Das Amt
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 12/2010
Zeiten mögen kommen und gehen, die Behörde bleibt.
Dieser klassische Sinnspruch aus meiner Feder hat mich mein Leben lang treu begleitet. Lange Wartezeiten, unfreundliche Behandlung, mangelnder Service – diese Erfahrung war eine der wenigen Konstanten einer langen Historie von gegenseitiger Abneigung. Und jetzt war es wieder soweit. Der Reisepass musste beantragt werden.
Die ganze Familie sollte einen bekommen: Reisepässe, heutzutage "Biometrisch" mit Spezialbild, eingelassenem Chip und gespeichertem Fingerabdruck. Eingedenk früherer Erfahrung nahm ich mir einen Tag Urlaub, Beruhigungstabletten sowie Trinkwasservorräte für überheizte Behördenflure mit.
Pünktlich erreichten wir die zuständige Behördenstelle. Wir kamen seltsamer Weise sofort dran. Mit höflichen Worten wurde uns das Prozedere erläutert, wie wurden freundlich auf die zu beachtenden Dinge hingewiesen, man bedauerte die Kosten des Passes, bat uns freundlich, den Finger auf den Fingerabdruckscanner zu legen und gab uns danach sogar das teuer erstellte Passbild wieder zurück. In 10 Minuten waren wir wieder draußen. In meinem Kopf waberte geistiger Nebel.
"Hier stimmt was nicht", zischte ich meiner Frau zu. "Das ist nicht die Passstelle. Die waren ja nett. Freundlich. Hilfsbereit. Lass uns die Polizei rufen!"
"Unsinn!" widersprach mir meine bessere Hälfte. "Es ändert sich halt alles einmal."
3 Wochen später konnten wir pünktlich unsere Dokumente abholen. Tatsächlich: 3 echte Reisepässe. Die freundliche Dame am Schalter wünschte uns noch einen schönen Tag und eine gute Reise. Ich war fassungslos.
"Du hast recht. Muss so was wie Gehirnwäsche sein. Ich nehme alles zurück, was ich je über Behörden gesagt habe. Ich kann es kaum…"
"Moment mal!" Meine Frau deutet auf meinen Reisepass. Ich schaute genauer. Tatsächlich, von meinen 3 Vornamen, die mir meine Eltern großzügig mitgegeben hatten, waren im Pass nur noch 2 vorhanden. Ich schaute verdutzt auf alle meine älteren Dokumente incl. Führerschein und Hundesteuererklärung. Da waren es noch überall 3.
Nun wäre mir die Tatsache eines fehlenden weiteren Vornamens in meinem Reisepass eigentlich recht egal. Leider hatte ich mich für eine bevorstehende Reise bereits Online in eine staatliche Reise-Datenbank eingetragen, bei der es ausdrücklich hieß: "Der Reisende hat sich mit allen Vornamen exakt so einzutragen, wie in seinem Reisepass angegeben." Wahrscheinlich würde es jedoch für eine Einreise ohne Terroristenverdacht nicht hilfreich sein, wenn ich nachträglich um die Streichung eines der Vornamen in der Datenbank bitten würde ("Ich habe mich getäuscht: ich habe doch nur 2 Vornamen…").
Die Dame am Ausgangschalter schaute in ihren Computer. "Sie haben bei uns nur 2 Vornamen. Und auf dem Formular, das Sie unterschrieben haben, waren auch nur zwei angegeben. Gehen Sie Morgen wieder zur Passstelle."
Zuhause berieten wir uns dumpf.
"Ich wusste es. Jetzt geht es los. Die haben einen Vornamen von mir verloren. Den bekomme ich nie wieder. Wahrscheinlich brauche ich eidesstattliche Versicherungen meiner verstorbenen Großeltern, dass ich so heißen könnte. Und dann brauche ich einen neuen Pass. Das dauert ja wieder Wochen. Und die Kosten!"
"Warum hast Du auch den Antrag nicht korrekt durchgelesen? Damit hast Du ja bestätigt, dass Du nur 2 Vornamen hast. Wir kommen nie in den Urlaub!"
Angesichts der Lage kontaktierte ich meinen Anwalt. Der schlug vor, prophylaktisch eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu starten, eine Klage gegen die Behörde und die Stadt, ersatzweise den Oberbürgermeister einzureichen, vorsorglich eine Verfassungsklage zu initiieren sowie die nationale, die internationale Presse und Amnesty International zu informieren.
