Gerd Gierender - Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft
C. Bertelsmann-Verlag / 2013
19,99 Euro (!!)
ISBN: 978-3570101032
Originaltitel: Risk-Savvy / Random House New York
Meine Wertung: ******
Professor Dr. Gerd Gigerenzer ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Das ist wichtig zu erwähnen, denn manchmal könnte man bei der Lektüre dieses Buches auf die Idee kommen, dass all die hier aufgeführten Beispiele und Quellen doch unmöglich wahr sein können. Doch sie sind es.
Gigerenzer gerade eben erschienenes neues Buch (begleitet von einem großen Interview im SPIEGEL vor 2 Wochen) befasst sich im Prinzip mit dem gleichen Thema, mit dem sich auch seine früheren Bücher beschäftigt haben: Dem Risiko und der seltsamen Unfähigkeit des Menschen, mit Wahrscheinlichkeiten und Risiken intuitiv richtig umzugehen. Dabei setzt er in seinem Buch zwei Schwerpunkte: Er beschäftigt sich aktuell mit Wahrscheinlichkeiten im Bereich der Medizin (und der beunruhigenden Unfähigkeit der meisten Ärzte, ihre Patienten bei der Abschätzung und Beurteilungen von Risiken korrekt zu beraten), sowie ganz aktuell zu Fragen der Wahrscheinlichkeitsberechnung im Bereich des Bank- und Investmentwesens. Insbesondere letzteres macht etwas den Eindruck, als ob es nachträglich dem Buch hinzugefügt worden wäre, was der ganzen Veröffentlichung einen thematisch etwas zerrissenen Eindruck vermittelt.
Um es vorauszuschicken: Die INHALTE dieses Buches erhalten bei mir 6 Sterne. Lesenswert und absolut nachvollziehbar. Allerdings, und dafür gibt es nur 2 Sterne, mag man sich fragen, ob man dafür 396 Seiten benötigt und 19,99 Euro (was für ein Preis?) ausgeben muss.
Doch worum geht es im Detail?
Erst einmal macht uns der Autor plausibel klar, dass der Mensch genetisch damit ausgestattet wurde, sichtbare Risiken überzubewerten, und unsichtbare Risiken zu ignorieren. In der Savanne Afrikas machte dies für unsere Vorfahren Sinn. Menschliche Vorfahren, die einem heranrasenden Löwen abwägend gegenübertraten ("Vielleicht will er ja gar nicht mich angreifen? Vielleicht hat er keinen Hunger?") hatten meist nicht viel Gelegenheit, ihre Gene im Genpool weiterzugeben.
Nein, in solchen Fällen ging man vom Schlimmsten aus und rannte.
Wo hingegen Dinge, auf die man keinen Einfluss hatte (Trockenheiten, Krankheiten, Erdbeben), auch getrost ignoriert werden konnten.
So handeln wir auch heute: Wir machen uns Sorgen um die sichtbare Wahrscheinlichkeit (Zeitung!), bei einer Impfung zu sterben (minimal), ignorieren aber die Zahl der durch Grippe jedes Jahr sterbenden Personen (Hunderttausende).
Doch dieses gefühlsmäßig falsche Behandeln ist eine Sache. Viel Schlimmer wiegt die Unfähigkeit der meisten Professionellen in allen möglichen Berufen, Risiken und ihre Möglichkeit der Abwägung korrekt durchzuführen.
Und hier kommt Nichtwissen und (in den Berufen, die das gelernt haben sollten) Dummheit hinzu.
Der Autor illustriert das an den 3 Risikoklassen, die es gibt: Es gibt
a) Sicherheiten (Beton brennt nicht)
b) Es gibt Risiken (z.B. ein Würfelwurf, Lotterie, Spielkasino), und es gibt
c) Ungewissheiten (Aktien, Wirtschaft, Gesundheit)
Menschen neigen dazu, Risiken (bei denen ich alle Fälle mit ihren Ausprägungen kenne) und Ungewissheiten (ich weiß per Definition nie, was es für Sonderfälle und neue Ereignisse geben könnte) zu verwechseln.
