Liebe Freunde,
als Mitmensch, der zur Wahl geht, seine Steuern bezahlt, Entscheidungen der Parlamente respektiert, der versucht, mit allen Menschen gut auszukommen, und der regelmäßig Satiren zu allen Arten von Sachen schreibt, fallen mir zum Thema "Stuttgart 21" einige wichtige Erkenntnisse ein.
Entgegen meiner Gewohnheiten schaffe ich es jedoch nicht, daraus die übliche nette und konsensfähige Satire zu produzieren. Deswegen hier an dieser Stelle, meine ganz persönlichen Schlussfolgerungen, die ich den geneigten Lesern zukommen lassen möchte.
1) Es ist nur ein Bahnhof
Weder steht die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel, noch die Gesundheit unserer Nachfahren, noch wird er eine Klimakatastrophe auslösen oder radioaktives Material für die nächsten Jahrtausende erzeugen. Es ist nur ein blöder Bahnhof. Nicht mehr und nicht weniger.
2) Dagegen sein ist einfacher als dafür zu sein
Gegen etwas zu sein ist einfach. Es wird belohnt mit Gemeinschaftserlebnis, dem warmen Gefühl, einer guten Sache zu folgen und der Überzeugung, etwas Sinnvolles zu tun. Für etwas sein, ist nervig: Man muss abwägen, da sind Kosten dagegen zu rechnen, da ist Unsicherheit, ob etwas tatsächlich funktioniert, man muss zähneknirschend auf etwas verzichten (und wenns nur meine Steuergelder sind). Da schreit man nicht Hurra und tanzt auf der Straße. Das ändert aber nichts daran, dass Dinge manchmal gemacht werden müssen oder auch sinnvoll sind.
3) Es gibt kein Widerstandrecht für das Durchsetzen der eigenen Meinung
Demokratie bedeutet, auch Mehrheitsmeinungen zu akzeptieren. Dies gilt auch dann, wenn man a) sie für falsch hält, b) sie Geld kosten c) man die Befürworter nicht mag und d) die Mehrheit objektiv im Unrecht sein mag.
Widerstandsrecht gibt es nur bei existentiellen Fragen, wie die Abschaffung der Demokratie und eklatanter Verletzung der Menschrechte. Man mag es bei Fragen der generationenübergreifenden Gesundheit (Atomkraft) in Erwägung ziehen. Widerstandsrecht ist aber das Aufkündigen eines gesellschaftlichen Konsenses. Es ist die Ultimo Ratio in einer Demokratie. Danach kann das Zusammenleben nie so bleiben, wie es vorher war.
Allen Diktaturen geht voraus, dass die unterlegene Minderheit nicht mehr die Mehrheit akzeptiert (egal mit welchen fadenscheinigen Argumenten).
Und, um es noch mal in die Erinnerung zu rufen: Wir leben bereits in einer Demokratie. Und nach unseren Spielregeln ist der blöde Bahnhof auch schon vorher demokratisch beschlossen und legitimiert gewesen! Üblicherweise nennt man so etwas "parlamentarische Demokratie".
4) Es gibt keine Sicherheit bei neuen Dingen
Wenn man daruf wartet, dass es 100% sicher wäre, dass ein bestimmtes Projekt eine Verbesserung des Istzustands bringt, dann darf man gar nichts mehr tun. Es gibt bei neuen Dingen keine Garantie. Das gehört zum Wesen jeglicher Veränderung. Auch aus Fehlern lernt man. Und solange der Fehler "nur" Geld kostet, ist das völlig in Ordnung. Wir würden sonst immer noch in Höhlen sitzen.
5) Wer am lautesten schreit, hat die Mehrheit
Ein offensichtlicher Irrtum, dem aber selbst Journalisten aufzusitzen scheinen. Oder wie ist es zu erklären, dass eine Hörfunkjournalistin des SWR (ehrlich erstaunt) ihre Verwunderung über die Mehrheit in Stuttgart für den Bahnhof ausdrückt? Hat sie in den letzten 5 Jahren keine einzige der Umfragen zu diesem Thema in Stuttgart gelesen?
6) Kopfbahnhöfe sind keine tolle Erfindung
Ich bin beruflich öfters mit dem Zug unterwegs. Glaubt mir: Kopfbahnhöfe sind keine Errungenschaften, sondern nervige Sachen, die riesige Flächen verschandeln und den öffentlichen Nahverkehr behindern. Wer das wegargumentieren will, den nehme ich nicht ernst.
7) Konservatismus ist kein Wert an und für sich
Ich lach' mich tot: Meine Jugend habe ich damit verbracht, in politischen Diskussionen in meiner Generation für die Tatsache zu werben, dass *manchmal* Dinge schon ihren Grund haben, und nicht jede Änderung per se eine Verbesserung sein muss.
