Der Strandkorb
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 9/2016
Jeder Urlaubsstrand dieser Welt hat seine eigenen Wahrzeichen. Während in den südlichen Sonnenregionen Caipirinha-Bars, Sonnenöleinsprüher oder Taschendiebe das Bild bestimmen, ist das Sinnbild des deutschen Nordseestrands der Strandkorb. In weiß oder in fröhliche Farben getaucht, ist er unverzichtbarer Bestandteil der Norddeutschen Badekultur. Keine Ahnung, warum.
Meine Frau und ich beschlossen, in diesem Jahr unsere Urlaubszeit an einem einheimischen Nordseestrand auf einer Insel zu verbringen. Eine Unterkunft war rechtzeitig organisiert, die Fährverbindung elektronisch gebucht, der Anreiseweg minutiös geplant. Lediglich das Angebot der Onlinebuchung eines Strandkorbs versetzte mich in eine gewisse Ratlosigkeit.
„Wer braucht schon so etwas?“ konstatierte ich angesichts ungezählter Skandinavienurlaube souverän. „Tuch auf dem Sand ausbreiten, Badesachen drauflegen, Sonnenschirm aufspannen. Wozu dient denn so ein komischer Senioren-Strandstuhl?“
So begaben wir uns nach unserer Anreise voller Vorfreude zu unserem nahegelegen Strand. Der Blick vom Deich offenbarte das typische Bild deutscher Badegemütlichkeit: Nach der von grasfressenden Schafen bewohnten Deichaufschüttung prägten kilometerweit 6 Reihen ordentlich aufgestellter Strandkörbe das Bild, danach ein wunderschöner Sandabschnitt sowie in einiger Entfernung das momentan ebbetechnisch aushäusige Meer.
Wir platzierten uns auf dem Sand. Wie sich herausstellte, war der Wind heute etwas stärker. Während ich mit ausgebreiteten Armen versuchte, das Strandlaken und mich selber am Boden zu halten, kämpfte meine Frau verzweifelt mit den mitgebrachten Taschen, die im brausenden Wind drachenähnliche Anstalten machten, in den Himmel zu steigen. Gegen das Donnern des Sturmes brüllte ich meiner Frau zu: „Das ist ja unerträglich. Wie machen das denn die anderen Leute?“ „Die sitzen in den Strandkörben!“
Gischtwirbel spühten umher, ein aus dem Wasser gerissener Seeigel flog vorbei, sowie ein oder zwei bedauernswerte vom dröhnenden Sturm mitgerissene Hunde mittlerer Größe.
Man muss eine Niederlage anerkennen, wenn sie eingetreten ist. „Okay, ich miete uns einen Strandkorb!“
Die freundliche Mitarbeiterin in der Touristeninformation blickte zuerst bedauernd auf eine riesige leere Tafel mit Strandkorbnummern, bevor sich ihre Miene aufhellte. „Sie haben wirklich Glück, da ist gerade ein Strandkorb freigeworden! Nummer 4216, linker Strandabschnitt.
„Wie ist er gelegen?“ „Keine Ahnung, die sind ganz zufällig aufgestellt. Einfach nach der Nummer suchen. Er ist rot gestrichen!“ Für den Preis einer gehobenen Ferienwohnung nahm ich den zugehörigen Strandkorbschlüssel entgegen.
Wie sich herausstellte, waren 70% aller Körbe rot. Nach mehrstündiger Suche entdeckten wir unsere zukünftige Strandbleibe. In der 6. Reihe gelegen, blitzsauber und ziemlich neu. Wir entfernten das Schloss mit dem Absperrgitter und ließen uns aufatmend in den windgeschützten Sitzbereich fallen. Sofort reduzierte sich der wütende Sturm zu einem romantischen Säuseln, und die vereinzelnden Regentropfen brachen sich an den wasserdichten Seitenwänden des Korbes.