Risiken kann ich berechnen (wieviel verliere ich auf Dauer im Spielcasino), Ungewissheiten (z.B. Aktienverlauf) aber nicht. Hier kann ich bestenfalls aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließen, das hat aber nichts mit Wahrscheinlichkeit zu tun, sondern mit Hoffnung. Der Verlauf der Immobilienkrise (aus der dann die Bankenkrise wurde) ist ein schönes Beispiel dafür. Auch hier hatten Bankmathematiker das Risiko berechnet und gegen Null prognostiziert: dabei kann per Definition hier gar kein Risiko berechnet werden!
Gigerenzer greift dazu zum Beispiel der Truthahn-Illusion: Ein neugeborener Truthahn begegnet am nächsten Morgen zum ersten Mal einem Menschen: Er nimmt fast sicher an, dass der Mensch im etwas tun will - doch stattdessen füttert dieser ihn! Am nächsten Tag hat der Truthahn etwas weniger Angst, und bekommt tatsächlich wieder Futter. Tag für Tag passiert das Gleiche, und der Truthahn schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch ihm etwas tun könnte, aus den Erlebnissen der Vergangenheit immer geringer ein. Bis zum Morgen des hundertsten Tages: Es ist Thanksgiving-Tag...
Das Seltsame ist: An dem Morgen, an dem er das Risiko als am kleinsten ansieht, wird er umgebracht.
Der Fehler? Der Truthahn tut praktisch so, als ob an jedem Morgen ein Glücksrad mit einer unbekannten Zahl von Nieten (Futter) und Treffern (Werde gebraten) gedreht werden würde. Aus der Tatsache, dass bisher 100 mal die Niete (=Futter) kam, kann man darauf schließen, dass die Zahl der Nieten wahrscheinlich sehr hoch ist, die Zahl der Treffer aber sehr niedrig (vielleicht sogar 0 ist). Und da jedes Drehen unabhängig von den vorherigen Malen ist, darf ich tatsächlich annehmen, dass die Wahrscheinlichkeit meines letalen Ablebens immer kleiner wird.
Leider gilt dies nur dann, wenn ich die verschiedenen Varianten und Umstände kenne (Glücksrad). Wenn ich gar nichts genaues weiß, wie beim armen Truthahn, dann kann ich daraus auch keinerlei Wahrscheinlichkeiten ableiten. Und schon gar nicht die Vergangenheit auf die Zukunft projizieren.
Leider versuchen die meisten Beteiligten im Wirtschaftsleben trotzdem in komplizierten Formeln die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Und liegen damit falsch.
Anhand einer Gegenüberstellung der Prognosen der größten Geldinstitute für den Wirtschaftsverlauf im jeweils kommenden Jahr kann man erkennen, dass 1) praktisch kein Fachmann den tatsächlichen Verlauf vorherberechnen konnte 2) defacto die Prognose immer darauf hinauslief, dass Bisherige fortzuschreiben (was bei jeder Schwankung zu einer falschen Prognose führen musste) 3) ein Zufallsprogramm ein besseres Vorhersageergebnis beschert hätte...
Hier gibt er den Ratschlag, dass in Fragen der Ungewissheiten "Faustformeln" bessere Ergebnisse zeigen als komplizierte (Pseudo-) Rechnungen. Gleichzeitig ein Plädoyer für das "Bauchgefühl", diese bei Fachleuten (aber nur dann) ab und zu auftretendes Gefühl, etwas zu tun oder nicht zu tun - und das überraschend oft auf Fehler oder Probleme hinweist, ohne dass der Betreffende es genau begründen könnte.
Der zweite große Abschnitt handelt von den Absurditäten der Medizin, insbesondere der Krebsmedizin. Dieser Teil ist leider eher deprimierend. Anhand von offiziellen Statistiken zeigt er deutlich, dass für bestimmte Krebsarten ein frühes Erkennen durch ein intensives Screening es zwar erlaubt, die 5-Jahresgrenze nach Entdeckung zu überleben und damit als "geheilt" zu gelten (was eine völlig willkürliche Grenze ist), dass dies aber kaum Einfluss hat auf die tatsächliche Sterblichkeit. Entdecke ich den Krebs durch Symptome erst 10 Jahre später, dann sterben zwar mehr Personen vor der 5-Jahresgrenze (weil er ja auch sehr spät entdeckt wurde). Aber die Gesamtzahl der Todesfälle (die 10 Jahre vorher schon entdeckt wurden, aber teilweise erst 12 Jahre später starben) gegenübergestellt den spät untersuchten und fortgeschrittenen Fälle ist aber bei einigen Krebsarten völlig gleich.
