Eine Frage des Empfangs
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 8/2011
Ein bekanntes Problem des zwanzigsten Jahrhunderts war das Aufeinandertreffen von gesellschaftlicher Veranstaltung und gleichzeitigem Stattfinden eines Fußballereignisses.
Generation von Ballsportbegeisterten verbrachten grauenhafte Stunden der Ungewissheit in einer Oper von Pucelli, während die Fußballnationalmannschaft ohne den geistigen Beistand einer schrecklichen Niederlage zuwankte.
Da nur äußerst souveräne Charaktere durch demonstratives einstöpseln eines Radioohrhörers der Umgebung klarmachten, wo ihr kultureller Schwerpunkt wirklich angesiedelt war, blieb dem durchschnittlichen Fußballfreund nur ein entnervendes Warten auf das Ende der Veranstaltung.
Das Aufkommen der Handys mit Internetanschluss hat diese dramatische Situation spürbar stark entspannt.
Der Besuch der Veranstaltung war schon lange geplant: Die jährliche Theateraufführung eines Shakespeareschen Werkes im Hof eines großen Weinguts war überregional bekannt und wurde von uns nebst einigen Freunden regelmäßig besucht. Die Darbietung der aufführenden Truppe war lustig, modern und mit viel hintergründigem Witz gespielt, während man sich im Verlauf an ein paar Fläschchen Wein labte, nebst leckerem Essen, dass im großen Innenhof des Weingutes unter freiem Himmel dargeboten wurde.
Als der diesjährige Termin festgelegt wurde, hatten wohl alle Beteiligten nicht das Finale der Frauen-Fußball-WM im Sinn, das zeitgleich am selben Abend stattfinden sollte. Da ein Nichtbesuch der Veranstaltung für uns nicht in Betracht kam, war ich froh, dass ich seit einiger Zeit im Besitz eines Internetfähigen Handys bin. Mit einem minütlichen Livetickers versehen, konnte ich daher beruhigt die Veranstaltung besuchen, ohne zumindest die Grunddramatik der Veranstaltung zu verpassen.
Als wir ankamen, war der Hof bereits mit Hunderten von Zuschauern bevölkert, wir suchten uns ein schönes Plätzchen und sorgten erst einmal für Getränke und ein paar Happen zu essen. Bis zum Beginn des Schauspiels im malerischen Innenhof vertrieb man sich die Zeit mit angenehmen Gesprächen, während der Zeiger der Uhr immer weiterwanderte. Das Spiel begann.
Und während der König von Navarra seine Vasallen zu einem Schwur zu enthaltsamen Leben trieb, krochen die Zeiger meiner Uhr auf den Anpfiff des Spieles zu.
Nun ist es natürlich nicht so, dass ein offenes Beobachten von Fußballergebnissen während einer Darbietung von Shakespeare allgemeines Verständnis finden würde. Ich steckte daher meine Hand unauffällig in die Tasche, zog ganz langsam zusammen mit einem Taschentuch mein Handy hervor, um es dann einer schnellen Bewegung in meinen Schoß fallen zu lassen. Tiefe innere Erschütterung am Schicksal von Longaville vortäuschend, beugte ich mich vor und aktivierte gleichzeitig unauffällig den Fußballliveticker auf meinem Handy. Ich schielte nach unten, um das aktuelle Ergebnis in den Blick zu bekommen.
Kein Empfang.
Ich sah mich um. Anscheinend war der Mauerbau in früheren Zeiten deutlich massiver als heutzutage, denn das nicht ganz so starke Handysignal, dass ich vor Betreten des Innenhofes überprüft hatte, war hier gänzlich verschwunden. Panik. Was tun?
Nun ist es ja bekannt, dass die Feldstärke von Funksignalen manchmal seltsamen Gesetzen folgt, und schon das vorsichtige Bewegen des Handys um wenige Zentimeter kann zu stark verbessertem Empfang führen. Ganz langsam bewegte ich meinen Oberkörper nach links. Keine Änderung. Nach rechts. Keine Verbesserung. Ich beugte mich langsam über den Tisch, die fragenden Blicke beantworte ich geistesgegenwärtig mit "Magenkrämpfe. Esst bloß nicht den Wurstsalat!"
Nichts. Enttäuscht sackte ich zusammen und lehnt mich wieder zurück. Da! Das Handy hatte Empfang. Zwar nur ein Balken, aber immerhin wurde der Provider erkannt. Leider reicht eine solche Minimalanbindung nicht aus, um schon den Datenfunk sauber zu aktivieren. Ich beugte mich weiter nach hinten. Zweiter Empfangsbalken. Gleich würde die Datenverbindung stehen, das Tor zu Welt wäre geöffnet, nur noch wenige Zentimeter. Von dem leichten Widerstand des Rückens des Banknachbarn hinter mir ließ ich mich jetzt nicht beeindrucken. Wer auf Bierzeltgarnituren sitzt, muss mit Kontakt zu seinen Mitmenschen rechnen, jetzt war die Datenverbindung aktiv, der Livetickter suchte nach dem aktuellen Spielergebnis, ich drückte meinen Rücken noch etwas weiter...
