Es schmeckt
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 11/2011
Jahrelang hat sich der Magen an den "Dialog von Gemüse an Fleisch" gewöhnt, der für 38,50 Euro gut verteilt zwei Erbsen, eine Karotte und eine schmale Schinkenscheibe umfasste.
Wir hatten von dem Lokal nur Gutes gehört. Leckeres Bier und eine schmackhafte Küche mit reellen Mengen zu akzeptablen Preisen. Dies hörte sich ausnehmend interessant an, und so besuchten meine Frau und ich eines Abends die angepriesene Lokalität.
Das Ort sah wirklich gemütlich aus, die Bedienung war nett und freundlich, und die Karte bot auf vielen Seiten Fleisch und Fischspeisen in großem Variationsreichtum. Während also unsere Getränke gebracht wurden, studierten wir das Angebot.
Mein Blick wurde magisch von der "Fleischplatte Deluxe nach Art des Chefs" angezogen, ein Objekt, dessen Untertitel diverse Fleischstückchen, Pommes Frites, Gemüse, Salat und Soßen versprach.
"Die Deluxe, bitte!" orderte ich daher bei der die Bestellung aufnehmenden Dame.
"Oh, die Spezialität vom Küchenchef. Ist aber eine größere Portion!"
Meine Frau blickte mich an: "Willst Du nicht etwas Kleineres bestellen…"
Ich winkte souverän ab. "Das ist schon in Ordnung, ich habe Hunger! Bringen Sie mir am besten noch einen Salat extra!" Die Bedienung zog von dannen. Derartige unhaltbare Zweifel an meinem Durchhaltevermögen bin ich gewohnt.
"Du bist Dir schon klar, dass Du jetzt auch ordentlich reinhauen musst? Wie sieht denn das sonst aus? Und dann auch noch die Spezialität vom Chef!"
Ich lächelte überlegen. "Das ist für mich gar kein Problem. So ein Tellerchen verputze ich ohne Probleme!" Jetzt würde sich zeigen, woraus ein Mann geschnitzt ist.
Unser Essen kam.
Während meine Frau eine durchaus appetitliche Riesenkartoffel mit allerlei Beiwerk geliefert bekam, musste bei meinem Essen die Bedienung mit beiden Händen zugreifen.
Ich schluckte. Statt einem normalen Teller wurde mir eine längliche Riesenplatte gebracht, auf der sich gebratene Fleischberge, Schnitzel, Spieße, Frikadellen, Geschnetzeltes, Grillstücke sowie ein riesiger Haufen Pommes befanden.
"So, für Sie die Deluxe-Platte. Die ist so lecker, die packt jeder!"
"Äh, ja."
An allen Tischen wurde bewundert zu mir geblickt.
Meine Frau zischte mich an. "Da siehst Du es. Warum musst Du auch immer so gigantische Mengen bestellen? Jetzt iss auch auf!"
Bei genauerem Begutachten des riesigen, den halben Tisch bedeckenden Tellers stellte ich fest, dass die Portion auf den zweiten Blick noch größer war, als befürchtet. Wo sich unter dem Haufen von Fleischstücken sonst branchenüblich ein mit Salat gefüllten Hohlraum befindet, fanden sich hier weitere Fleischstücke, die offensichtlich die Überreste kleinerer Rinder waren. Ich machte gedanklich eine Inventur und kam zum Ergebnis, dass sich auf dieser Fleischplatte mindestens noch 2 komplette Schweine, mehrere Hühner sowie eine ganze Kuh befanden. Von dem kompletten Kartoffelacker in Form von zu Haufen getürmter Pommes ganz abgesehen.
Ich schluckte und begann mit dem Verspeisen. In den ersten 10 Minuten war das auch alles in Ordnung, dann setzte langsame Sättigung ein. Das Essen war ausnehmend gut, und ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt bereits durch 3 Schnitzel sowie einer größeren Menge von Frittiertem gekämpft. Aber ich war satt.
Leider war der Teller davon in keiner Weise beeindruckt, er schien optisch weitgehend unverändert.
"Schmeckt's? Sie haben ja noch gar nichts gegessen!"
Der Chef war persönlich aus der Küche gekommen, um sich nach meinem Wohl zu erkundigen.
Ich lächelte gezwungen mit vollem Mund.
"Phantastisch, ganz phantastisch."
Meine Frau starrte auf die Essensberge. "Das scheint ja mehr zu sein als am Anfang?"
Ich äußerte die Vermutung, dass durch das Verspeisen der oberen Fleischschichten der Druck auf die unteren Lagen abgenommen und die Lebensmittel dadurch sich wieder auf ihre normale Stärke ausgedehnt hätten.
"Auf jeden Fall muss das weniger werden. Sieht ja aus, als ob's Dir nicht schmecken würde."