Und jetzt, 40 Jahre nach den 68ern, stehen die ergrauten Bürger der damaligen Generation auf der Straße und protestieren gegen VERÄNDERUNG. Mit allerlei Argumenten, von Baumschutz bis Juchtenkäfer, mit Hinweis auf Denkmalschutz und auf die Historie des Bahnhofs. Hallo, das war genau die Motivlage Eurer Eltern! Das mit dem Alter immer stärker werdende Gefühl, dass man irgendwie keine Veränderung haben möchte. Das ist völlig okay. Aber man sollte es nicht mit Scheinargumenten bemänteln.
8) Manche Argumente sind unwürdig
es schadet manchmal auch Anliegen, wenn man als Begründung jegliche Strohalm ergreift. Tränenüberströmte Demonstranten, weil einige wunderschöne und sehr alte Platanen gefällt werden?
Finde ich emotional auch nicht gut. Aber sorry, im Wald hinter unserem Haus werden im Sommer manchmal an einem Tag mehr Bäume gefällt als hier in Stuttgart für ein Projekt, dass 10 Jahre dauern wird. Es werden neue gepflanzt, es ist ein kommen und gehen.
Schutz der Demokratie? Schutz der Menschenrechte? Verteidigung vor dem Großkapital?
Das, ehrlich gesagt, würdigt jeden echten Widerstand gegen Gewalt, Terror, Unterdrückung, Folter und Tod auf dieser Welt herab.
9) Sankt Florian gilt auch hier.
Ist schon ulkig: Die Stuttgarter, die mit dem Bahnhof, seinen Kosten und seinen Belastungen leben müssen, sind dafür.
Im heimeligen Tübingen ist es dann einfach, mehrheitlich dagegen zu sein. Da muss man ja auch nicht mit den Nachteilen leben. Vielleicht ein gutes Argument, noch einmal grundsätzlich über diese Form der direkten Demokratie nachzudenken. Direkte Demokratie ist nämlich nicht nur ein Mittel, meine eigene Meinung durchzusetzen. Manchmal bekommt man auch Mehrheiten, die man gar nicht haben will. Wir Deutschen sollten uns da noch einmal ganz genau erinnern...
10) Es ist nur ein Bahnhof
Und abschließend: Wirklich, glaubt mir, es ist so: Es geht wirklich nur um einen ganz normalen Bahnhof!
als Mitmensch, der zur Wahl geht, seine Steuern bezahlt, Entscheidungen der Parlamente respektiert, der versucht, mit allen Menschen gut auszukommen, und der regelmäßig Satiren zu allen Arten von Sachen schreibt, fallen mir zum Thema "Stuttgart 21" einige wichtige Erkenntnisse ein.
Entgegen meiner Gewohnheiten schaffe ich es jedoch nicht, daraus die übliche nette und konsensfähige Satire zu produzieren. Deswegen hier an dieser Stelle, meine ganz persönlichen Schlussfolgerungen, die ich den geneigten Lesern zukommen lassen möchte.
1) Es ist nur ein Bahnhof
Weder steht die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel, noch die Gesundheit unserer Nachfahren, noch wird er eine Klimakatastrophe auslösen oder radioaktives Material für die nächsten Jahrtausende erzeugen. Es ist nur ein blöder Bahnhof. Nicht mehr und nicht weniger.
2) Dagegen sein ist einfacher als dafür zu sein
Gegen etwas zu sein ist einfach. Es wird belohnt mit Gemeinschaftserlebnis, dem warmen Gefühl, einer guten Sache zu folgen und der Überzeugung, etwas Sinnvolles zu tun. Für etwas sein, ist nervig: Man muss abwägen, da sind Kosten dagegen zu rechnen, da ist Unsicherheit, ob etwas tatsächlich funktioniert, man muss zähneknirschend auf etwas verzichten (und wenns nur meine Steuergelder sind). Da schreit man nicht Hurra und tanzt auf der Straße. Das ändert aber nichts daran, dass Dinge manchmal gemacht werden müssen oder auch sinnvoll sind.
3) Es gibt kein Widerstandrecht für das Durchsetzen der eigenen Meinung
Demokratie bedeutet, auch Mehrheitsmeinungen zu akzeptieren. Dies gilt auch dann, wenn man a) sie für falsch hält, b) sie Geld kosten c) man die Befürworter nicht mag und d) die Mehrheit objektiv im Unrecht sein mag.
Widerstandsrecht gibt es nur bei existentiellen Fragen, wie die Abschaffung der Demokratie und eklatanter Verletzung der Menschrechte. Man mag es bei Fragen der generationenübergreifenden Gesundheit (Atomkraft) in Erwägung ziehen. Widerstandsrecht ist aber das Aufkündigen eines gesellschaftlichen Konsenses. Es ist die Ultimo Ratio in einer Demokratie. Danach kann das Zusammenleben nie so bleiben, wie es vorher war.