Ich blickte trübe in meine Zukunft. "Dabei hat mir der dritte Vorname immer so gut gefallen!"
Am nächsten Morgen stand ich bereits eine halbe Stunde vor Öffnung an der verschlossenen Türe des Amtes. Die Nacht hatte ich mit dem Studium und dem mnemorieren einschlägiger Paragraphen sowie der Einübung strategischer Verhandlungssätze ("vielleicht sollten wir in dieser Sache mal ganz allgemein mal Ihre Arbeitsleistung untersuchen lassen…") verbracht, die Telefonnummer meines juristischen Beistands hatte ich mir auf den Oberarm gemalt, falls es in Zusammenhang mit der verbalen Auseinandersetzung zum Einsatz polizeilicher Zwangsmaßnahmen mir gegenüber kommen sollte.
Endlich wurde geöffnet. Ich stürmte an den Schalter und eröffnete die Kampfhandlungen: "Sie haben einen meiner Vornamen verloren. Das geht so nicht!"
"Haben Sie eine Geburtsurkunde dabei? Vielen Dank!"
Mit einem Lächeln kam die Sachbearbeiterin nach einer Minute zurück.
"Das tut uns wirklich leid. Da muss etwas im Computer schief gegangen sein. Wir haben Ihren Namen im Melderegister korrigiert. Sie erhalten selbstverständlich kostenfrei einen neuen Reisepass, der per Express geliefert wird. Wir rufen Sie in den nächsten Tagen an, wenn er da ist. Ich bitte noch einmal viele Male um Entschuldigung für diesen Fehler!"
Unter ihrem strahlenden Lächeln wankte ich nach draußen.
Was war nur mit der Behörde passiert? Alle nett, höflich, serviceorientiert. Ist denn nichts mehr vor Veränderungen sicher?
Da ertönte hinter mir eine brüllende Stimme:
"He, Sie da!! Sind Sie blind oder was? Latschen mir hier über den frisch gewischten Boden? Glauben Sie, ich reinige hier zum Spaß!!!"
Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
Gott sei Dank.
Manche Dinge ändern sich doch nie.
Klaus Marion
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 12/2010
Zeiten mögen kommen und gehen, die Behörde bleibt.
Dieser klassische Sinnspruch aus meiner Feder hat mich mein Leben lang treu begleitet. Lange Wartezeiten, unfreundliche Behandlung, mangelnder Service – diese Erfahrung war eine der wenigen Konstanten einer langen Historie von gegenseitiger Abneigung. Und jetzt war es wieder soweit. Der Reisepass musste beantragt werden.
Die ganze Familie sollte einen bekommen: Reisepässe, heutzutage "Biometrisch" mit Spezialbild, eingelassenem Chip und gespeichertem Fingerabdruck. Eingedenk früherer Erfahrung nahm ich mir einen Tag Urlaub, Beruhigungstabletten sowie Trinkwasservorräte für überheizte Behördenflure mit.
Pünktlich erreichten wir die zuständige Behördenstelle. Wir kamen seltsamer Weise sofort dran. Mit höflichen Worten wurde uns das Prozedere erläutert, wie wurden freundlich auf die zu beachtenden Dinge hingewiesen, man bedauerte die Kosten des Passes, bat uns freundlich, den Finger auf den Fingerabdruckscanner zu legen und gab uns danach sogar das teuer erstellte Passbild wieder zurück. In 10 Minuten waren wir wieder draußen. In meinem Kopf waberte geistiger Nebel.
"Hier stimmt was nicht", zischte ich meiner Frau zu. "Das ist nicht die Passstelle. Die waren ja nett. Freundlich. Hilfsbereit. Lass uns die Polizei rufen!"
"Unsinn!" widersprach mir meine bessere Hälfte. "Es ändert sich halt alles einmal."
3 Wochen später konnten wir pünktlich unsere Dokumente abholen. Tatsächlich: 3 echte Reisepässe. Die freundliche Dame am Schalter wünschte uns noch einen schönen Tag und eine gute Reise. Ich war fassungslos.
"Du hast recht. Muss so was wie Gehirnwäsche sein. Ich nehme alles zurück, was ich je über Behörden gesagt habe. Ich kann es kaum…"
"Moment mal!" Meine Frau deutet auf meinen Reisepass. Ich schaute genauer. Tatsächlich, von meinen 3 Vornamen, die mir meine Eltern großzügig mitgegeben hatten, waren im Pass nur noch 2 vorhanden. Ich schaute verdutzt auf alle meine älteren Dokumente incl. Führerschein und Hundesteuererklärung. Da waren es noch überall 3.
