Bäckerei
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 11/2013
Zu den geschäftlichen Institutionen, die sich in den letzten Jahren am stärksten verändert haben, gehört die Bäckerei – Pardon, der Backshop oder -Factory, wie dieser Form des Getreideverkaufs neuerdings auch genannt werden will.
Und so wird aus einem der einfachsten Dinge der Welt eine hochkomplizierte Angelegenheit…
Mit Bäckereien hatte ich nie Schwierigkeiten gehabt, eine Tatsache, die durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Bei Bedarf an Backwaren begab ich mich in das Geschäft meines Vertrauens, bestellte offensiv "6 Brötchen und ein Weizenmischbrot" und verließ binnen Sekunden mit dem Gewünschten wieder das Geschäft.
Welche Veränderungen sich hier jedoch getan haben, wurde mir letzte Woche bewusst, als ich unvorsichtigerweise die Aufgabe übernommen hatte, die noch schlafende Familie am Sonntag mit frischem Backwerk zu versorgen. Und ich zum ersten Mal auf meine Brötchenbestellung eine unerwartete Gegenfrage bekam
"5 Brötchen bitte"
"WAS für Brötchen?"
"Na, Brötchen halt. Einfach. Brötchen. Ganz normal."
Die junge Dame machte ein leicht genervtes Gesicht.
"Kaiserweck? Kaisersemmel? Tafelbrötchen? Weißsemmel? Sonntagsschrippe? Mehlweck? Feiertags-Weckle? Oder das neue Sternbrötchen?"
Die Dame hinter dem Tresen verwies ungeduldig auf mehrere Körbe mit eigentlich sehr ähnlich aussehenden Getreideprodukten, an deren Platz sich früher lediglich die Sorte "normales Brötchen" befunden hatte. Erkennbar kosteten die diversifizierten Backprodukte deutlich mehr, als ich bisher für ein einfaches Brötchen gewohnt war.
Da ich keine Vorstellung von den Unterschieden hatte, die Schlange hinter mir aber länger wurde, stotterte ich "die Billigsten" – was mir einen mitleidigen Blick der anderen Wartenden einbrachte.
Während hinter mir verschlafen aussehende Sonntagseinkäufer ungeduldig vor sich hin murmelten, starrte ich auf die riesigen Mengen an vorhandenen Brötchen- und Brotsorten. Anscheinend hatten die Bäckereien beschlossen, dem Bäckereigewerbe neue Märkte zu erschließen, und so hatten sich die angebotenen Brötchensorten wie die Kaninchen vermehrt. Aberdutzende von Voll-, Spezial und Mehrkornsorten stapelten sich in Körben in wandhohen Gestellen und boten dem Kunden eine gleichermaßen unüberschaubare wie verwirrende Fülle zur Auswahl an.
"War das alles?" Sie wippte auffordernd mit den Füßen.
Die wenigen einfachen Wünsche der Familienmitglieder im Ohr, beugte ich mir vor.
"Ich hätte noch gerne zwei Vollkornbrötchen."
"WELCHE Vollkornbrötchen? Wir haben Weizenvollkorn, Misch, Roggenvollkorn, Misch mit ganzen Körner, Haferbrötchen, Dinkelvollkorn, Halb und Halb…"
Ich starrte sie an. "Äh, das erste."
"Roggenvollkorn?"
"Ja!"
"Möchten Sie das Brötchen mit Dinkelbeimischung oder mit Sesammehl halb-und-halb? Oder das neue Antiallergie-Brötchen ohne Genmais-Zumischung?"
"Äh, ja ja. Bitte."
Keine Ahnung, was meine Tochter hier essen würde.
"Und dann noch drei "Döldinger-Weizen-Brötchen!". Wenigstens diesen Sortennamen hatte ich noch parat.
"Die gibt es nicht bei uns!"
