Shopping
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 4/2015
Seit neuestem hat das Internet eine neue Zielgruppe gefunden: Mann und Mode. Was Zalando oder ähnliche Mode-Unternehmungen für die Frau anbieten, soll jetzt auch den Mann kleidertechnisch beglücken. Für mich kommt so etwas überflüssiges natürlich überhaupt nicht in Frage!
Beim gelangweilten Betrachten der Fernsehwerbung, kurz bevor die actiongeladene Ermittlungsarbeit New Yorker Polizeioffiziere endlich wieder ihren Fortgang nehmen durfte, erstarrte ich plötzlich.
In einem Werbespot blickte mir ein geradezu aus dem Gesicht geschnittener Mann (jung, dynamisch, attraktiv) direkt in die Augen, lehnte sich in seinem gleichermaßen geschmackvoll wie teuer eingerichteten Loft-Appartement in seinem Sessel zurück und verkündete mit ernster Miene: "Am Samstag gehe ich shoppen!" Lange Pause. Dann brüllendes Gelächter, in dem er prustend erklärt: "Quatsch! Ich doch nicht!" Danach öffnete er ein offensichtlich soeben vom Postboten überbrachtes Paket und entnahm ihm ein liebevoll gepacktes Arrangement an Hemden, Hosen, Schuhen und Sakkos.
"Ich bestelle direkt im Internet! Dort werde ich beraten! Dann wird alles perfekt gestylt geliefert! Was nicht gefällt, gebe ich einfach zurück!"
Meine Augen weiteten sich. Das war ja genau MEIN Ding! Nach meinem schon vor Jahren gescheiterten Versuch, Einkaufsshopping auf die Liste der Genfer Konvention über grausame Verhörmethoden setzen zu lassen, hatte hier offensichtlich endlich jemand die Einstellung von 98,35% aller männlichen Bewohner Deutschlands erkannt! Bloß kein Einkaufsstress!
Ich rief die Internetseite auf. Neben vielen hübschen Bildern von durch die Warenlieferung attraktiv aufgewerteten Männern wurde ich jedoch erst einmal durch einen Parcours von investigativen Fragen nach Kleidergrößen, Preisvorstellungen und Kreditkartennummern geleitet. Nett fand ich die Altersangabe, bei der nur nach dem gefühlten Alter gefragt wurde.
Übergangslos ging es dann mit Kleiderensembles ("Besuch in London", "Casual Wear für die Weekend-Party") weiter, bei der mein interessiertes Klicken zu zwei überraschenden Meldungen der Art "Ihre Box wird jetzt gepackt und umgehend versendet!" führte. Das war jetzt etwas zu schnell. Ich hielt inne. Wo konnte man das wieder stornieren? Ich versuchte es bei dem Stichpunkt "Beratung". Als Ergebnis wurde mir mitgeteilt, dass meine persönliche Style-Beraterin Silke mich "am Mittwoch" anrufen würde. Der Versuch, diesen Telefontermin zu stoppen, misslang. Stattdessen hatte ich im Ergebnis einen weiteren Telefontermin mit dem Berater "Horst" am Donnerstag.
Das musste an diesem Pad liegen. Ich begab mich zum PC und rief die Seite dort erneut auf. Interessanter Weise war die Optik hier gänzlich verändert, und auch der Ablauf der Software war anders. Drei unabsichtliche Sortimentsbestellungen und einem vereinbarten Beratertermin später gab ich auf. Ich schrieb eine EMail mit der Bitte, die Lieferungen auf ein Paket zu reduzieren.
Drei Tage später traf ein großes Paket ein. Im Inneren erblickte ich tatsächlich ein geradezu liebevoll gepacktes Bündel, dass neben der erwarteten stylischen Hemd/Hose-Kombination noch unverbindlich einen Sakko, einen Wintermantel, zwei Pullover, einen Gürtel, Socken, Blazer, T-Shirts sowie ein Gratisbier als Werbegeschenk enthielt. Dazu ein nettes Schreiben. Die Sachen sahen toll aus, und eigentlich passten sie auch.
