Die Umfrage
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 4/2012
"Frage nicht, was Dein Land für dich tun kann. Frage, was Du für Dein Land tun kannst." (Gauck 5,1)
Und manchmal sind es nur Kleinigkeiten.
Es ist schon einige Jahre, als ein amtlich aussehender Umschlag unseren Briefkasten erreichte. Darin befand sich ein freundliches und wohlformuliertes Schreiben eines statistischen Amtes sowie einer renommierten Universität, in der wir als Eltern eines in der 5. Klasse befindlichen Kindes gebeten wurden, an einer statistischen Untersuchung zu Unterricht und Kindeswohl teilzunehmen.
Man betonte mehrfach die absolute Freiwilligkeit dieser Teilnahme, erinnerte aber wortreich daran, dass wir als verantwortungsvolle Eltern doch sicher gerne die Chance ergreifen würden, als ausgewählte repräsentative Gruppe bei der Weiterentwicklung des Schulsystems aktiv mitzuhelfen. Man würde uns zwecks eines kurzen, telefonischen Interviews kontaktieren.
Nun ist mir dieser Ansatz durchaus sympathisch, und auch als mündiger Bürger möchte ich gerne meinen Teil dazu beitragen, dass der Schulbesuch unserer nachwachsenden Generation optimal gesteuert wird. In diesem Sinne besprach ich dies auch mit meiner Frau.
Und tatsächlich: Wenige Tage später rief gegen Abend eine nette und freundliche Stimme an, die auf das Schreiben verwies und höflich fragte, ob wir an der Untersuchung teilnehmen möchten.
Meine Frau, die den Anruf entgegengenommen hatte, versicherte dies nachdrücklich. Man bedeutete ihr, dass es sich hierbei um ein paar kurze Fragen handle und ob sie für die Befragung bereit wäre?
Meine Angetraute winkte mir kurz zu, während ich in den Keller verschwand, um einige Aufräumungsarbeiten vorzunehmen.
Etwa eine Stunde später kam sie mir entgegen gewankt. Ihrer Befragung war jetzt endlich fertig. "Es waren tatsächlich alles kurze Fragen. Aber ganz viele davon. Jetzt befragen Sie unsere Tochter!"
Wie sich herausstellte, bestand das Interview aus zwei Teilen: Eines für die Eltern, und eines für den Nachwuchs. Weitere anderthalb Stunden später war auch unsere Tochter fertig und blickte uns mit glasigen Augen an. Ich beruhigte sie.
"Das ist zum Guten aller. Es ist schön, dass Du daran freiwillig teilgenommen hast. Manchmal muss man für die Gemeinschaft auch Opfer bringen!"
Danach hatten wir die Sache wieder vergessen.
Ein halbes Jahr später klingelte das Telefon erneut. Diesmal ging ich dran. Es war wieder eine freundliche Stimme, die auf die schon vorgenommene Befragung verwies und mich darüber informierte, dass zur Auswertung der gewonnenen Daten natürlich eine Nachbefragung notwendig sei. Ob ich absolut freiwillig daran teilnehmen wolle?
"Und meine Tochter?"
Nun, die natürlich auch.
"Viele Fragen?"
"Nur einige wenige. Absolut freiwillig."
Ich seufzte und gab meine Zustimmung. Kaum 90 Minuten später war der Wust von Fragen durchgearbeitet, der im Multiple-Choice Verfahren abgearbeitet werden musste.
"Vielen Dank. Jetzt müssten wir natürlich auch noch Ihre Tochter befragen!"
Unsere Tochter war nicht begeistert.
"Das dauert ja wieder ewig. Ich mag die nicht!"
Geduldig erläuterte ich ihr noch einmal, wie wichtig dieser Dienst an der Allgemeinheit sei.
Widerstrebend brachten wir also auch diese Befragung hinter uns.
Wir waren dann schon kaum mehr überrascht, als uns ein halbes Jahr später ein weiterer Anruf erreichte. Wie man mir eröffnete, handelte es sich bei der Studie um eine Langzeitstudie, so dass sie gerne die Entwicklung beobachten wollten. Freiwillig. Ganz kurze Fragen.
Grummelnd gab ich nach. Als nach einer Stunde das Telefoninterview auf die präferierten Fragen von Klassenzimmeranstrichen kam, wurde ich schon etwas ungeduldig. Und natürlich wurde im Anschluss wieder meine Tochter benötigt. Ihren Widerstand konnten wir nur durch eine exorbitante Bestechungssumme in Spielwaren brechen.
Meine Frau bedeute mir: "Das war's. Jetzt reicht's! Wenn die nochmal anrufen, ist genug. Wir haben unseren Teil getan!"