Ausser, das beim Screening viele Krebsherde entdeckt werden, die sich kaum oder gar nicht weiterentwickelt hätten, aber trotzdem mit zum Teil hochkonsequenzigen Operationen und Behandlungen völlig umsonst entfernt werden.
Vereinfacht gesagt: Es gibt verschiedene Krebsarten, bei denen ich zwar Krebs frühzeitiger entdecken kann, und mit Chemotherapie und Operationen ihn angehen kann, bei dem aber die Wahrscheinlichkeit und der Zeitpunkt für den Tod eines Patienten sich durch die frühzeitige Behandlung überhaupt nicht verändert.
Das Ganze ist eine sehr emotionale und problematische Angelegenheit - ich möchte dies hier nicht an dieser Stelle verkürzend darstellen und bewerten: Ich rate aber jedem, sich die Argumentation im Buch durchzulesen und die Zahlen zu betrachten. Es ist sehr deprimierend.
Am Schluss seines Buches fügt der Autor noch seine Erfahrungen mit Risiko-Unterricht für Kinder hinzu. Er argumentiert, dass schon 10 jährige problemlos mit Risiken und Wahrscheinlichkeiten ganz intuitiv umgehen können, wenn man ihnen dafür die richtige Methode beibringt.
Und das durch die Darstellung und das Rechnen mit Gruppen statt mit Wahrscheinlichkeiten.
Während kaum einer ein zusätzliches Risiko von 0,2 bei einer Grundwahrscheinlichkeit von 0,05 berechnen oder sich vorstellen kann, ist die gleichartige Darstellung als Gruppe viel einfacher zu fassen:
"Von 100 Personen haben 20 eine Krankheit. Von diesen 20 haben 4 zusätzlich noch eine weitere Erkrankung." Dies kann man auch grafisch darstellen und macht Wahrscheinlichkeitsberechnung gedanklich fassbarer.
Ein SEHR interessantes Buch, auch für die eigenen Beurteilungsfehler im Alltag. 200 Seiten wenigen wären ausreichend gewesen, doch trotzdem kann ich das Buch nur jedem zur Lektüre empfehlen!
C. Bertelsmann-Verlag / 2013
19,99 Euro (!!)
ISBN: 978-3570101032
Originaltitel: Risk-Savvy / Random House New York
Meine Wertung: ******
Professor Dr. Gerd Gigerenzer ist Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Das ist wichtig zu erwähnen, denn manchmal könnte man bei der Lektüre dieses Buches auf die Idee kommen, dass all die hier aufgeführten Beispiele und Quellen doch unmöglich wahr sein können. Doch sie sind es.
Gigerenzer gerade eben erschienenes neues Buch (begleitet von einem großen Interview im SPIEGEL vor 2 Wochen) befasst sich im Prinzip mit dem gleichen Thema, mit dem sich auch seine früheren Bücher beschäftigt haben: Dem Risiko und der seltsamen Unfähigkeit des Menschen, mit Wahrscheinlichkeiten und Risiken intuitiv richtig umzugehen. Dabei setzt er in seinem Buch zwei Schwerpunkte: Er beschäftigt sich aktuell mit Wahrscheinlichkeiten im Bereich der Medizin (und der beunruhigenden Unfähigkeit der meisten Ärzte, ihre Patienten bei der Abschätzung und Beurteilungen von Risiken korrekt zu beraten), sowie ganz aktuell zu Fragen der Wahrscheinlichkeitsberechnung im Bereich des Bank- und Investmentwesens. Insbesondere letzteres macht etwas den Eindruck, als ob es nachträglich dem Buch hinzugefügt worden wäre, was der ganzen Veröffentlichung einen thematisch etwas zerrissenen Eindruck vermittelt.
Um es vorauszuschicken: Die INHALTE dieses Buches erhalten bei mir 6 Sterne. Lesenswert und absolut nachvollziehbar. Allerdings, und dafür gibt es nur 2 Sterne, mag man sich fragen, ob man dafür 396 Seiten benötigt und 19,99 Euro (was für ein Preis?) ausgeben muss.
Doch worum geht es im Detail?
Erst einmal macht uns der Autor plausibel klar, dass der Mensch genetisch damit ausgestattet wurde, sichtbare Risiken überzubewerten, und unsichtbare Risiken zu ignorieren. In der Savanne Afrikas machte dies für unsere Vorfahren Sinn. Menschliche Vorfahren, die einem heranrasenden Löwen abwägend gegenübertraten ("Vielleicht will er ja gar nicht mich angreifen? Vielleicht hat er keinen Hunger?") hatten meist nicht viel Gelegenheit, ihre Gene im Genpool weiterzugeben.
