Was tut sich in Sachen Science Fiction Kurzgeschichten aktuell in den USA?

Kurzgeschichten (im angelsächsischen "Short Stories") führen in Deutschland ein Nieschendasein. Wenn überhaupt, werden sie erst nach Jahren, und dann meist als Taschenbücher, übersetzt und in Deutschland publiziert. Und selbst diese vergleichsweise goldenen Zeiten scheinen vorbei.
Doch kaum etwas zeigt aktuelle Trends und Moden der Science-Fiction-Literatur so prägnant und deutlich wie die in den amerikanischen Magazinen veröffentlichten Kurzgeschichten.

Mein regelmäßige Beobachtung der Short-Stories in amerikanischen Veröffentlichungen, diesmal mit einem aktuellen Blick in die Juni-Ausgabe des Asimov's Science Fiction Magazine


(Beste Wertung: 6 Sterne)

Megan Arkenbergs Erstlingswerk bei Asimov's ist "Final Exam". Eine gänzlich ungewöhnliche Geschichte in Form von 17 Multiple Choice Fragen ("Als Du an diesem Abend das Meer mit seinen Segelbooten zuerst gesehen hast, da fühltest Du..."), zu denen jeweils mehrere Antworten möglich sind, und bei deren richtiger Wahl eine ungewöhnliche Erzählung über eine schwierige Ehe und schrecklichem Horror entsteht. Die Geschichte endet mit der Übersicht der richtigen Auflösung, kommentiert. Als Geschichte konventionell, in der Struktur eines Prüfungsbogens mehr als überraschend. Nicht schlecht.
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Jack McDevitt ist ein Großer in den USA, seine Werke standen bereits 16 mal auf der Nominierungsliste des NEBULA-Awards. Gott sei Dank sind von ihm schon einige Werke auch in Deutsch erschienen. Sein beliebter, in verschiedenen Romanen auftauchender Charakter "Priscilla Hutchins", spielt in der Kurzgeschichte "Waiting at the Altar" die Hauptrolle.
Eine Raumschiffgeschichte über ein Not-Bakensignal, der Begegnung mit einer Alienrasse und einer toten Raumschiffbesatzung. Man glaubt die Handlung zu kennen, doch hier kommt alles ganz anders.
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Der Amerikaner Alan DeNiro ist der Öffentlichkeit hauptsächlich durch sein Buch "Total Oblivion, More or Less: A Novel" bekannt, einem Buch, das leider nur in Englisch oder als Kindle-Edition erhältlich ist.
In Asimov's veröffentlicht er "The Flowering Ape", eine sehr ungewöhnliche Geschichte über eine ferne Zukunft, in denen überlichtschnelle Raumfaht durch eine geistig-telepathische Symbiose einer seltsamen Alienrasse und ausgewählten Menschen möglich ist.
Die Geschichte wird aus Sicht der jugendlichen Ich-Erzählerin entwickelt. Sie ist Mitglied der Schule zur Ausbildung als telepatischer Symbiont, aber noch keiner der "Shephards" hat sie als Partner ausgewählt. Zusammen mit dem Jungen, für den sie sich interessiert, machen sie und dessen Freunde einen"Joyride" mit einem Überlichtraumschiff, der zu einem persönlichen Drama für alle Beteiligten wird.
Eine genial entwickelter Hintergrund für eine Geschichte über Erwachsenwerden, Beziehung, Intersexualität, Macht, Freundschaft. Sehr gut erzählt, seehr clever komponiert.
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"The Widdershins Clock" von Kali Wallace ist eine Erzählung über die Beziehung von Frauen und ihren Müttern, über das Leben und Herausforderungen als Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft.
Die schöne Erzählung und Reflektion benutzt dabei den Science Fiction Aspekt (eine seltsame Uhr) so dezent und nebenbei, dass die eigentliche Lösung der Handlung nur flüchtig angedeutet wird. Sie ist eigentlich für jeden Science Fiction Leser von Anfang an klar und wird so nebenbei erzählt, dass ich mich frage, ob ein Nicht-SF-Leser hier nicht fragend zurückbleiben könnte. Doch dieser Aspekt ist sowieso nicht entscheident, die innere Handlung ist hier die Hauptsache. Schön gemacht, für meinen Geschmack aber zu wenig SF. Wäre als Non-SF deutlich besser zu bewerten.
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Das Highlight dieser Ausgabe ist Bud Sparhawks "Scout". Sparhawk ist ein NEBULA-Finalist und hat hunderte von Geschichten veröffentlicht, viele davon in ANALOG und F&SF.
In "Scout" greift er eine frühere Erzählung auf, in der es um eine schreckliche und absolut gnadenlose Alien-Rasse geht, die Planet für Planet die irdischen Kolonien zerstört und die Menschen tötet oder entführt.
Wofür und warum wird in dieser Geschichte näher beleuchtet. Sie ist eine traurige und grausame Geschichte über die Frage, was Menschsein ausmacht, und zu welchen unmenschlichen Mitteln eine Menschheit greifen würde, wenn ihr eigenes Überleben gefährdet wäre.
Erzählt wird die Geschichte eines Kriegsversehrten, der als (freiwilliger) Scout auf einem besetzten feindlichen Planeten ausgesetzt wird, um dort eine Aufkläungsmission durchzuführen.
Die Ich-Erzählung der Geschichte macht das Ganze noch bedrückender, und die lakonische Schluss-Aussage der Geschichte ist schrecklich banal: Was macht uns zu menschlichen Wesen? Nur ein paar kleine Erinnerungen über unser bisheriges Leben. Selbst wenn diese gar nicht echt sein sollten.
Soweit ich das sehe, ist von Bud Sparhawk nicht ein einziger deutscher Roman erschienen.
Das sagt viel über die Verlagssituation zu Science Fiction Romanen in Deutschland.
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Nach so viel Tiefgang macht es Spaß, eine gänzlich durchgeknallte Geschichte über chinesische schwarze Hühner, gigantische, multidimensionale Adler und die Weisheit der Chinesen zu lesen.
Was ein kleiner Hund, seine streitbare Besitzerin und der verliebte Ich-Erzähler dabei erleben, und was das alles soll, ist eine witzige und charmante Nonsens-Geschichte mit Happy-End.
Bruce McAllisters "Free Range" macht so viel Freude, dass ich mir seine Kurzgeschichtensammlung "The Girl who loved Animals" unbeding zulegen muss.
Ein echtes Vergnügen!
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Der Beitrag wurde am Sonntag, 20. Mai 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Watching Short Stories abgelegt.
'Blick in die USA: Short Stories in "Asimov's Science Fiction" im Juni'

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