Ein weiteres Problem der modernen Bäckereiwirtschaft. Um sich vom Konkurrenten abzuheben, neigen die Bäcker dazu, ihren Sonderbrötchen verwechslungsfreie Namen zu geben, die es trotz der Gleichartigkeit des Produktes unter dem Fantasienamen garantiert nur bei Ihnen gibt.
Ich starrte erneut auf die Brötchenwand. Wenigstens wusste ich wage, wie die von meiner Familie bevorzugten Backstücke auszusehen hatten. Und tatsächlich, da waren ähnlich aussehende Brötchen mitten im Angebot!
"Da vorne. Von denen da in der Mitte…"
Leider trugen die Körbe mit Brötchen am frühen Morgen noch keine Beschriftungen. Sie starrte mich an.
"Na, da, vierte Reihe von oben, der achte Korb von rechts… Nein, von rechts! Von links ist es der zwölfte… Nein, nicht von unten, von oben! Die vierte Reihe, nein, weiter oben. Zu weit, darunter, halb rechts…"
Ein deutlich hörbares Stöhnen ging durch die hinter mir wartende Menge an potentiellen Käufern.
"Die hier??"
Die junge Dame hielt jetzt 3 Croissants in der Hand, die keine Ähnlichkeit mit meiner gewünschten Brötchensorte hatten. Ich nickte matt.
"Noch etwas??" Sie starrte mich an.
"Ja, ein Brot bitte, ein Vollkornbrot, ein… geben Sie mir einfach irgendeins."
Ich zahlte und verschwand eiligst aus dem Laden.
Meine Familie starrte auf den Brotkorb.
"Sag mal, da ist aber nichts drin, was wir haben wollten. Und warum kaufst Du eine libanesisches Kartoffelbrot mit Sojamehlbestäubung?"
Ich hob die Augenbraue.
"Sie hatten nichts anderes mehr" entgegnete ich würdevoll. "Da muss man nehmen, was man kriegt."
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 11/2013
Zu den geschäftlichen Institutionen, die sich in den letzten Jahren am stärksten verändert haben, gehört die Bäckerei – Pardon, der Backshop oder -Factory, wie dieser Form des Getreideverkaufs neuerdings auch genannt werden will.
Und so wird aus einem der einfachsten Dinge der Welt eine hochkomplizierte Angelegenheit…
Mit Bäckereien hatte ich nie Schwierigkeiten gehabt, eine Tatsache, die durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Bei Bedarf an Backwaren begab ich mich in das Geschäft meines Vertrauens, bestellte offensiv "6 Brötchen und ein Weizenmischbrot" und verließ binnen Sekunden mit dem Gewünschten wieder das Geschäft.
Welche Veränderungen sich hier jedoch getan haben, wurde mir letzte Woche bewusst, als ich unvorsichtigerweise die Aufgabe übernommen hatte, die noch schlafende Familie am Sonntag mit frischem Backwerk zu versorgen. Und ich zum ersten Mal auf meine Brötchenbestellung eine unerwartete Gegenfrage bekam
"5 Brötchen bitte"
"WAS für Brötchen?"
"Na, Brötchen halt. Einfach. Brötchen. Ganz normal."
Die junge Dame machte ein leicht genervtes Gesicht.
"Kaiserweck? Kaisersemmel? Tafelbrötchen? Weißsemmel? Sonntagsschrippe? Mehlweck? Feiertags-Weckle? Oder das neue Sternbrötchen?"
Die Dame hinter dem Tresen verwies ungeduldig auf mehrere Körbe mit eigentlich sehr ähnlich aussehenden Getreideprodukten, an deren Platz sich früher lediglich die Sorte "normales Brötchen" befunden hatte. Erkennbar kosteten die diversifizierten Backprodukte deutlich mehr, als ich bisher für ein einfaches Brötchen gewohnt war.