Nein, in solchen Fällen ging man vom Schlimmsten aus und rannte.
Wo hingegen Dinge, auf die man keinen Einfluss hatte (Trockenheiten, Krankheiten, Erdbeben), auch getrost ignoriert werden konnten.
So handeln wir auch heute: Wir machen uns Sorgen um die sichtbare Wahrscheinlichkeit (Zeitung!), bei einer Impfung zu sterben (minimal), ignorieren aber die Zahl der durch Grippe jedes Jahr sterbenden Personen (Hunderttausende).
Doch dieses gefühlsmäßig falsche Behandeln ist eine Sache. Viel Schlimmer wiegt die Unfähigkeit der meisten Professionellen in allen möglichen Berufen, Risiken und ihre Möglichkeit der Abwägung korrekt durchzuführen.
Und hier kommt Nichtwissen und (in den Berufen, die das gelernt haben sollten) Dummheit hinzu.
Der Autor illustriert das an den 3 Risikoklassen, die es gibt: Es gibt
a) Sicherheiten (Beton brennt nicht)
b) Es gibt Risiken (z.B. ein Würfelwurf, Lotterie, Spielkasino), und es gibt
c) Ungewissheiten (Aktien, Wirtschaft, Gesundheit)
Menschen neigen dazu, Risiken (bei denen ich alle Fälle mit ihren Ausprägungen kenne) und Ungewissheiten (ich weiß per Definition nie, was es für Sonderfälle und neue Ereignisse geben könnte) zu verwechseln.
Risiken kann ich berechnen (wieviel verliere ich auf Dauer im Spielcasino), Ungewissheiten (z.B. Aktienverlauf) aber nicht. Hier kann ich bestenfalls aus der Vergangenheit auf die Zukunft schließen, das hat aber nichts mit Wahrscheinlichkeit zu tun, sondern mit Hoffnung. Der Verlauf der Immobilienkrise (aus der dann die Bankenkrise wurde) ist ein schönes Beispiel dafür. Auch hier hatten Bankmathematiker das Risiko berechnet und gegen Null prognostiziert: dabei kann per Definition hier gar kein Risiko berechnet werden!
Gigerenzer greift dazu zum Beispiel der Truthahn-Illusion: Ein neugeborener Truthahn begegnet am nächsten Morgen zum ersten Mal einem Menschen: Er nimmt fast sicher an, dass der Mensch im etwas tun will - doch stattdessen füttert dieser ihn! Am nächsten Tag hat der Truthahn etwas weniger Angst, und bekommt tatsächlich wieder Futter. Tag für Tag passiert das Gleiche, und der Truthahn schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch ihm etwas tun könnte, aus den Erlebnissen der Vergangenheit immer geringer ein. Bis zum Morgen des hundertsten Tages: Es ist Thanksgiving-Tag...
Das Seltsame ist: An dem Morgen, an dem er das Risiko als am kleinsten ansieht, wird er umgebracht.
Der Fehler? Der Truthahn tut praktisch so, als ob an jedem Morgen ein Glücksrad mit einer unbekannten Zahl von Nieten (Futter) und Treffern (Werde gebraten) gedreht werden würde. Aus der Tatsache, dass bisher 100 mal die Niete (=Futter) kam, kann man darauf schließen, dass die Zahl der Nieten wahrscheinlich sehr hoch ist, die Zahl der Treffer aber sehr niedrig (vielleicht sogar 0 ist). Und da jedes Drehen unabhängig von den vorherigen Malen ist, darf ich tatsächlich annehmen, dass die Wahrscheinlichkeit meines letalen Ablebens immer kleiner wird.
Leider gilt dies nur dann, wenn ich die verschiedenen Varianten und Umstände kenne (Glücksrad). Wenn ich gar nichts genaues weiß, wie beim armen Truthahn, dann kann ich daraus auch keinerlei Wahrscheinlichkeiten ableiten. Und schon gar nicht die Vergangenheit auf die Zukunft projizieren.
Leider versuchen die meisten Beteiligten im Wirtschaftsleben trotzdem in komplizierten Formeln die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Und liegen damit falsch.