Ich begann zunehmend gequält, weitere Bissen in meinen Mund zu befördern. Ein verstohlener Blick im Gastraum zeigte mir, dass unter dem Nachbartisch ein Hund saß. Ich begann unauffällig, mit meiner Gabel dem Vierbeiner Fleischstücke zuzuwerfen. Leider war das Tier bereit kurze Zeit später satt und verweigerte die weitere Nahrungsaufnahme. Die Platte wurde nicht nennenswert kleiner
"Ist es nicht gut??"
Ich zwang mich zu einem Lächeln: "Doch… super… lecker!"
Der Vorteil von kleinen, undurchsichtigen Blumenvasen auf dem Tisch ist, dass man besonders Pommes Frites ganz leicht in Ihnen verstecken kann. Ich versuchte mit Macht, soviel wie möglich von meinem Teller zu verlagern. Kaum eine Änderung. Ich bestellte ein paar Schnäpse und noch ein Bier, um mit Hilfe von Flüssigkeitszufuhr dem Essen besser Herr zu werden. Der Effekt war nur gering.
An den Nachbartischen wurde schon getuschelt. Ich gab mir einen Ruck. An ein Aufessen war nicht zu denken - jetzt konnte es nur noch um Schadensbegrenzung gehen.
Ich begann, das Essen auf der Riesenplatte neu anzuordnen, um durch die Erzeugung tiefer Täler den Anschein von umfangreichem Verzehr zu erzeugen. Ich versuchte, die Pommes im 90 Grad Winkel zu schichten. Zwar gelang es mir auf diese Weise, erste freie Flächen auf dem Teller zu erzeugen, dafür erreichten die Nahrungsmitteltürme selber unakzeptable Höhen. Ich tarnte sie mit aufgelegten Salatblättern.
"Mach was mit dem Fleisch!"
Tja, früher konnte man locker ein bis zwei Schnitzel unter dem Aschenbecher verstecken. Doch mit den Nichtraucherbereichen ist auch das vorbei. Eine späte Rache der Raucher. Ich stellte in meiner Verzweiflung die Schnitzel des einen Schweins hochkant, fixierte Sie mit einem Zahnstocher, und legte meine Serviette darüber. Schnell nahm ich noch einige Bissen von den Frikadellen in den Mund, schlucken war leider nicht mehr möglich.
"Es hat nicht geschmeckt?"
"Doch! Gansch phantaschtisch. Schuper" nuschelte ich, während ich bezahlte. Fluchtartig verließen wir das Lokal.
Leider werden wir hier nicht mehr essen können.
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 11/2011
Jahrelang hat sich der Magen an den "Dialog von Gemüse an Fleisch" gewöhnt, der für 38,50 Euro gut verteilt zwei Erbsen, eine Karotte und eine schmale Schinkenscheibe umfasste.
Wir hatten von dem Lokal nur Gutes gehört. Leckeres Bier und eine schmackhafte Küche mit reellen Mengen zu akzeptablen Preisen. Dies hörte sich ausnehmend interessant an, und so besuchten meine Frau und ich eines Abends die angepriesene Lokalität.
Das Ort sah wirklich gemütlich aus, die Bedienung war nett und freundlich, und die Karte bot auf vielen Seiten Fleisch und Fischspeisen in großem Variationsreichtum. Während also unsere Getränke gebracht wurden, studierten wir das Angebot.
Mein Blick wurde magisch von der "Fleischplatte Deluxe nach Art des Chefs" angezogen, ein Objekt, dessen Untertitel diverse Fleischstückchen, Pommes Frites, Gemüse, Salat und Soßen versprach.
"Die Deluxe, bitte!" orderte ich daher bei der die Bestellung aufnehmenden Dame.
"Oh, die Spezialität vom Küchenchef. Ist aber eine größere Portion!"
Meine Frau blickte mich an: "Willst Du nicht etwas Kleineres bestellen…"
Ich winkte souverän ab. "Das ist schon in Ordnung, ich habe Hunger! Bringen Sie mir am besten noch einen Salat extra!" Die Bedienung zog von dannen. Derartige unhaltbare Zweifel an meinem Durchhaltevermögen bin ich gewohnt.
"Du bist Dir schon klar, dass Du jetzt auch ordentlich reinhauen musst? Wie sieht denn das sonst aus? Und dann auch noch die Spezialität vom Chef!"
Ich lächelte überlegen. "Das ist für mich gar kein Problem. So ein Tellerchen verputze ich ohne Probleme!" Jetzt würde sich zeigen, woraus ein Mann geschnitzt ist.
Unser Essen kam.
Während meine Frau eine durchaus appetitliche Riesenkartoffel mit allerlei Beiwerk geliefert bekam, musste bei meinem Essen die Bedienung mit beiden Händen zugreifen.
Ich schluckte. Statt einem normalen Teller wurde mir eine längliche Riesenplatte gebracht, auf der sich gebratene Fleischberge, Schnitzel, Spieße, Frikadellen, Geschnetzeltes, Grillstücke sowie ein riesiger Haufen Pommes befanden.