Da ich keine Vorstellung von den Unterschieden hatte, die Schlange hinter mir aber länger wurde, stotterte ich "die Billigsten" – was mir einen mitleidigen Blick der anderen Wartenden einbrachte.
Während hinter mir verschlafen aussehende Sonntagseinkäufer ungeduldig vor sich hin murmelten, starrte ich auf die riesigen Mengen an vorhandenen Brötchen- und Brotsorten. Anscheinend hatten die Bäckereien beschlossen, dem Bäckereigewerbe neue Märkte zu erschließen, und so hatten sich die angebotenen Brötchensorten wie die Kaninchen vermehrt. Aberdutzende von Voll-, Spezial und Mehrkornsorten stapelten sich in Körben in wandhohen Gestellen und boten dem Kunden eine gleichermaßen unüberschaubare wie verwirrende Fülle zur Auswahl an.
"War das alles?" Sie wippte auffordernd mit den Füßen.
Die wenigen einfachen Wünsche der Familienmitglieder im Ohr, beugte ich mir vor.
"Ich hätte noch gerne zwei Vollkornbrötchen."
"WELCHE Vollkornbrötchen? Wir haben Weizenvollkorn, Misch, Roggenvollkorn, Misch mit ganzen Körner, Haferbrötchen, Dinkelvollkorn, Halb und Halb…"
Ich starrte sie an. "Äh, das erste."
"Roggenvollkorn?"
"Ja!"
"Möchten Sie das Brötchen mit Dinkelbeimischung oder mit Sesammehl halb-und-halb? Oder das neue Antiallergie-Brötchen ohne Genmais-Zumischung?"
"Äh, ja ja. Bitte."
Keine Ahnung, was meine Tochter hier essen würde.
"Und dann noch drei "Döldinger-Weizen-Brötchen!". Wenigstens diesen Sortennamen hatte ich noch parat.
"Die gibt es nicht bei uns!"
Ein weiteres Problem der modernen Bäckereiwirtschaft. Um sich vom Konkurrenten abzuheben, neigen die Bäcker dazu, ihren Sonderbrötchen verwechslungsfreie Namen zu geben, die es trotz der Gleichartigkeit des Produktes unter dem Fantasienamen garantiert nur bei Ihnen gibt.
Ich starrte erneut auf die Brötchenwand. Wenigstens wusste ich wage, wie die von meiner Familie bevorzugten Backstücke auszusehen hatten. Und tatsächlich, da waren ähnlich aussehende Brötchen mitten im Angebot!
"Da vorne. Von denen da in der Mitte…"
Leider trugen die Körbe mit Brötchen am frühen Morgen noch keine Beschriftungen. Sie starrte mich an.
"Na, da, vierte Reihe von oben, der achte Korb von rechts… Nein, von rechts! Von links ist es der zwölfte… Nein, nicht von unten, von oben! Die vierte Reihe, nein, weiter oben. Zu weit, darunter, halb rechts…"
Ein deutlich hörbares Stöhnen ging durch die hinter mir wartende Menge an potentiellen Käufern.
"Die hier??"
Die junge Dame hielt jetzt 3 Croissants in der Hand, die keine Ähnlichkeit mit meiner gewünschten Brötchensorte hatten. Ich nickte matt.
"Noch etwas??" Sie starrte mich an.
"Ja, ein Brot bitte, ein Vollkornbrot, ein… geben Sie mir einfach irgendeins."
Ich zahlte und verschwand eiligst aus dem Laden.
Meine Familie starrte auf den Brotkorb.
"Sag mal, da ist aber nichts drin, was wir haben wollten. Und warum kaufst Du eine libanesisches Kartoffelbrot mit Sojamehlbestäubung?"
Ich hob die Augenbraue.
"Sie hatten nichts anderes mehr" entgegnete ich würdevoll. "Da muss man nehmen, was man kriegt."
Der Beitrag wurde am Dienstag, 3. Dezember 2013 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Bäckerei - Satire in VorSicht 11/2013'
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