Die Rede
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in initiativ 3/2015

Der Telefonanruf kam durchaus überraschend.
"Wir bräuchten Sie als Festredner!"
Wie sich nach kurzer Nachfrage herausstellte, war der Anrufer der Geschäftsführer einer regionalen Wirtschaftsinitiative – Kleine und mittelständische Unternehmen, ein paar große Industrieunternehmen, kommunale Gesellschaften. Wie die Person mir am Telefon erläuterte, würden sie zur Belebung der regionalen Wirtschaft an gemeinsamen Förderprojekten arbeiten, Initiativen starten, netzwerken…"
"Ich glaube, da sind Sie bei mir falsch. Ich habe keine Ahnung, was Sie machen."
"Perfekt! Wir suchen als Festredner für unser Jubiläum einen intellektuellen und unabhängigen Kopf, der zu einem die Gesellschaft bewegenden Thema nachdenkliche wie kritische Worte findet und die Problemfelder der Wirtschaft auch kontrovers beleuchtet. Mit einem Schuss Humor. Sie schreiben doch diese Satiren? 45 Minuten netto. Honorar mit Quittung."

Ich hatte an dem betreffenden Wochenende nichts vor, und so sagte ich zu.
"Das Thema müssen Sie selber finden – Sie haben hier aber völlig freie Hand. Schließlich sind wir eine Vereinigung von intellektuell nicht unbedarften Größen der Wirtschaft und Kultur. Sie schaffen das!"
Wir vereinbarten, dass ich das Thema meines Vortrags mit der Leitung der Veranstaltung bezüglich Programm und Ankündigung abstimmen würde. Nach einem ausgedehnten Brainstorming machte mich mit Feuereifer an die Arbeit. Es dauerte nicht lange, und mein tagesaktueller Vortrag: 'Flucht und Asyl – Angst oder Hoffnung für die Gesellschaft?' nahm konkrete Züge an. Ein Exkurs über das Für und Wider einer Einwanderungsgesellschaft. Inklusive dem Appell an die Wirtschaft, hier demonstrativ voranzuschreiten. Humanistisch, aber durchaus kritisch. So erläuterte ich das auch der Leiterin der Veranstaltung.
"Nun, ich weiß ja, dass man Ihnen völlig freie Hand lässt – allerdings..."
"Ja?"
"Das Thema ist momentan sehr kontrovers diskutiert. Emotional. Da ist es schwierig, jetzt auch humoristische Zwischentöne zu treffen, ohne Leute zu verletzen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, das ist kein Ausschluss des Themas. Haben Sie nicht vielleicht etwas anderes?"
Ich versprach, mir darüber Gedanken zu machen.
Tatsächlich hatte ich schon kurze Zeit ein neues Thema: 'Griechenland – Wiege der Kultur. Wiege Europas'. Ein Rückblick auf 3000 Jahre europäische Kulturgeschichte mit einem nachdrücklichen Verweis auf die menschliche Verpflichtung zur aktuellen Hilfe. Ein echter Reißer für einen Festakt.
Das bestätigte mir auch die Veranstaltungsleitung. "Ein tolles Thema. Allerdings ist gerade Griechenland für viele Unternehmer in der Region eine heikle Sache. Auftragsausfälle, Zahlungsschwierigkeiten, Insolvenzen. Das ist dann vielleicht stimmungsmäßig nicht ideal dem festlichen Anlass angepasst. Könnten Sie möglicherweise…?"
"Natürlich."
Am nächsten Tag meldete ich Vollzug.
"Ich habe jetzt was anderes gefunden. Wie wäre es mit 'Der Mittelstand und die Gewerkschaften – ein kritischer Blick'? Das passt doch gut zu einem Wirtschaftsverband, oder?
"Ja schon… Aber wissen Sie: wir versuchen gerade, unsere Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften durch gemeinsame Initiativen mit Leben zu erfüllen. Da könnte ein solcher Vortrag als demonstrative Spitze verstanden werden. Haben Sie nicht vielleicht…?"
"Ja. Ich habe hier einen wunderschönen Vortrag. 'Mann und Frau – Genderpolitik und Beruf'. Ein humorvoller und nicht immer ernster Blick auf Mann und Frau im Berufsleben, mit Betrachtung der vor uns als Gesellschaft liegenden Aufgaben. Das scheint mir doch ein schönes Thema zu sein. Mit dem notwendigen Ernst, und doch gelöst von der Tagesproblematik. Hier kann sich jeder wiederfinden…"
"Das finde ich eine super Überlegung. Wirklich passend für unsere Veranstaltung…"
"Aber?"
"Wir haben doch letzten Monat die Veranstaltungsreihe: 'Frau und Wirtschaft' auf die Weg gebracht. Da könnte man jetzt böswillig auf die Idee kommen, wir würden unsere eigene Arbeit nicht ernst nehmen. Haben Sie nicht etwas anderes? Kritisch natürlich…"
"…und humorvoll, ich weiß."
Ich zog mich wieder in mein Kämmerchen zurück.
"Wie wäre es mit 'Die Presse – Wächter der Verfassung und Partner der Wirtschaft. Ein Spannungsfeld'.
"Oh, ich weiß nicht. Unser Herr Dr. Glöbel sitzt im Pressebeirat… Das sieht ja aus, als ob er sich mit diesem Thema erneut für die Position bewerben wolle."
" 'Schule und Beruf. Eine anspruchsvolle Aufgabe der Zusammenarbeit'?"
"Das könnte Irritationen mit unseren Partnern in den Berufsschulen auslösen."
" 'Freie Meinung und öffentlicher Diskussion – warum haben wir solche Angst, wir könnten mit unserer Meinung anecken'?"
"Ich bitte Sie: Kritisch soll es sein, nicht polemisch!"

Mein programmatischer Festvortrag lautete 'Die Graugans – ein Vogelleben in Deutschland'.
Mit Lichtbildern und Tonbeispielen, dazu einige Anekdoten über Prof. Grzimek.

Der Beifall war langanhaltend und wohlwollend. Wie man mir im Anschluss sagte, war man über die humanistischen Aspekte beeindruckt.
Der Beitrag wurde am Montag, 22. Februar 2016 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - initiativ abgelegt.
'Meine Satire im Wirstschaftsmagazin INITIATIV 3/2015'

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