Eine weibliche Stimme wisperte mir ins Ohr: "Okay, wir treffen uns nachher draußen..."
Ich setzte mich blitzartig wieder aufrecht hin. Kein Empfang. Was tun? Ich täuschte starke Übelkeit vor und bewegte mich im Zickzack auf die Toiletten zu, dabei die Feldstärke meines Handys im Auge haltend. Nichts. Enttäuscht ging ich wieder zu meinem Platz. Und da! Im dem Moment, wo ich mich wieder hinsetzen wollte: Empfang! 3 Balken, schneller Datenfunk! Die Anzeige sprang auf 1:0. Ich setzte mich hin, und der Empfang war weg.
War das die Rettung? Ich täuschte die Suche nach einem Taschentuch vor, stellte mich hin: und da war der Empfang wieder. Die Wunderwelt der Feldstärke!
Jetzt war der Abend gerettet. In unregelmäßigen Abständen erhob ich mich zu einem stehenden Applaus (1:1), oder machte mit lauten "Jawoll"-Rufen meiner inneren Erregung Luft (2:1). Als die Handlung auf dem Fußballplatz immer dramatischer wurde, blieb ich einfach stehen, hob mein Handy vors Auge und rief den überraschten Schauspielern wie Zuschauern zu, dass ich diese bewegenden Szenen filmen und direkt auf Youtube übertragen müsse.
Dieser Hinweis auf vorhandenen Handyempfang bewog einige männliche Zuschauer, während des Schauspiels zu mir zu kommen und mir ob meines enthusiastischen Kunstverständnisses mit tiefer Bewegung zu danken. Alle hatten Sie Handys mit Internetempfang dabei, alle waren erleichtert und bedeuteten ihren Angehörigen, dass von genau dieser Stelle der Blick auf das Schauspiel eindeutig am besten sei.
Wir begleiteten das Schauspiel mit lauten "Hoch"-Rufen (Ausgleich zum 2:2), ekstatischen Tänzen (Elfmeterschießen) sowie donnerndem Applaus (Gewinn und Pokalübergabe).
Zum Schluss veranstalteten wir einen kleinen Siegestanz und klatschten uns ab.
Wie uns die Schauspieler später versicherten, wäre es die beste Aufführung gewesen, die sie je gegeben hätten.
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 8/2011
Ein bekanntes Problem des zwanzigsten Jahrhunderts war das Aufeinandertreffen von gesellschaftlicher Veranstaltung und gleichzeitigem Stattfinden eines Fußballereignisses.
Generation von Ballsportbegeisterten verbrachten grauenhafte Stunden der Ungewissheit in einer Oper von Pucelli, während die Fußballnationalmannschaft ohne den geistigen Beistand einer schrecklichen Niederlage zuwankte.
Da nur äußerst souveräne Charaktere durch demonstratives einstöpseln eines Radioohrhörers der Umgebung klarmachten, wo ihr kultureller Schwerpunkt wirklich angesiedelt war, blieb dem durchschnittlichen Fußballfreund nur ein entnervendes Warten auf das Ende der Veranstaltung.
Das Aufkommen der Handys mit Internetanschluss hat diese dramatische Situation spürbar stark entspannt.
Der Besuch der Veranstaltung war schon lange geplant: Die jährliche Theateraufführung eines Shakespeareschen Werkes im Hof eines großen Weinguts war überregional bekannt und wurde von uns nebst einigen Freunden regelmäßig besucht. Die Darbietung der aufführenden Truppe war lustig, modern und mit viel hintergründigem Witz gespielt, während man sich im Verlauf an ein paar Fläschchen Wein labte, nebst leckerem Essen, dass im großen Innenhof des Weingutes unter freiem Himmel dargeboten wurde.
Als der diesjährige Termin festgelegt wurde, hatten wohl alle Beteiligten nicht das Finale der Frauen-Fußball-WM im Sinn, das zeitgleich am selben Abend stattfinden sollte. Da ein Nichtbesuch der Veranstaltung für uns nicht in Betracht kam, war ich froh, dass ich seit einiger Zeit im Besitz eines Internetfähigen Handys bin. Mit einem minütlichen Livetickers versehen, konnte ich daher beruhigt die Veranstaltung besuchen, ohne zumindest die Grunddramatik der Veranstaltung zu verpassen.
Als wir ankamen, war der Hof bereits mit Hunderten von Zuschauern bevölkert, wir suchten uns ein schönes Plätzchen und sorgten erst einmal für Getränke und ein paar Happen zu essen. Bis zum Beginn des Schauspiels im malerischen Innenhof vertrieb man sich die Zeit mit angenehmen Gesprächen, während der Zeiger der Uhr immer weiterwanderte. Das Spiel begann.