„Wo ist das Meer?“
Eine nicht unberechtigte Frage. Vor uns befanden sich die durchaus nett anzusehenden Rückwände von 5 Reihen von Strandkörben. Direkt vor uns saß ein dickes Kind im Sand und bohrte in der Nase. Ein touristisch unbefriedigender Zustand.
Beim Abendessen erläuterte uns ein Einheimischer, dass die ersten Reihen der Strandkörbe von cleveren Urlaubern schon ein Jahr im Voraus gebucht werden würden. „Da kann man halt nix machen!“
Meine Frau und ich sahen uns vielsagend an.
Im Schutze der Nacht zerrten wir unseren überraschend schweren Strandkorb eine Reihe nach vorn und schoben den Korb mit dem dicken Kind an unseren bisherigen Platz. „Das merken die nicht mal!“ Befriedigt schlichen wir zurück und legten uns schlafen.
Am nächsten Tag war unser Strandabschnitt in hellem Aufruhr. Eine empörte Menschenmenge hatte sich vor unserem verschobenen Strandkorb aufgebaut und betrachtete kopfschüttelnd die illegale Strandkorbverschiebung.
Wortreich verurteilten auch wir diesen für uns völlig überraschenden Akt einheimisch asozialer jugendlicher Kreise, wobei wir auch Möglichkeit terroristischer Aktivitäten des IS andeuteten. Selbstverständlich halfen wir mit, die aktuelle Strandordnung wieder herzustellen.
Anscheinend mussten wir cleverer an die Sache herangehen.
Während des restlichen Nachmittags machten wir uns genaue Notizen, welche der benachbarten Strandkörbe offensichtlich momentan gar nicht von ihren Mietern genutzt wurden. In der darauffolgenden Nacht tauschten wir dann diesen Korb gegen unseren Korb aus, wobei wir aus Platzgründen die anderen Körbe wie in einem Verschiebespiel hin und her schieben mussten. Diese kräftezehrende Aktion dauerte mehrere Stunden, und wir fielen im Morgengrauen erschöpft in unsere Betten. Diese Taktik schien Erfolg aber zu haben, denn trotz der misstrauischen Blicke unserer neuen Nachbarn gab es keine Beschwerden der jeweils strafversetzten Körbe.
Auf diese Weise arbeiteten wir uns Nacht für Nacht bis zur zweiten Reihe vor.
Meine Frau war in ganz aufgeregt: “Ich kann das Meer bereits durch die Lücke sehen!“
Jetzt kam es zur entscheidenden Aktion. In der darauffolgenden Dunkelheit schoben wir einen einzelnen Erste-Reihe-Strandkorb aus seiner Ordnung heraus und rückten 10 Strandkörbe jeweils einen Platz nach Links, um die Lücke zu schließen. Dadurch wurde vor uns ein Platz frei, und wir konnten triumphierend unseren Platz mit Meeresblick einnehmen.
Die hinter uns entstandene Lücke verschlossen wir durch Verschiebungen in der zweiten Reihe, bis nichts mehr auf unseren vorherigen Platz sowie unsere Urheberschaft hindeutete.
Den aus der ersten Reihe entfernten Korb schleppten wir unter Aufbietung unserer letzten Kräfte bis zur Wasserlinie und ließen ihn dort stehen.
Aufgrund dieses nächtlichen Kraftaktes schliefen wir bis zum Mittag, wodurch wir die Ereignisse des frühen Tages nur vom Hörensagen mitbekamen.
Das mit seinem Strandkorb verwirrt immer Wasser stehende holländische Ehepaar wurde von der Strandpolizei wegen diesem unerhörten Bruchs der allgemeinen Nordseeordnung des Strandes verwiesen, und im Rahmen des Schengen-Abkommens den Niederländischen Behörden übergeben.
Und wir hatten jetzt endlich den Blick auf das weite Meer für uns allein.
Leider mussten wir an diesem Tag abreisen.