Anhand einer Gegenüberstellung der Prognosen der größten Geldinstitute für den Wirtschaftsverlauf im jeweils kommenden Jahr kann man erkennen, dass 1) praktisch kein Fachmann den tatsächlichen Verlauf vorherberechnen konnte 2) defacto die Prognose immer darauf hinauslief, dass Bisherige fortzuschreiben (was bei jeder Schwankung zu einer falschen Prognose führen musste) 3) ein Zufallsprogramm ein besseres Vorhersageergebnis beschert hätte...
Hier gibt er den Ratschlag, dass in Fragen der Ungewissheiten "Faustformeln" bessere Ergebnisse zeigen als komplizierte (Pseudo-) Rechnungen. Gleichzeitig ein Plädoyer für das "Bauchgefühl", diese bei Fachleuten (aber nur dann) ab und zu auftretendes Gefühl, etwas zu tun oder nicht zu tun - und das überraschend oft auf Fehler oder Probleme hinweist, ohne dass der Betreffende es genau begründen könnte.
Der zweite große Abschnitt handelt von den Absurditäten der Medizin, insbesondere der Krebsmedizin. Dieser Teil ist leider eher deprimierend. Anhand von offiziellen Statistiken zeigt er deutlich, dass für bestimmte Krebsarten ein frühes Erkennen durch ein intensives Screening es zwar erlaubt, die 5-Jahresgrenze nach Entdeckung zu überleben und damit als "geheilt" zu gelten (was eine völlig willkürliche Grenze ist), dass dies aber kaum Einfluss hat auf die tatsächliche Sterblichkeit. Entdecke ich den Krebs durch Symptome erst 10 Jahre später, dann sterben zwar mehr Personen vor der 5-Jahresgrenze (weil er ja auch sehr spät entdeckt wurde). Aber die Gesamtzahl der Todesfälle (die 10 Jahre vorher schon entdeckt wurden, aber teilweise erst 12 Jahre später starben) gegenübergestellt den spät untersuchten und fortgeschrittenen Fälle ist aber bei einigen Krebsarten völlig gleich.
Ausser, das beim Screening viele Krebsherde entdeckt werden, die sich kaum oder gar nicht weiterentwickelt hätten, aber trotzdem mit zum Teil hochkonsequenzigen Operationen und Behandlungen völlig umsonst entfernt werden.
Vereinfacht gesagt: Es gibt verschiedene Krebsarten, bei denen ich zwar Krebs frühzeitiger entdecken kann, und mit Chemotherapie und Operationen ihn angehen kann, bei dem aber die Wahrscheinlichkeit und der Zeitpunkt für den Tod eines Patienten sich durch die frühzeitige Behandlung überhaupt nicht verändert.
Das Ganze ist eine sehr emotionale und problematische Angelegenheit - ich möchte dies hier nicht an dieser Stelle verkürzend darstellen und bewerten: Ich rate aber jedem, sich die Argumentation im Buch durchzulesen und die Zahlen zu betrachten. Es ist sehr deprimierend.
Am Schluss seines Buches fügt der Autor noch seine Erfahrungen mit Risiko-Unterricht für Kinder hinzu. Er argumentiert, dass schon 10 jährige problemlos mit Risiken und Wahrscheinlichkeiten ganz intuitiv umgehen können, wenn man ihnen dafür die richtige Methode beibringt.
Und das durch die Darstellung und das Rechnen mit Gruppen statt mit Wahrscheinlichkeiten.
Während kaum einer ein zusätzliches Risiko von 0,2 bei einer Grundwahrscheinlichkeit von 0,05 berechnen oder sich vorstellen kann, ist die gleichartige Darstellung als Gruppe viel einfacher zu fassen:
"Von 100 Personen haben 20 eine Krankheit. Von diesen 20 haben 4 zusätzlich noch eine weitere Erkrankung." Dies kann man auch grafisch darstellen und macht Wahrscheinlichkeitsberechnung gedanklich fassbarer.
Ein SEHR interessantes Buch, auch für die eigenen Beurteilungsfehler im Alltag. 200 Seiten wenigen wären ausreichend gewesen, doch trotzdem kann ich das Buch nur jedem zur Lektüre empfehlen!
Der Beitrag wurde am Montag, 1. April 2013 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Buecher abgelegt.
'Buchtipp: Gerd Gigerenzer - Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft'
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