy-language" geschrieben), nicht aber ein vernünftiges Gespräch in Englisch zu führen. Fehlende Vokabeln des Alltags, fehlende Redewendungen, fehlende Paxis. usw. usw.
Harry Potter 5 (in Englisch) gab mir zudem einen deutlichen Hinweis, dass mir auch haufenweise die Vokabeln der Belletristik fehlen (Man versuche mal, den Sinn eines Satzes zu erfassen, wenn von 25 Wörtern 8 unbekannt sind, bei 5 weiteren Unsicherheit über mögliche Bedeutung herrscht, und man die verwendete Redewendung nicht als solche erkennt - Mist!). Für eine ernsthaft gelesene Seite 15 Minuten, plus wunde Finger vom Wörterbuch wälzen...
Vom allgemeinen Verstehen des gesprochenen Wortes auf Straße, Funk und Fernsehen ganz zu schweigen.

Zum Entsetzen meiner Umwelt gehe ich solche Dinge aber (ist vielleicht eine Berufskrankheit) immer sehr systematisch in Form eines "Projektes" an.
Inzwischen blicke ich jetzt auf fast 4 Jahre permanente Arbeit zurück. Und der Erfolg verblüfft mich selber am Meisten. Jeder lernt anders, manche ganz schnell (Hallo Joachim!), manche durch alleiniges Hören, andere durch lesen. Ich habe es wie folgt gemacht:

Vokabeln lernen
Es hilft nix: Lernen, lernen, lernen, und zwar systematisch. Dank zwei Stunden am Tag im Auto zur Arbeit (gemütlich über die Autobahn) und einem elektronischen Vokabelkasten auf einem Palm-Organizer werde ich am Tag so um die 50 Vokabeln abgefragt. Schlechtes Vokabelgedächtnis ist bei mir inbegriffen, so dass ich mir selten gebrauchte Wörter auf diese Art immer wieder in die Erinnerung zurückrufen muss.

Welche Vokabeln?
Guter Einstieg sind die alten Englischbücher der Schulzeit, 5.-10. Klasse. Besser sind die aktuellen Bücher, was einfach ist, wenn man Kinder im passenden Alter hat. Einmal die Vokabellisten durchgehen und alles markieren, was man nicht mehr auf Anhieb weiß. Oha! Das werden einige!
Und dann: Listen oder Karteikärtchen machen und lernen!
Das ist die halbe Miete. Insbesondere bei den 9. und 10. Klasse Vokabeln fällt einem auf, wie viel man vergessen hat (oder nie richtig gelernt...).
Und danach systematisch: Bei englischen Texten alles aufschreiben, was man nicht (mehr) wusste und nachschlagen musste.

Flüssiges Alltagsenglisch sprechen
Das allerbeste: Einen native Kommunikationspartner haben, mit dem man sprechen kann. Nichts bildet so sehr wie das tatsächliche Hören und Sprechen. Ist aber eher selten zur Hand. Also Sprachschule im Ausland?
Nun ist das natürlich eine Frage von Zeit und Geldbeutel, und kommt meistens nicht wirklich in Frage (Ja Mike, ausser der Arbeitgeber zahlt daran mit...).
Dann also die zweitbeste Methode:
CDs mit Konversationssätzen besorgen und brav hören und sprechen (und lernen!). Floskeln auswendig lernen (Nach Sparten: beim Telefonieren, im Hotel, beim Arzt etc).
Die CDs für Geschäfts-Englisch sind meist etwas anders gestrickt. Da geht es mehr um die kaufmännischen Formulierungen, die Aussprache ist das internationale Geschäftsenglisch, was halt vom Klang italiensch-englisch, deutsch-englisch oder indisch-englisch bedeutet: Versteht jeder gut. Nur hat das wenig zu tun mit einem real sprechenden Engländer oder Amerikaner.

Der Engländer an und für sich (mehr noch als der Amerikaner) spricht gerne in Redewendungen! Also ist es eine gute Idee, sich ein kleines Büchlein mit gängigen Floskeln und Redewendungen zu besorgen. Dann weiß man, was ein "the school goes down the drain" (="den Bach 'runter gehen") bedeutet, und kann mit "he's a chip off the old block" etwas anfangen (="ganz der Vater").
Sollte man mal in die Verlegenheit kommen, eine englische Zeitung zu lesen (vielleicht nicht gerade die Sun), dann helfen diese Floskeln übrigens sehr schön weiter!

Gesprochenes Englisch verstehen
Schon mal versucht, eine englische Fernsehsendung im Original zu verstehen? Einen Engländer (am besten mit Akzent) am Telefon nach einer Wegbeschreibung zum Urlaubs-Cottage gefragt? Genau. Für den Ungeübten eine absolute Katastrophe! Übrigens ist nach meiner Erfahrung der Amerikaner im allgemeinen besser zu verstehen als der Engländer (außer er kommt aus Texas). Kein Mensch spricht in England das Oxford-Englisch des Sprachlabors!
Wenn nicht eine allgemeine Begabung für Sprachen vorliegt, hilft hier nur eines: Das Ohr schulen. Und das geht (leider) auch nur sehr langsam. Es gibt aber durchaus Hilfsmittel, wie man das verbessern kann. Hier ein paar Vorschläge:

DVD's mit englischem Orignaltext ansehen, und die englischen Untertitel dazu schalten! Vielleicht versteht man nicht jeder Wort, aber das Ohr gewöhnt sich an den Klang. Man muss natürlich ein bischen zwischen Englisch und Amerikanisch unterscheiden.