In diesem Sinne äußerte ich mich auch prononciert, als das Telefon erneut wieder klingelte.
"Wenn Sie jetzt nicht mehr teilnehmen, dann sind alle Ihre bisherigen Befragungen wertlos und können nicht in die Untersuchung einbezogen werden. Alles umsonst. Wollen Sie das?"
"Hm."
Nach dem Hinweis auf steigenden Jugendsuizid, höhere Steuern wegen schlechtem statistischen Zahlenmaterial und einer beschleunigten Vergreisung der Gesellschaft packte mich das schlechte Gewissen und ich erklärte mich letztmalig bereit, einige wenige, kurze Fragen völlig freiwillig zu beantworten. Kaum zwei Stunden später war dann (nach Androhung umfangreichen Hausarrestes) auch meine Tochter bereit, erneut die kurze Befragung über sich ergehen zu lassen.
Seit dieser Zeit leben wir unter dem statistischen Befragungsfluch. Pünktlich alle 6 Monate ruft wieder eine nette Stimme an, um unsere 'absolut freiwillige' Teilnahme zu erbitten. Zwischendurch hatten wir versucht, durch Erteilung einer Geheimnummer den Anrufen zu entgehen. Dann kamen die Anfragen per Post. Auch ein kurzfristiger Umzug war nicht von Erfolg gekrönt. Jetzt wurden die Anfragen über die Schule zugestellt.
Aus rein sportlichen Gründen kann ich die Befrager nur bewundern. Ihre subtilen Andeutungen lassen vermuten, dass eine Nichtteilnahme an den weiteren Befragungen sowohl den Hunger in Ostafrika, das Wettrüsten auf der koreanischen Halbinsel sowie den Terrorismus im Allgemeinen fördern könnte. Zumindest könne man bei einer Teilnahme statistisch untersuchen, ob dies mit der Schulsituation unseres Kindes zusammenhängen würde.
Inzwischen erkennen wir die anrufenden Befrager schon an der Stimme, und wir versenden Ihnen kleine Weihnachtspräsente und herzliche Osterwünsche, meine Frau soll die Patenschaft eines Kindes der Befrager übernehmen. Absolut freiwillig.
Wahrscheinlich werden Sie uns noch die nächsten 30 Jahre begleiten.
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 4/2012
"Frage nicht, was Dein Land für dich tun kann. Frage, was Du für Dein Land tun kannst." (Gauck 5,1)
Und manchmal sind es nur Kleinigkeiten.
Es ist schon einige Jahre, als ein amtlich aussehender Umschlag unseren Briefkasten erreichte. Darin befand sich ein freundliches und wohlformuliertes Schreiben eines statistischen Amtes sowie einer renommierten Universität, in der wir als Eltern eines in der 5. Klasse befindlichen Kindes gebeten wurden, an einer statistischen Untersuchung zu Unterricht und Kindeswohl teilzunehmen.
Man betonte mehrfach die absolute Freiwilligkeit dieser Teilnahme, erinnerte aber wortreich daran, dass wir als verantwortungsvolle Eltern doch sicher gerne die Chance ergreifen würden, als ausgewählte repräsentative Gruppe bei der Weiterentwicklung des Schulsystems aktiv mitzuhelfen. Man würde uns zwecks eines kurzen, telefonischen Interviews kontaktieren.
Nun ist mir dieser Ansatz durchaus sympathisch, und auch als mündiger Bürger möchte ich gerne meinen Teil dazu beitragen, dass der Schulbesuch unserer nachwachsenden Generation optimal gesteuert wird. In diesem Sinne besprach ich dies auch mit meiner Frau.
Und tatsächlich: Wenige Tage später rief gegen Abend eine nette und freundliche Stimme an, die auf das Schreiben verwies und höflich fragte, ob wir an der Untersuchung teilnehmen möchten.
Meine Frau, die den Anruf entgegengenommen hatte, versicherte dies nachdrücklich. Man bedeutete ihr, dass es sich hierbei um ein paar kurze Fragen handle und ob sie für die Befragung bereit wäre?
Meine Angetraute winkte mir kurz zu, während ich in den Keller verschwand, um einige Aufräumungsarbeiten vorzunehmen.
Etwa eine Stunde später kam sie mir entgegen gewankt. Ihrer Befragung war jetzt endlich fertig. "Es waren tatsächlich alles kurze Fragen. Aber ganz viele davon. Jetzt befragen Sie unsere Tochter!"
Wie sich herausstellte, bestand das Interview aus zwei Teilen: Eines für die Eltern, und eines für den Nachwuchs. Weitere anderthalb Stunden später war auch unsere Tochter fertig und blickte uns mit glasigen Augen an. Ich beruhigte sie.
