Zu verzollen
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 12/2012

Das Reisen per PKW in benachbarte Länder ist schon seit vielen Jahren eine unkomplizierte Sache geworden. Ob Frankreich, Holland, Belgien – schon vor Abschaffung der Grenzkontrollen war der Wechsel ins Nachbarland eine unkomplizierte Sache. Und in die skandinavischen Ländern bestand der Grenzübertritt am langsamen Vorbeifahren mehr oder weniger gelangweilter Grenzbeamter, denen höchstens beim Anblick eines bis übers Dach vollgepackten PKWs mit kleinen Kindern an Bord ein leichtes Lächeln zu entlocken war. Von Kontrolle keine Spur. Aber da war doch was?

Die Einladung kam von der Tante aus der Schweiz. Für eine kleine Familienfeier sollten wir uns dort einfinden, und so planten wir einen wochenendlichen Abstecher ins Hoheitsgebiet der Eidgenossen, Übernachtung inklusive. Neben guten zu überbringenden Wünschen sollten wir in Erweiterung der eigenen Mitbringsel auch allerlei Geschenke transportieren, die von den verschiedensten Personen, denen eine Teilnahme zum betrachteten Zeitpunkt nicht möglich sein würde, mit den besten Wünschen mitgegeben wurden.
Und so starteten wir unsere freitägliche Fahrt ins Land der Jodler und Banker mit vollgepacktem Kofferraum. Die Fahrt verlief unspektakulär. Unbeachtet kleinerer Staus erreichten wir den Bereich des von uns gewählten Grenzübergangs in Rekordzeit. Auf den letzten Kilometern wurde der Weg zu einer reinen Landstraße. Dabei sank die Geschwindigkeit der Kolonne immer weiter, bis sich ein reines Stop-and-Go ergab. Meine Frau konnte mich vom Beifahrersitz aus auf dem Laufenden halten.
"Du, die kontrollieren ja alle Fahrzeuge einzeln. Haben wir auch die Pässe dabei?" Ich lächelte milde. "Natürlich. Kein Problem…"
"Das ist ja lustig! Die müssen dort den Kofferraum aufmachen!"
Tatsächlich. Auch ich konnte jetzt 100 Meter weiter die Grenzanlagen entdecken. Soweit ich dies erkennen konnte, wurden einzelne Fahrzeuge herausgewinkt. Grün Uniformierte standen um geöffnete Kofferraumklappen herum, während offenkundig nervöse Fahrer ihre Habseligkeiten heraus wuchteten."
"Ich frage mich wirklich, was die suchen? Geschmuggeltes Schwarzgeld?"
"Naja, da werden die ja keine Probleme beim hinbringen machen... Was soll man denn schon in die Schweiz schmuggeln?" Plötzlich wurde mir etwas fröstelig. "Äh, was schenken wir noch einmal?"
"Du weißt doch: Ein Kästchen Rotwein, ein Kästchen Weißwein. Diverse Rosés. Gruß aus Bad Kreuznach eben."
Richtig. Was soll man schon mitbringen, wenn man aus einer Weingegend kommt? Allerdings…
"Was schenkt Deine Mutter?"
"Ein Kistchen Winzersekt".
"Und das haben wir im Kofferraum?"
"Ja."
Da war doch etwas mit Zoll und solchen Sachen…
"Und von Deiner Schwester?"
"Eine Sortimentskiste Weine aus dem Naheland". Mir wurde noch kälter.
"Aber die Bekannten haben doch hoffentlich keinen Wein bei uns eingeladen??"
"Ach was. Schnapsspezialitäten aus dem Bergischen Land."
Ich machte eine kurze Hochrechnung. In unserem Kofferraum befanden sich offensichtlich Alkoholmengen in den Größenordnungen der Jahresproduktion eines kompletten Weinguts.
Ich begann fieberhaft zu überlegen: Grenzübergang. Zoll: Maximal 5 Stangen Wein… Nein, das waren die Zigaretten. Aber auch bei Wein und Spirituosen gab es doch Einschränkungen. Ich griff nach meinem Smartphone und gab "Schweiz", "Zoll" und "Alkohol" ein. Die ersten 3 Treffen verwiesen auf Zeitungsartikel über langjährige Haftstrafen für Alkoholschmuggler. Danach kam eine Auflistung von Mengen. Ah ja. Zwei Flaschen pro Person frei.
Schweißperlen traten auf meine Stirn. Bei den an Bord befindlichen Mengen konnte man sich kaum glaubhaft auf ein Versehen herausreden.
"Wir sollten mal kurz halten!"
Leider erwies sich dies als schwierig. Unsere Schlange hatte inzwischen den Bereich des Grenzübergangs erreicht. Vor uns 5 Fahrzeuge, links eine Barriere, rechts ein freier, mit Schweinwerfern beleuchteter Platz. Hatten wir das Schweizer Staatsgebiet schon erreicht?
Wenn ich jetzt hier rausfahren würde und zu wenden versuchte, könnte ich ja auch gleich ein Geständnis ablegen. Nein, jetzt war es zu spät. Da, schon wieder wurde einer heraus gelotst.
Ich sah es vor meinen Augen: Wir räumten den Kofferraum aus, der Zöllner entdeckt die Flaschen."
"Was haben wir denn da? Alkohol! In rauen Mengen! Das ist ein geplanter terroristischer Anschlag auf die Wirtschaftsstruktur und die Gesundheit der Schweiz! Sie sind verhaftet!"
Nur noch ein Fahrzeug vor uns. Panik begann mich zu überfluten.
Wie sind eigentlich Schweizer Gefängnisse? Wer sitzt dort ein? Deutsche Finanzbeamte, die Steuerbetrügerlisten gekauft haben? Gefährliche Käsefälscher? Alkoholschmuggler?
Ich transpirierte wie ein südafrikanischer Klippschliefer. Der Grenzbeamte nahm mich in den Blick. Griff er bereits zur Pistole? Wusste er, dass er einem Zollverbrecher gegenüber stand?
Jetzt hatte ich es: Ich würde einfach einen fiktiven Raubmord im Oberengadin gestehen, und in der allgemeinen Verwirrung meiner Verhaftung könnte meine Familie das Auto in Brand stecken. Mit etwas Glück würde der Wein dabei verdampfen…
Meine Atmung ging röchelnd, der Puls pendelte sich bei 180 Schlägen im Schatten ein.
Ich griff nach den Pässen, öffnete das Fenster, der Schweiß brannte in meinen Augen. Ich würde einfach gestehen…
Der Grenzbeamte betrachtete mich gelangweilt.
"Grützi! Fahrens weiter! Gute Reise, miteinand'!"
Ich gab langsam Gas.

Meine Frau nennt mich einen Idioten. Ich hätte den Wein doch einfach deklarieren können.
Ach so. Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit gewesen.
Der Beitrag wurde am Sonntag, 17. März 2013 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Zu verzollen - Satire in VorSICHT 12/2012'

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