Britisches Fernsehen gucken: Nicht den BBC-Nachrichtenkanal: das ist spezielles BBC-Sprecher-Englisch. Auch so redet leider keiner in England. Wer eine drehbare Satelitenantenne hat, oder einen zweiten Feed montieren kann, der kann seinen Empfänger bei 28,2 Grad auf den britischen ASTRA-Satelliten richten: BBC1-4 sind frei, dazu noch ITV-1 bis 4.
Das Beste: Für die Hörgeschädigten sind dort *alle* Sendungen mit zuschaltbaren Untertiteln versehen! Da kann man selbst den Manchester-Dialekt von "Live on Mars" verstehen. Und die Comedy-Sendungen sind sowieso allemal besser als im Deutschen.

Wer täglich am Computer sitzt und Radio dudeln darf: auf http://www.bbc.co.uk finden sich alle 7 Hörfunkprogramme der BBC als Live-Programme via Internet. BBC 1 für Musik und Moderatorengequatsche (schwer zu verstehen, Herausforderung!), oder BBC 7 mit dem Hörspielkanal (sehr viel besser).
Normales Radio ist schwieriger. Wer im Ruhrgebiet hockt, kann BFBS 1 und 2, die britischen Soldatenkanäle, zuschalten.
AFN gibt es auch in vielen Gebieten auf UKW, ist aber viel (gute) Musik und nur wenig Sprache. Wer sich richtig 'reinknien möchte, dem sei das AFN auf Mittelwelle empfohlen (870 kHz oder so). Dort gibts nämlich keine Musik, sondern Features, Nachrichten, Informationen etc. Wunderbar sind übrigens Paul Harveys morgendliche Nachrichtenzusammenfassungen und sein Blick auf Seltsamkeiten des Lebens in "The Rest of the Story".

Bücher lesen
Ist anstrengend, besonders am Anfang.
Sucht Euch ein Buch, dass ihr unbedingt im Original lesen wollt, vielleicht weil es in Deutsch noch nicht erschienen ist (Harry Potter!), und das nicht zu dick ist (spricht gegen HP...).
Wörterbuch (oder den Laptop/PC mit dem Onlinelexikon leo.org). Und dann los.
Am Anfang die Hölle, weil man keinen Satz fertiglesen kann.
Bitte am Anfang *nicht* nach dem gutgemeinten Ratschlag des Englischlehrers agieren "Ich weiß auch nicht alles - unbekannte Worte muss man aus dem Zusammenhang erraten". Das gilt nur dann, wenn pro Seite nur 4 oder 5 Worte unklar sind - und nicht so viele pro Satz!
Man muss es als Lernen ansehen: Leuchtmarker nehmen, Wörter anstreichen, Lexikon nachschlagen, Wörter auf Karteikärtchen schreiben und zum Lernpensum dazulegen.
Nur so wird es besser.
Beim ersten Harry Potter habe ich sicherlich 500 Wörter nachgeschlagen und gelernt. Danach hatte ich mit anderen Bänden keine Schwierigkeiten mehr. Es ist sowieso ein Erfahrung, dass jeder Autor seinen eigenen Wortschatz hat. Wer also den ersten Band eines Autors wie Colin Dexter ("Inspector Morse"-Romane) oder Dan Brown hinter sich hat, der tut sich beim zweiten Band deutlich einfacher.
Und irgendwann ist man wirklich so weit, dass es nur noch ein oder zwei Wörter sind, die einem pro Doppelseite unklar sind - und die kann man dann tatsächlich versuchen, aus dem Zusammenhang zu raten. Und endlich kann man das Buch dann schnell lesen...

Zeitungen
Wer es wirklich auf die Spitze treiben will, der sollte sich ab und zu eine englische Zeitung gönnen, und diese tatsächlich mit gezücktem Leuchtmarker zu lesen versuchen.
Vielleicht nicht eines der Revolverblätter, aber die TIMES oder Daily Mirror sind mit Übung wirklich gut zu lesen. Die Times gibt es übrigens als komplette "elektronische Zeitung" jeden Morgen zum Herunterladen, wenn man ein Abo macht. Preis pro Ausgabe (TIMES und die TIMES2-Beilage) für 65pence, das sind so 90 Cent.

...und die Musik
Das wichtigste für unsereins wäre es, wenn man endlich diese englischen Songtexte tatsächlich auch verstehen könnte. Für mich war dies das Allerschwierigste. Es gibt wohl viele Leute, deren Gehör für eine Sprache entsprechend "einrastet", und die die Wörter tatsächlich einfach so heraushören.
Bei mir war es letztendlich das Ergebnis all der anderen Übungen, dass ich irgendwann anfing, in Liedern mehr als das brummel-yes-grummel-no-dummel herauszuhören. Allerdings ist gerade hier der Frustrationsfaktor hoch: Man sollte schon eine gute Vokabelübersicht der Alltagssprache haben, um tatsächlich Wörter auch identifizieren zu können.
Und irgendwann... ja, da fängt man dann tatsächlich an, in dem Sprachbrei Wörter zu erkennen.
Was nicht heißt, dass man aus dem "damned motha'fuck'in bitch" irgendwelche tieferen inhaltlichen Genüsse ziehen könnte - aber das ist wieder ein ganz anderes Problem...
Der Beitrag wurde am Montag, 13. August 2007 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Verschiedenes abgelegt.
'Dem Englisch Untergrundkurs gewidmet'

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