"Das ist zum Guten aller. Es ist schön, dass Du daran freiwillig teilgenommen hast. Manchmal muss man für die Gemeinschaft auch Opfer bringen!"
Danach hatten wir die Sache wieder vergessen.
Ein halbes Jahr später klingelte das Telefon erneut. Diesmal ging ich dran. Es war wieder eine freundliche Stimme, die auf die schon vorgenommene Befragung verwies und mich darüber informierte, dass zur Auswertung der gewonnenen Daten natürlich eine Nachbefragung notwendig sei. Ob ich absolut freiwillig daran teilnehmen wolle?
"Und meine Tochter?"
Nun, die natürlich auch.
"Viele Fragen?"
"Nur einige wenige. Absolut freiwillig."
Ich seufzte und gab meine Zustimmung. Kaum 90 Minuten später war der Wust von Fragen durchgearbeitet, der im Multiple-Choice Verfahren abgearbeitet werden musste.
"Vielen Dank. Jetzt müssten wir natürlich auch noch Ihre Tochter befragen!"
Unsere Tochter war nicht begeistert.
"Das dauert ja wieder ewig. Ich mag die nicht!"
Geduldig erläuterte ich ihr noch einmal, wie wichtig dieser Dienst an der Allgemeinheit sei.
Widerstrebend brachten wir also auch diese Befragung hinter uns.
Wir waren dann schon kaum mehr überrascht, als uns ein halbes Jahr später ein weiterer Anruf erreichte. Wie man mir eröffnete, handelte es sich bei der Studie um eine Langzeitstudie, so dass sie gerne die Entwicklung beobachten wollten. Freiwillig. Ganz kurze Fragen.
Grummelnd gab ich nach. Als nach einer Stunde das Telefoninterview auf die präferierten Fragen von Klassenzimmeranstrichen kam, wurde ich schon etwas ungeduldig. Und natürlich wurde im Anschluss wieder meine Tochter benötigt. Ihren Widerstand konnten wir nur durch eine exorbitante Bestechungssumme in Spielwaren brechen.
Meine Frau bedeute mir: "Das war's. Jetzt reicht's! Wenn die nochmal anrufen, ist genug. Wir haben unseren Teil getan!"
In diesem Sinne äußerte ich mich auch prononciert, als das Telefon erneut wieder klingelte.
"Wenn Sie jetzt nicht mehr teilnehmen, dann sind alle Ihre bisherigen Befragungen wertlos und können nicht in die Untersuchung einbezogen werden. Alles umsonst. Wollen Sie das?"
"Hm."
Nach dem Hinweis auf steigenden Jugendsuizid, höhere Steuern wegen schlechtem statistischen Zahlenmaterial und einer beschleunigten Vergreisung der Gesellschaft packte mich das schlechte Gewissen und ich erklärte mich letztmalig bereit, einige wenige, kurze Fragen völlig freiwillig zu beantworten. Kaum zwei Stunden später war dann (nach Androhung umfangreichen Hausarrestes) auch meine Tochter bereit, erneut die kurze Befragung über sich ergehen zu lassen.
Seit dieser Zeit leben wir unter dem statistischen Befragungsfluch. Pünktlich alle 6 Monate ruft wieder eine nette Stimme an, um unsere 'absolut freiwillige' Teilnahme zu erbitten. Zwischendurch hatten wir versucht, durch Erteilung einer Geheimnummer den Anrufen zu entgehen. Dann kamen die Anfragen per Post. Auch ein kurzfristiger Umzug war nicht von Erfolg gekrönt. Jetzt wurden die Anfragen über die Schule zugestellt.
Aus rein sportlichen Gründen kann ich die Befrager nur bewundern. Ihre subtilen Andeutungen lassen vermuten, dass eine Nichtteilnahme an den weiteren Befragungen sowohl den Hunger in Ostafrika, das Wettrüsten auf der koreanischen Halbinsel sowie den Terrorismus im Allgemeinen fördern könnte. Zumindest könne man bei einer Teilnahme statistisch untersuchen, ob dies mit der Schulsituation unseres Kindes zusammenhängen würde.
Inzwischen erkennen wir die anrufenden Befrager schon an der Stimme, und wir versenden Ihnen kleine Weihnachtspräsente und herzliche Osterwünsche, meine Frau soll die Patenschaft eines Kindes der Befrager übernehmen. Absolut freiwillig.
Wahrscheinlich werden Sie uns noch die nächsten 30 Jahre begleiten.
Der Beitrag wurde am Freitag, 19. Oktober 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Die Umfrage - Satire in VorSicht April 2012'
Teilen