"So, für Sie die Deluxe-Platte. Die ist so lecker, die packt jeder!"
"Äh, ja."
An allen Tischen wurde bewundert zu mir geblickt.
Meine Frau zischte mich an. "Da siehst Du es. Warum musst Du auch immer so gigantische Mengen bestellen? Jetzt iss auch auf!"
Bei genauerem Begutachten des riesigen, den halben Tisch bedeckenden Tellers stellte ich fest, dass die Portion auf den zweiten Blick noch größer war, als befürchtet. Wo sich unter dem Haufen von Fleischstücken sonst branchenüblich ein mit Salat gefüllten Hohlraum befindet, fanden sich hier weitere Fleischstücke, die offensichtlich die Überreste kleinerer Rinder waren. Ich machte gedanklich eine Inventur und kam zum Ergebnis, dass sich auf dieser Fleischplatte mindestens noch 2 komplette Schweine, mehrere Hühner sowie eine ganze Kuh befanden. Von dem kompletten Kartoffelacker in Form von zu Haufen getürmter Pommes ganz abgesehen.
Ich schluckte und begann mit dem Verspeisen. In den ersten 10 Minuten war das auch alles in Ordnung, dann setzte langsame Sättigung ein. Das Essen war ausnehmend gut, und ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt bereits durch 3 Schnitzel sowie einer größeren Menge von Frittiertem gekämpft. Aber ich war satt.
Leider war der Teller davon in keiner Weise beeindruckt, er schien optisch weitgehend unverändert.
"Schmeckt's? Sie haben ja noch gar nichts gegessen!"
Der Chef war persönlich aus der Küche gekommen, um sich nach meinem Wohl zu erkundigen.
Ich lächelte gezwungen mit vollem Mund.
"Phantastisch, ganz phantastisch."
Meine Frau starrte auf die Essensberge. "Das scheint ja mehr zu sein als am Anfang?"
Ich äußerte die Vermutung, dass durch das Verspeisen der oberen Fleischschichten der Druck auf die unteren Lagen abgenommen und die Lebensmittel dadurch sich wieder auf ihre normale Stärke ausgedehnt hätten.
"Auf jeden Fall muss das weniger werden. Sieht ja aus, als ob's Dir nicht schmecken würde."
Ich begann zunehmend gequält, weitere Bissen in meinen Mund zu befördern. Ein verstohlener Blick im Gastraum zeigte mir, dass unter dem Nachbartisch ein Hund saß. Ich begann unauffällig, mit meiner Gabel dem Vierbeiner Fleischstücke zuzuwerfen. Leider war das Tier bereit kurze Zeit später satt und verweigerte die weitere Nahrungsaufnahme. Die Platte wurde nicht nennenswert kleiner
"Ist es nicht gut??"
Ich zwang mich zu einem Lächeln: "Doch… super… lecker!"
Der Vorteil von kleinen, undurchsichtigen Blumenvasen auf dem Tisch ist, dass man besonders Pommes Frites ganz leicht in Ihnen verstecken kann. Ich versuchte mit Macht, soviel wie möglich von meinem Teller zu verlagern. Kaum eine Änderung. Ich bestellte ein paar Schnäpse und noch ein Bier, um mit Hilfe von Flüssigkeitszufuhr dem Essen besser Herr zu werden. Der Effekt war nur gering.
An den Nachbartischen wurde schon getuschelt. Ich gab mir einen Ruck. An ein Aufessen war nicht zu denken - jetzt konnte es nur noch um Schadensbegrenzung gehen.
Ich begann, das Essen auf der Riesenplatte neu anzuordnen, um durch die Erzeugung tiefer Täler den Anschein von umfangreichem Verzehr zu erzeugen. Ich versuchte, die Pommes im 90 Grad Winkel zu schichten. Zwar gelang es mir auf diese Weise, erste freie Flächen auf dem Teller zu erzeugen, dafür erreichten die Nahrungsmitteltürme selber unakzeptable Höhen. Ich tarnte sie mit aufgelegten Salatblättern.
"Mach was mit dem Fleisch!"
Tja, früher konnte man locker ein bis zwei Schnitzel unter dem Aschenbecher verstecken. Doch mit den Nichtraucherbereichen ist auch das vorbei. Eine späte Rache der Raucher. Ich stellte in meiner Verzweiflung die Schnitzel des einen Schweins hochkant, fixierte Sie mit einem Zahnstocher, und legte meine Serviette darüber. Schnell nahm ich noch einige Bissen von den Frikadellen in den Mund, schlucken war leider nicht mehr möglich.
"Es hat nicht geschmeckt?"
"Doch! Gansch phantaschtisch. Schuper" nuschelte ich, während ich bezahlte. Fluchtartig verließen wir das Lokal.
Leider werden wir hier nicht mehr essen können.
Der Beitrag wurde am Donnerstag, 24. November 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Es schmeckt - Satire in VORSICHT 11/2011'
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