Allen Diktaturen geht voraus, dass die unterlegene Minderheit nicht mehr die Mehrheit akzeptiert (egal mit welchen fadenscheinigen Argumenten).
Und, um es noch mal in die Erinnerung zu rufen: Wir leben bereits in einer Demokratie. Und nach unseren Spielregeln ist der blöde Bahnhof auch schon vorher demokratisch beschlossen und legitimiert gewesen! Üblicherweise nennt man so etwas "parlamentarische Demokratie".
4) Es gibt keine Sicherheit bei neuen Dingen
Wenn man daruf wartet, dass es 100% sicher wäre, dass ein bestimmtes Projekt eine Verbesserung des Istzustands bringt, dann darf man gar nichts mehr tun. Es gibt bei neuen Dingen keine Garantie. Das gehört zum Wesen jeglicher Veränderung. Auch aus Fehlern lernt man. Und solange der Fehler "nur" Geld kostet, ist das völlig in Ordnung. Wir würden sonst immer noch in Höhlen sitzen.
5) Wer am lautesten schreit, hat die Mehrheit
Ein offensichtlicher Irrtum, dem aber selbst Journalisten aufzusitzen scheinen. Oder wie ist es zu erklären, dass eine Hörfunkjournalistin des SWR (ehrlich erstaunt) ihre Verwunderung über die Mehrheit in Stuttgart für den Bahnhof ausdrückt? Hat sie in den letzten 5 Jahren keine einzige der Umfragen zu diesem Thema in Stuttgart gelesen?
6) Kopfbahnhöfe sind keine tolle Erfindung
Ich bin beruflich öfters mit dem Zug unterwegs. Glaubt mir: Kopfbahnhöfe sind keine Errungenschaften, sondern nervige Sachen, die riesige Flächen verschandeln und den öffentlichen Nahverkehr behindern. Wer das wegargumentieren will, den nehme ich nicht ernst.
7) Konservatismus ist kein Wert an und für sich
Ich lach' mich tot: Meine Jugend habe ich damit verbracht, in politischen Diskussionen in meiner Generation für die Tatsache zu werben, dass *manchmal* Dinge schon ihren Grund haben, und nicht jede Änderung per se eine Verbesserung sein muss.
Und jetzt, 40 Jahre nach den 68ern, stehen die ergrauten Bürger der damaligen Generation auf der Straße und protestieren gegen VERÄNDERUNG. Mit allerlei Argumenten, von Baumschutz bis Juchtenkäfer, mit Hinweis auf Denkmalschutz und auf die Historie des Bahnhofs. Hallo, das war genau die Motivlage Eurer Eltern! Das mit dem Alter immer stärker werdende Gefühl, dass man irgendwie keine Veränderung haben möchte. Das ist völlig okay. Aber man sollte es nicht mit Scheinargumenten bemänteln.
8) Manche Argumente sind unwürdig
es schadet manchmal auch Anliegen, wenn man als Begründung jegliche Strohalm ergreift. Tränenüberströmte Demonstranten, weil einige wunderschöne und sehr alte Platanen gefällt werden?
Finde ich emotional auch nicht gut. Aber sorry, im Wald hinter unserem Haus werden im Sommer manchmal an einem Tag mehr Bäume gefällt als hier in Stuttgart für ein Projekt, dass 10 Jahre dauern wird. Es werden neue gepflanzt, es ist ein kommen und gehen.
Schutz der Demokratie? Schutz der Menschenrechte? Verteidigung vor dem Großkapital?
Das, ehrlich gesagt, würdigt jeden echten Widerstand gegen Gewalt, Terror, Unterdrückung, Folter und Tod auf dieser Welt herab.
9) Sankt Florian gilt auch hier.
Ist schon ulkig: Die Stuttgarter, die mit dem Bahnhof, seinen Kosten und seinen Belastungen leben müssen, sind dafür.
Im heimeligen Tübingen ist es dann einfach, mehrheitlich dagegen zu sein. Da muss man ja auch nicht mit den Nachteilen leben. Vielleicht ein gutes Argument, noch einmal grundsätzlich über diese Form der direkten Demokratie nachzudenken. Direkte Demokratie ist nämlich nicht nur ein Mittel, meine eigene Meinung durchzusetzen. Manchmal bekommt man auch Mehrheiten, die man gar nicht haben will. Wir Deutschen sollten uns da noch einmal ganz genau erinnern...
10) Es ist nur ein Bahnhof
Und abschließend: Wirklich, glaubt mir, es ist so: Es geht wirklich nur um einen ganz normalen Bahnhof!
Der Beitrag wurde am Montag, 28. November 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Verschiedenes abgelegt.
'Ein paar Gedanken zu einem Bahnhof'
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