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 9/2016
Jeder Urlaubsstrand dieser Welt hat seine eigenen Wahrzeichen. Während in den südlichen Sonnenregionen Caipirinha-Bars, Sonnenöleinsprüher oder Taschendiebe das Bild bestimmen, ist das Sinnbild des deutschen Nordseestrands der Strandkorb. In weiß oder in fröhliche Farben getaucht, ist er unverzichtbarer Bestandteil der Norddeutschen Badekultur. Keine Ahnung, warum.
Meine Frau und ich beschlossen, in diesem Jahr unsere Urlaubszeit an einem einheimischen Nordseestrand auf einer Insel zu verbringen. Eine Unterkunft war rechtzeitig organisiert, die Fährverbindung elektronisch gebucht, der Anreiseweg minutiös geplant. Lediglich das Angebot der Onlinebuchung eines Strandkorbs versetzte mich in eine gewisse Ratlosigkeit.
„Wer braucht schon so etwas?“ konstatierte ich angesichts ungezählter Skandinavienurlaube souverän. „Tuch auf dem Sand ausbreiten, Badesachen drauflegen, Sonnenschirm aufspannen. Wozu dient denn so ein komischer Senioren-Strandstuhl?“
So begaben wir uns nach unserer Anreise voller Vorfreude zu unserem nahegelegen Strand. Der Blick vom Deich offenbarte das typische Bild deutscher Badegemütlichkeit: Nach der von grasfressenden Schafen bewohnten Deichaufschüttung prägten kilometerweit 6 Reihen ordentlich aufgestellter Strandkörbe das Bild, danach ein wunderschöner Sandabschnitt sowie in einiger Entfernung das momentan ebbetechnisch aushäusige Meer.
Wir platzierten uns auf dem Sand. Wie sich herausstellte, war der Wind heute etwas stärker. Während ich mit ausgebreiteten Armen versuchte, das Strandlaken und mich selber am Boden zu halten, kämpfte meine Frau verzweifelt mit den mitgebrachten Taschen, die im brausenden Wind drachenähnliche Anstalten machten, in den Himmel zu steigen. Gegen das Donnern des Sturmes brüllte ich meiner Frau zu: „Das ist ja unerträglich. Wie machen das denn die anderen Leute?“ „Die sitzen in den Strandkörben!“
Gischtwirbel spühten umher, ein aus dem Wasser gerissener Seeigel flog vorbei, sowie ein oder zwei bedauernswerte vom dröhnenden Sturm mitgerissene Hunde mittlerer Größe.
Man muss eine Niederlage anerkennen, wenn sie eingetreten ist. „Okay, ich miete uns einen Strandkorb!“
Die freundliche Mitarbeiterin in der Touristeninformation blickte zuerst bedauernd auf eine riesige leere Tafel mit Strandkorbnummern, bevor sich ihre Miene aufhellte. „Sie haben wirklich Glück, da ist gerade ein Strandkorb freigeworden! Nummer 4216, linker Strandabschnitt.
„Wie ist er gelegen?“ „Keine Ahnung, die sind ganz zufällig aufgestellt. Einfach nach der Nummer suchen. Er ist rot gestrichen!“ Für den Preis einer gehobenen Ferienwohnung nahm ich den zugehörigen Strandkorbschlüssel entgegen.
Wie sich herausstellte, waren 70% aller Körbe rot. Nach mehrstündiger Suche entdeckten wir unsere zukünftige Strandbleibe. In der 6. Reihe gelegen, blitzsauber und ziemlich neu. Wir entfernten das Schloss mit dem Absperrgitter und ließen uns aufatmend in den windgeschützten Sitzbereich fallen. Sofort reduzierte sich der wütende Sturm zu einem romantischen Säuseln, und die vereinzelnden Regentropfen brachen sich an den wasserdichten Seitenwänden des Korbes.
