Krankheitsfall
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in initiativ 4/2014

Zu den von Chefs nicht geliebten, aber besonders zur herbstlichen Jahreszeit häufig eintretenden Alltagsereignissen gehört die Erkrankung von Mitarbeitern. Seltsamer Weise passieren derartige personelle Ausfälle immer dann, wenn das Fehlen wegen wichtiger Ereignisse (Terminaufträge, Präsentationen, Messeauftritte) nun überhaupt nicht in den geplanten Betriebsablauf passt. Kein Vorgesetzter ist über so etwas begeistert, und das weiß auch der Mitarbeiter. Mitarbeiter entwickeln dabei ganz unterschiedliche Verhaltensstrategien im Umgang mit dem krankheitlichen Ungemach, die aber vom Vorgesetzten oftmals völlig falsch verstanden werden.
Initiativ, die Fachzeitschrift für Mitarbeitertypologie und -psychologie, bietet daher hier als Service die ultimative Beschreibung der Mitarbeiterstrategien bei Krankheiten.


Der Supermann
Mitarbeiter dieses Typus wissen im tiefsten inneren ihres Herzens, dass sie nie krank werden können. Rötlicher, pickeliger Ausschlag auf den Armen? Muss die Dezembersonne gewesen sein. Rasende Kopfschmerzen und Blitze vor den Augen? Vielleicht war das kleine Bier am gestrigen Abend verdorben gewesen? Fieberthermometer zeigt über 40 Grad? Diesen taiwanesischen Billiggeräten ist heutzutage einfach nicht zu trauen. Wahrscheinlich ist nur der Pullover zu warm.
Der Supermann wird also trotz persönlichem Ungemachs seinen Arbeitsplatz aufsuchen, wild vor sich hin husten und sich ab und zu ob der rasenden Bauchschmerzen verzweifelt krümmen („die Pizza gestern war wohl zu scharf gewesen“). Er wird die Zähne zusammenbeißen und entweder auf einer Trage vom Notarzt trotz verzweifelter Gegenwehr ins nächste Krankenhaus zur Blinddarm-OP gefahren werden, oder nach einigen Tagen einfach wieder gesunden – nicht ohne vorher die gesamte Belegschaft in seiner Umgebung ebenfalls mit seiner Grippe angesteckt zu haben.
Seltsamer Weise wird dies von Vorgesetzten dann auch noch bewundernd wahrgenommen: „Man kann über den Maier sagen was man will: Aber als alle krank waren, war er der Einzige, der seinen Platz nicht verlassen hat. Respekt!“

Der Panische
Er erinnert sich angsterfüllt daran, dass ein versäumtes Krankmelden disziplinarische und arbeitsrechtliche Konsequenzen haben kann. Er wird also beim ersten Anzeichen einer möglichen Erkrankung morgens um 4 Uhr den Pförtner anrufen und ihm genaue Anweisungen geben, wen er wann über die mögliche Gallenkolik zu informieren habe. Eine halbe Stunde später wird er erneut anrufen und auf dem Anrufbeantworter des Empfangs seine plötzliche Gesundung mit Bitte um Weiterleitung an Chef und Abteilungsleiter hinterlassen. Danach wird er in regelmäßigen Abständen die Mailbox der Abteilung, das Handy seines Chefs, die Privatnummer des Personalleiters sowie alle erreichbaren Kollegen über den aktuellen Stand seiner eventuellen Erkrankung oder Gesundung informieren, um dann doch zur Arbeit zu erscheinen. Noch zwei Tage lang werden den Vorgesetzten verwirrende Nachrichten über Erkrankung und plötzliche Heilung seines Mitarbeiters erreichen. Obwohl dieser Typus nicht öfters fehlt als der Durchschnitt, bleibt er bei Kollegen und Chefs als der „ständige Kranke“ in Erinnerung.

Der Empath
Der Empath kann sich exakt in die Gedankenwelt seines Vorgesetzten hineinversetzen. Er weiß genau, dass dieser im kein Wort glauben wird, wenn er ausgerechnet am Tag vor dem Messeauftritt anrufen und sich wegen seines unerträglichen Migräneanfalls für die nächsten Tage krank melden wird.
Er wird also versuchen, dem peinlichen Anruf beim Chef etwas von der akustischen Unbestimmbarkeit der Migräne zu nehmen. Während seines Anrufs zur Krankmeldung wird er also wie ein schlechter Volksbühnenschauspieler niesähnliche Geräusche von sich geben, sich ständig räuspern und immer wieder versuchen, ein halbwegs akzeptables Husten zu improvisieren. Auf seine unglaubhafte Behauptung, er habe sich eine schreckliche Erkältung zugezogen, fällt natürlich kein Vorgesetzter herein. Da aber die sofort geforderte ärztliche Krankmeldung ihm tatsächlich eine Erkrankung bescheinigt, wird er in der Firma hinter vorgehaltener Hand als abgebrühter Simulant betrachtet und für den nächsten Stellenabbau mit einem gedanklichen Sternchen versehen.

Der Ankündiger
Ihm ist seine Erkrankung und die zusätzliche Arbeit für die Kollegen dermaßen unangenehm, dass er selbst bei einem offenen Oberschenkelbruch oder einer akuten Nierenkolik am Telefon verspricht, „spätestens Morgen oder am Mittwoch-Nachmittag“ wieder im Betrieb zu sein. Obwohl eigentlich jedem klar sein müsste, dass dies jenseits jeglicher medizinischer Möglichkeiten liegt und die Genesung normalerweise 3 Wochen dauern müsste, richten sich alle hoffnungsfroh nach dieser Ankündigung. Was dazu führt, dass der Ankündiger jeden zweiten Tag am Telefon ist, um seine Rückkehr „spätestens Übermorgen“ zu verkünden.
Wenn er dann nach 3 Wochen tatsächlich zurückkehrt, sind Kollegen und Vorgesetzte vom ständigen Anpassen des Dienstplanes derartig genervt, dass die eigentlich vorgesehene Gehaltserhöhung für das kommende Jahr stillschweigend wieder gestrichen wird.

Der Stoiker
Wenn er krank ist, ruft er im Laufe des Vormittags kurz an, schickt im Anschluss seine Krankmeldung sowie zwei Verlängerungen und kommt am Tag danach wieder zur Arbeit zurück.
Und obwohl er im Durchschnitt mehr Krankheitstage als Urlaub hat, gilt er als mustergültiger Mitarbeiter, auf den man sich verlassen kann.
Die Welt ist einfach ungerecht.
Der Beitrag wurde am Montag, 22. Dezember 2014 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - initiativ abgelegt.
'Krankheitsfall - Satire aus Initiativ 4/2014'

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