Soziale Kontakte
von Klaus Marion.

Veröffentlicht in VORSICHT 6/2012

Immer mehr Menschen finden sich auf Wer-kennt-Wen, Google+ oder Facebook zusammen, um dort mit Ihren Freunden schnell und einfach zu kommunizieren. Doch gleichzeitig steigt auch die Zahl der Benutzer, die den Aufwand der ständigen „Pflege“ der Online-Freunde als störend empfinden. Sie sehen ein Problem mit der durch die Teilnahme an solchen Netzwerken entstehenden Verpflichtung, die in zeitraubenden und täglichen Aufenthalten auf den Seiten der sozialen Netzwerke entstehen.
Muss das wirklich zum Problem werden?
VORSICHT, das investigative Magazin am Puls der sozialen Netzwerke, hat mit einem Facebooker der ersten Stunde gesprochen.


VORSICHT: Helmut Prowick, Du bist ein überzeugter Facebooker und WKWler und schon seit Jahren im Netz. Ist eine Teilnahme an sozialen Netzwerken heutzutage notwendig?
PROWICK: Unbedingt! Auf WKW habe ich über 1.000 Kontakte, bei facebook bin ich mit mehr als 900 Personen befreundet. All die vielen Menschen, die ich sonst aus den Augen verlieren könnte, mit denen ich niemals mehr sprechen würde! Schulfreunde, Bekannte, Arbeitskollegen – ein paar Klicks und ein paar Zeilen geschrieben, und man hat sich wieder ausgetauscht. Herzerwärmend. Tolle Sache!
VORSICHT: Aber ist das nicht sehr zeitraubend?
PROWICK: Natürlich ist das mit Aufwand verbunden. Nehmen wir mal die Geburtstagswünsche. An manchen Tagen erinnern mich die Netzwerke an über 20 Geburtstagen von Freunden. Dazu kommt dann die mehrfache Glückwunschübermittlung in den verschiedenen Netzwerken. Da ist man echt beschäftigt.
VORSICHT: Und wie behältst Du diesen Aufwand im Griff?
PROWICK: Automatisierung. Ich habe mir verschiedene Bots und Scripte für meine Onlineauftritte installiert, die mir lästige Alltagsarbeit abnehmen.
VORSICHT: Scripte?
PROWICK: Kleine Programme. So liest eines dieser Programme jeden Morgen die Geburtstagshinweise aus und postet „Herzliche Glückwünsche“ an die Person. Vollautomatisch!
VORSICHT: Mit immer dem gleichen Text?
PROWICK: Nun, das war tatsächlich am Anfang problematisch. Eine kurze Krise gab es, als das Script meiner Freundin in meinem Namen lapidar alles Gute fürs neue Lebensjahr wünschte. Und mein Chef einen Eintrag mit „tausend Küssen“ erhielt. Danach habe ich eine Automatik eingebaut, die den Text je nach Gruppe variiert: Enge Freunde, Kollegen, Verwandte. Jetzt läuft wieder alles rund.
VORSICHT: Und die Freundin?
PROWICK: Die Freundin hat sich von mir getrennt. Der Chef auch. Inzwischen versendet mein Programm aber auch Weihnachts-, Oster- und Hochzeitswünsche völlig automatisch! Das ist doch etwas Schönes!
VORSICHT: Und das spart wichtige Zeit?
PROWICK: Unbedingt. Jetzt kann ich mich wieder voll auf meine Kontakte konzentrieren. Schließlich habe ich auch die „Like“-Buttons automatisiert.
VORSICHT: „Like“?
PROWICK: Sie wissen doch: Wenn jemand etwas schreibt oder auf einen Link im Netz hinweist, können seine Freunde das mit einem Button „Liken“. Das zeigt, dass man das gelesen hat, und dem Verfasser zustimmt. Gleichzeitig signalisiert es, dass man sich auch um seine Freunde kümmert. Ist bei 1000 Freunden und ihren ganzen Meldungen natürlich aufwändig.
VORSICHT: Und da hast Du…?
PROWICK: Automatisiert, ja. Ein kleines Script setzt das „ich-mag-das“ willkürlich bei jedem zweiten Posting. Ich meine, da laufen am Tag Hunderte von solchen Beiträgen durch, die kann man ja schließlich nicht auch noch alle lesen…
VORSICHT: Und das fällt nicht auf?
PROWICK: Mein Script kommentiert auch noch zufallsgesteuert die Beiträge. Texte wie „Echt…?“, „Das glaube ich jetzt nicht!“ oder „Hätte ich Dir nicht zugetraut!“ werden automatisch eingefügt und zerstreuen jeden Verdacht. Nur einmal gab es ein Problem, als das Programm den Link auf den Völkermord in Kambodscha mit „Find ich Geil!“ beantwortete. Ist aber keinem aufgefallen.
VORSICHT: Und damit bleibt dir mehr Zeit für echte Kommunikation.
PROWICK: Genau. Auch die vielen direkt an mich alleine gerichteten Nachrichten werden ebenfalls automatisch gesteuert beantwortet. Ein kleiner Generator erzeugt in meinem Namen Statusmeldungen, wie „Boa, was für ein Tag!“ oder „Gestern im Kino gewesen: Geil“ und veröffentlicht ab und zu ein zufällig ausgewähltes Bild aus dem Internet mit einem Kommentar „Schaut Euch das mal an!“
VORSICHT: Und das merkt niemand?
PROWICK: Überhaupt nicht. Zumal viele meiner Freunde inzwischen auch solche Programme einsetzen. Mein Script und das Script eines meiner Freunde haben sich 4 Tage lang unterhalten, ohne dass es jemand bemerkt wäre. Es war eine Endlos-Schleife: „Mann!“ – „Echt Geil“ – „Mann!“ etc.
VORSICHT: Und diese Automation hat Dir geholfen?
PROWICK: Ich bin wirklich glücklich. Jetzt pflegen sich meine sozialen Kontakte ganz automatisch. Manchmal muss ich eine ganze Woche nicht in Facebook schauen, und habe mich trotzdem um meine Freunde gekümmert! Das ist ja das Tolle am technischen Fortschritt!
Der Beitrag wurde am Sonntag, 21. Oktober 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Soziale Kontakte - Satire in VorSICHT Juni 2012'

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