Und während der König von Navarra seine Vasallen zu einem Schwur zu enthaltsamen Leben trieb, krochen die Zeiger meiner Uhr auf den Anpfiff des Spieles zu.
Nun ist es natürlich nicht so, dass ein offenes Beobachten von Fußballergebnissen während einer Darbietung von Shakespeare allgemeines Verständnis finden würde. Ich steckte daher meine Hand unauffällig in die Tasche, zog ganz langsam zusammen mit einem Taschentuch mein Handy hervor, um es dann einer schnellen Bewegung in meinen Schoß fallen zu lassen. Tiefe innere Erschütterung am Schicksal von Longaville vortäuschend, beugte ich mich vor und aktivierte gleichzeitig unauffällig den Fußballliveticker auf meinem Handy. Ich schielte nach unten, um das aktuelle Ergebnis in den Blick zu bekommen.
Kein Empfang.
Ich sah mich um. Anscheinend war der Mauerbau in früheren Zeiten deutlich massiver als heutzutage, denn das nicht ganz so starke Handysignal, dass ich vor Betreten des Innenhofes überprüft hatte, war hier gänzlich verschwunden. Panik. Was tun?
Nun ist es ja bekannt, dass die Feldstärke von Funksignalen manchmal seltsamen Gesetzen folgt, und schon das vorsichtige Bewegen des Handys um wenige Zentimeter kann zu stark verbessertem Empfang führen. Ganz langsam bewegte ich meinen Oberkörper nach links. Keine Änderung. Nach rechts. Keine Verbesserung. Ich beugte mich langsam über den Tisch, die fragenden Blicke beantworte ich geistesgegenwärtig mit "Magenkrämpfe. Esst bloß nicht den Wurstsalat!"
Nichts. Enttäuscht sackte ich zusammen und lehnt mich wieder zurück. Da! Das Handy hatte Empfang. Zwar nur ein Balken, aber immerhin wurde der Provider erkannt. Leider reicht eine solche Minimalanbindung nicht aus, um schon den Datenfunk sauber zu aktivieren. Ich beugte mich weiter nach hinten. Zweiter Empfangsbalken. Gleich würde die Datenverbindung stehen, das Tor zu Welt wäre geöffnet, nur noch wenige Zentimeter. Von dem leichten Widerstand des Rückens des Banknachbarn hinter mir ließ ich mich jetzt nicht beeindrucken. Wer auf Bierzeltgarnituren sitzt, muss mit Kontakt zu seinen Mitmenschen rechnen, jetzt war die Datenverbindung aktiv, der Livetickter suchte nach dem aktuellen Spielergebnis, ich drückte meinen Rücken noch etwas weiter...
Eine weibliche Stimme wisperte mir ins Ohr: "Okay, wir treffen uns nachher draußen..."
Ich setzte mich blitzartig wieder aufrecht hin. Kein Empfang. Was tun? Ich täuschte starke Übelkeit vor und bewegte mich im Zickzack auf die Toiletten zu, dabei die Feldstärke meines Handys im Auge haltend. Nichts. Enttäuscht ging ich wieder zu meinem Platz. Und da! Im dem Moment, wo ich mich wieder hinsetzen wollte: Empfang! 3 Balken, schneller Datenfunk! Die Anzeige sprang auf 1:0. Ich setzte mich hin, und der Empfang war weg.
War das die Rettung? Ich täuschte die Suche nach einem Taschentuch vor, stellte mich hin: und da war der Empfang wieder. Die Wunderwelt der Feldstärke!
Jetzt war der Abend gerettet. In unregelmäßigen Abständen erhob ich mich zu einem stehenden Applaus (1:1), oder machte mit lauten "Jawoll"-Rufen meiner inneren Erregung Luft (2:1). Als die Handlung auf dem Fußballplatz immer dramatischer wurde, blieb ich einfach stehen, hob mein Handy vors Auge und rief den überraschten Schauspielern wie Zuschauern zu, dass ich diese bewegenden Szenen filmen und direkt auf Youtube übertragen müsse.
Dieser Hinweis auf vorhandenen Handyempfang bewog einige männliche Zuschauer, während des Schauspiels zu mir zu kommen und mir ob meines enthusiastischen Kunstverständnisses mit tiefer Bewegung zu danken. Alle hatten Sie Handys mit Internetempfang dabei, alle waren erleichtert und bedeuteten ihren Angehörigen, dass von genau dieser Stelle der Blick auf das Schauspiel eindeutig am besten sei.
Wir begleiteten das Schauspiel mit lauten "Hoch"-Rufen (Ausgleich zum 2:2), ekstatischen Tänzen (Elfmeterschießen) sowie donnerndem Applaus (Gewinn und Pokalübergabe).
Zum Schluss veranstalteten wir einen kleinen Siegestanz und klatschten uns ab.
Wie uns die Schauspieler später versicherten, wäre es die beste Aufführung gewesen, die sie je gegeben hätten.
Der Beitrag wurde am Sonntag, 20. November 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Eine Frage des Empfangs - Satire in VORSICHT 8/2011'
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