Auf Sendung
von Klaus Marion.

Veröffentlicht in VORSICHT 2/2012

Die Zeiten, als Radioprogramme einfach so vor sich hinsendeten, sind lange vorbei. Heutzutage ist es jedem Sender wichtig, so viele Hörer wie möglich zu haben. Dafür scheint fast jedes Mittel recht - auch bei den Öffentlich-Rechtlichen.

Bei meinem Besuch im Lokal meines Vertrauens erblickte ich zu meiner Überraschung Rudi, der auf einem Ecktisch neben einem Krug mit Bier vielerlei Papiere ausgebreitet hatte und wild in einen mitgebrachten Kleincomputer tippte. Ich setzte mich neugierig zu ihm.
"Du hast ein neues Projekt?"
Rudi betrachtete mich wie störendes Insekt.
"Junge, ich bin am Arbeiten. Eine ganz heiße Sache. Ich berate öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten."
"Du?"
"Ja, ich. Media-Push-Consulting GmbH. Ganz neu gegründet. Eine echte Marktlücke..."
"Du hast tatsächlich Aufträge von denen?"
"Naja, noch nicht ganz. Ich entwickle und verkaufe denen ein komplett neues Konzept. Die sind doch den privaten Sendern völlig unterlegen. Keine Ahnung von den Gesetzen des Marktes und so. Nur einfach Radio machen, das reicht nicht mehr. Was Du brauchst, sind Hörer. Ganz viele Hörer. Wer die meisten davon hat, ist König und kann die teuersten Preise für die Werbespots nehmen. Nimm mal einen hiesigen Sender: SWR3. Weißt Du, wie die mehr Erfolg haben könnten?"
"Besseres Programm?"
"Ich sehe, Du hast keine Ahnung, wie das geht. Im Ernst: wichtig ist, wie viele Minuten die Hörer pro Tag das Radio laufen haben. Das wird anhand einer Testgruppe gemessen, und daraus ermittelt sich, wer der erfolgreichste Sender ist. Nein, die erste Maßnahme muss sein, keinen Hörer mehr zu verschrecken. Also, keine langen Wortbeiträge mehr. Kurze Nachrichten. Alles, was länger als 180 Sekunden dauert, führt beim einfachen Bürger zum Umschalten auf einen anderen Kanal. Und natürlich nichts senden, was kompliziert ist. Am besten, der Moderator stellt sich etwas doof, und fragt bei jedem Fremdwort seinen Kollegen, ob er das auch nicht verstehe. Tut er dann nicht. Dann kann man einfach eine Quiz draus machen und den Hörer fragen, was denn bitte eine "Orchidee" ist. Der soll dann anrufen. Solange er versucht beim Sender anzurufen, läuft sein Radio, und schon wieder sind ein paar Minuten gerettet!"
"Aber man kann doch nicht jedes Thema in 3 Minuten packen?"
"Nun", räumte Rudi ein, "das ist natürlich schwierig. Da empfehle ich den raffinierten Verteilungstrick: Der zweite Teil des Beitrags, oder auch die angekündigte Expertenmeinung, wird frühestens in der nächsten Stunde gesendet, und zwar schon mit genauer Vorankündigung des Zeitpunkts. Der Zuhörer ist neugierig, will nichts verpassen, und schon bleibt das Radio an. Und nach diesem Beitrag kommt dann der Kommentar zum Thema. Ebenfalls frühestens eine Stunde später. Mit etwas Phantasie kann man damit ein Thema durch den ganzen Tag schleppen - und damit auch den Hörer."
"Und diejenigen, die lieber Musik hören?"
"Das ist eine ganz andere Sache. Hier habe ich ein raffiniertes Schema entwickelt. Essentiell ist: Man sendet nur, was den Leuten schon bekannt ist. Neue Songs oder neue Gruppen sind riskant. Gerade große Songs kommen erst bei mehrmaligem hören so richtig im Ohr an. Warum das Risiko eingehen, dass die Leute auf einen anderen Sender wechseln? Sollen doch die Anderen das Lied bekannt machen und sich die Hörerquote ruinieren! Danach, dann kann man es dann mindestens pro Stunde einmal spielen. Am besten auch hier mit einer Vorankündigung 30 Minuten früher, um jedes Risiko des Umschaltens auszuschließen. Perfekt sind übrigens Top-Hits. Idealer Weise schon 20 oder 30 Jahre alt. Stones, Beatles, Maffay. Das geht immer. 200 Titel als Pool reichen da in der Summe völlig aus."
"Und aktuelle Neuerscheinungen für die Jugend?"
"Wer braucht die denn? Die hören tagsüber eh nur MP3s auf ihrem Handy. Die bekommen dann Abends ab 23 Uhr ihre Chance, da kann man dann auch mal Außenseitermusik spielen. Um die Zeit sind die Erwachsenen eh nicht mehr wach."
"Ich weiß nicht. Spielt denn wenigstens gute Moderation eine Rolle?"
"Natürlich! Lustig muss es sein, aber natürlich angepasst an den kleinsten gemeinsamen Nenner. Also, bei jedem gesendeten Sketch oder Comical unbedingt darauf hinweisen, dass jetzt der "lustige Anrufer" oder der "witzige nörgelnde Nachbar" kommt. Einfache Gemüter verstehen sonst vielleicht nicht, dass es sich um Humor handelt, sind verwirrt, und…"
"… schalten dann um. Ja, ich habe das Prinzip verstanden."
"Natürlich dürfen die Witze nicht zu bissig sein. Das könnte jemand beleidigen und zum Senderwechsel motivieren. Auch darf man nicht vergessen, dass es viele Leute gibt, die in bestimmten Punkten absolut humorlos sind. Also keine Witze über Randgruppen (Bundespräsident ist aber okay), Minderheiten, politische Parteien, Sänger, Stars, Fußballvereine (außer Bayern München)!"
"Ostfriesenwitze sind erlaubt?"
"Seit man per Kabel und Satellit die Sender auch außerhalb ihres angestammten Sendegebietes erreichen kann, ist das ein absolutes No Go! Wir wollen ja keine norddeutschen Hörer verlieren."
"Ich weiß nicht…"
"Und bedeutsam ist, die Moderatoren immer im Doppelpack auftreten zu lassen. So können sie sich gegenseitig die Bälle zuspielen und zeigen, dass sie sich auch geistig nicht vom Durchschnitt unterscheiden. Männliche Moderatoren sind Fußballfans und machen leicht anzügliche Witze, und weibliche Moderatorinnen versehen Sängerinnen immer mit Adjektiven wie "die Süße" oder "die Schnuckelige". Das erzeugt eine vertraute Atmosphäre wie zu Hause und…"
"… man schaltet nicht um. Okay."
"Und mein absoluter Kracher: Ich schlage einfache Telefonpreisrätsel vor, bei denen die Hinweise zum Gewinnen aber im Radioprogramm des Vortages versteckt werden. Irgendwann. Da bleibt das Radio immer auf dem richtigen Sender, und die Zuhörerquoten stimmen! Schau mal, ich habe das alles zu einem 20-Punkte-Sofortprogramm zusammengefasst. Mit diesem Plan werde ich reich!"
"Und das willst Du Sendern wie SWR3 verkaufen?"
"Ja."
"Da habe ich aber eine schlechte Nachricht für Dich: Die machen das schon alle so…"

Klaus Marion
Der Beitrag wurde am Montag, 13. August 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Auf Sendung - Satire in VorSICHT Februar 2012'

Teilen