Nun wäre mir die Tatsache eines fehlenden weiteren Vornamens in meinem Reisepass eigentlich recht egal. Leider hatte ich mich für eine bevorstehende Reise bereits Online in eine staatliche Reise-Datenbank eingetragen, bei der es ausdrücklich hieß: "Der Reisende hat sich mit allen Vornamen exakt so einzutragen, wie in seinem Reisepass angegeben." Wahrscheinlich würde es jedoch für eine Einreise ohne Terroristenverdacht nicht hilfreich sein, wenn ich nachträglich um die Streichung eines der Vornamen in der Datenbank bitten würde ("Ich habe mich getäuscht: ich habe doch nur 2 Vornamen…").
Die Dame am Ausgangschalter schaute in ihren Computer. "Sie haben bei uns nur 2 Vornamen. Und auf dem Formular, das Sie unterschrieben haben, waren auch nur zwei angegeben. Gehen Sie Morgen wieder zur Passstelle."
Zuhause berieten wir uns dumpf.
"Ich wusste es. Jetzt geht es los. Die haben einen Vornamen von mir verloren. Den bekomme ich nie wieder. Wahrscheinlich brauche ich eidesstattliche Versicherungen meiner verstorbenen Großeltern, dass ich so heißen könnte. Und dann brauche ich einen neuen Pass. Das dauert ja wieder Wochen. Und die Kosten!"
"Warum hast Du auch den Antrag nicht korrekt durchgelesen? Damit hast Du ja bestätigt, dass Du nur 2 Vornamen hast. Wir kommen nie in den Urlaub!"
Angesichts der Lage kontaktierte ich meinen Anwalt. Der schlug vor, prophylaktisch eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu starten, eine Klage gegen die Behörde und die Stadt, ersatzweise den Oberbürgermeister einzureichen, vorsorglich eine Verfassungsklage zu initiieren sowie die nationale, die internationale Presse und Amnesty International zu informieren.
Ich blickte trübe in meine Zukunft. "Dabei hat mir der dritte Vorname immer so gut gefallen!"
Am nächsten Morgen stand ich bereits eine halbe Stunde vor Öffnung an der verschlossenen Türe des Amtes. Die Nacht hatte ich mit dem Studium und dem mnemorieren einschlägiger Paragraphen sowie der Einübung strategischer Verhandlungssätze ("vielleicht sollten wir in dieser Sache mal ganz allgemein mal Ihre Arbeitsleistung untersuchen lassen…") verbracht, die Telefonnummer meines juristischen Beistands hatte ich mir auf den Oberarm gemalt, falls es in Zusammenhang mit der verbalen Auseinandersetzung zum Einsatz polizeilicher Zwangsmaßnahmen mir gegenüber kommen sollte.
Endlich wurde geöffnet. Ich stürmte an den Schalter und eröffnete die Kampfhandlungen: "Sie haben einen meiner Vornamen verloren. Das geht so nicht!"
"Haben Sie eine Geburtsurkunde dabei? Vielen Dank!"
Mit einem Lächeln kam die Sachbearbeiterin nach einer Minute zurück.
"Das tut uns wirklich leid. Da muss etwas im Computer schief gegangen sein. Wir haben Ihren Namen im Melderegister korrigiert. Sie erhalten selbstverständlich kostenfrei einen neuen Reisepass, der per Express geliefert wird. Wir rufen Sie in den nächsten Tagen an, wenn er da ist. Ich bitte noch einmal viele Male um Entschuldigung für diesen Fehler!"
Unter ihrem strahlenden Lächeln wankte ich nach draußen.
Was war nur mit der Behörde passiert? Alle nett, höflich, serviceorientiert. Ist denn nichts mehr vor Veränderungen sicher?
Da ertönte hinter mir eine brüllende Stimme:
"He, Sie da!! Sind Sie blind oder was? Latschen mir hier über den frisch gewischten Boden? Glauben Sie, ich reinige hier zum Spaß!!!"
Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.
Gott sei Dank.
Manche Dinge ändern sich doch nie.
Klaus Marion
Der Beitrag wurde am Donnerstag, 14. April 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'VORSICHT Satire Dezember 2010'
Teilen