„Wo ist das Meer?“
Eine nicht unberechtigte Frage. Vor uns befanden sich die durchaus nett anzusehenden Rückwände von 5 Reihen von Strandkörben. Direkt vor uns saß ein dickes Kind im Sand und bohrte in der Nase. Ein touristisch unbefriedigender Zustand.
Beim Abendessen erläuterte uns ein Einheimischer, dass die ersten Reihen der Strandkörbe von cleveren Urlaubern schon ein Jahr im Voraus gebucht werden würden. „Da kann man halt nix machen!“
Meine Frau und ich sahen uns vielsagend an.
Im Schutze der Nacht zerrten wir unseren überraschend schweren Strandkorb eine Reihe nach vorn und schoben den Korb mit dem dicken Kind an unseren bisherigen Platz. „Das merken die nicht mal!“ Befriedigt schlichen wir zurück und legten uns schlafen.
Am nächsten Tag war unser Strandabschnitt in hellem Aufruhr. Eine empörte Menschenmenge hatte sich vor unserem verschobenen Strandkorb aufgebaut und betrachtete kopfschüttelnd die illegale Strandkorbverschiebung.
Wortreich verurteilten auch wir diesen für uns völlig überraschenden Akt einheimisch asozialer jugendlicher Kreise, wobei wir auch Möglichkeit terroristischer Aktivitäten des IS andeuteten. Selbstverständlich halfen wir mit, die aktuelle Strandordnung wieder herzustellen.
Anscheinend mussten wir cleverer an die Sache herangehen.
Während des restlichen Nachmittags machten wir uns genaue Notizen, welche der benachbarten Strandkörbe offensichtlich momentan gar nicht von ihren Mietern genutzt wurden. In der darauffolgenden Nacht tauschten wir dann diesen Korb gegen unseren Korb aus, wobei wir aus Platzgründen die anderen Körbe wie in einem Verschiebespiel hin und her schieben mussten. Diese kräftezehrende Aktion dauerte mehrere Stunden, und wir fielen im Morgengrauen erschöpft in unsere Betten. Diese Taktik schien Erfolg aber zu haben, denn trotz der misstrauischen Blicke unserer neuen Nachbarn gab es keine Beschwerden der jeweils strafversetzten Körbe.
Auf diese Weise arbeiteten wir uns Nacht für Nacht bis zur zweiten Reihe vor.
Meine Frau war in ganz aufgeregt: “Ich kann das Meer bereits durch die Lücke sehen!“
Jetzt kam es zur entscheidenden Aktion. In der darauffolgenden Dunkelheit schoben wir einen einzelnen Erste-Reihe-Strandkorb aus seiner Ordnung heraus und rückten 10 Strandkörbe jeweils einen Platz nach Links, um die Lücke zu schließen. Dadurch wurde vor uns ein Platz frei, und wir konnten triumphierend unseren Platz mit Meeresblick einnehmen.
Die hinter uns entstandene Lücke verschlossen wir durch Verschiebungen in der zweiten Reihe, bis nichts mehr auf unseren vorherigen Platz sowie unsere Urheberschaft hindeutete.
Den aus der ersten Reihe entfernten Korb schleppten wir unter Aufbietung unserer letzten Kräfte bis zur Wasserlinie und ließen ihn dort stehen.
Aufgrund dieses nächtlichen Kraftaktes schliefen wir bis zum Mittag, wodurch wir die Ereignisse des frühen Tages nur vom Hörensagen mitbekamen.
Das mit seinem Strandkorb verwirrt immer Wasser stehende holländische Ehepaar wurde von der Strandpolizei wegen diesem unerhörten Bruchs der allgemeinen Nordseeordnung des Strandes verwiesen, und im Rahmen des Schengen-Abkommens den Niederländischen Behörden übergeben.
Und wir hatten jetzt endlich den Blick auf das weite Meer für uns allein.
Leider mussten wir an diesem Tag abreisen.
Der Beitrag wurde am Sonntag, 29. Januar 2017 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Meine VorSICHT-Satiren - Der Strandkorb'
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