Das sagte ich auch "Silke" am Telefon, die mich tatsächlich wie angekündigt kontaktierte. Sie war überrascht, dass ich parallel zu ihrem Beratungsgespräch schon etwas bestellt hatte, aber nach einigen Fragen zu meinen farblichen und stilistischen Vorlieben beschlossen wir, dass sie auf diesen Erkenntnissen aufbauend mir ein jetzt passendes Probepaket schicken würde.
Am nächsten Tag kam ein weiteres Paket (Stil: Besuch in London"). Meine Frau erkundigte sich eisig, wer eigentlich Silke wäre. Ich erläuterte ihr kurz diese neue Verkaufsidee und pries die Vorzüge auch dieser Lieferung, die offensichtlich noch aus meinem ersten Webseitenbesuch stammen würde. Auch hier enthielt das Paket wunderschöne Hosen, Shirts und Hemden und Lederjacken. "Du möchtest doch immer, dass ich mehr Einkaufen gehe!"
"Hast Du mal auf den Preis gesehen?"
Ich nahm die Rechnung und schluckte. Für sich genommen waren die Artikel nicht teuer, trotzdem summierte sich die gelieferten Objekte dank Bugatti-Schuhen und Strellson-Mantel auf einen Betrag, der dem Monatsgehalt eines erfahrenen KFZ-Mechanikers nahe kam. Ich musste etwas tun.
"Hören Sie mal, Horst, das wird zu viel. Ich schicke sowieso das meiste zurück. Der Beratungstermin ist überflüssig!"
Modeberater Horst stimmte mir voll und ganz zu, gab aber zu bedenken, dass er mir nach seinen Vorstellungen sowieso etwas ganz anderes empfehlen würde. Ich solle doch zumindest einen Blick darauf werfen, Rücksendung wäre ja kostenfrei. Das schien mir einleuchtend.
In den folgenden Tagen trafen in schneller Folge weitere Pakete ein.
Neben der stilistisch gut gelungenen Zusammenstellung von Beraterin Silke kamen meine falsch geklickten Looks "Techno im Berghain", "Meeting New York" sowie "My Life as a Millionaire".
Die Sachen waren alle toll, die meisten passten sogar, doch ich hatte bei der Zuordnung jetzt leider komplett die Übersicht verloren. Ich musste dringende Maßnahmen ergreifen.
"Hören Sie! Auf jeden Fall schicken Sie mir nichts mehr an die Firmenadresse. Die Pakete sind mit Werbung bedruckt, und die Leute tuscheln schon! Danke übrigens für die kostenfreie Mitgliedschaft im Executive Member Mode-Club! Jetzt aber keine Pakete mehr, bitte!"
Tatsächlich flaute die Paketwelle ab. Lediglich zwei größere Pakete und eine nicht erwähnenswerte Auswahl an Gürteln erreichten mich noch ("Danke für Ihre Mitgliedschaft in unserem Modeclub! Hier unsere neuen Vorschläge für Sie!") und vergrößerten das bestehende Rücksende-Chaos.
Nach einem sortierenden Wochenende, bei dem es mir gelang, die meisten Kleidungsstücke den einzelnen Lieferungen wieder zuzuordnen, schaffte ich es immerhin, knapp 30% der Kleidungsstücke noch vor dem letzten Rückgabetermin wieder zurückzusenden. Die anderen Sachen musste ich behalten.
In meinem Arbeitszimmer stapeln sich jetzt Schuhe und Sakkos, eine ungezählte Menge von T-Shirts und Hemden lagern in den Ecken.
Habe beschlossen, das Problem eigenhändig zu lösen und beruflich in den Modehandel zu wechseln. Braucht jemand einen Ledergürtel? Oder zwei? Auch Hemden habe ich im Angebot.
Bitte. Bitte… !
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 4/2015
Seit neuestem hat das Internet eine neue Zielgruppe gefunden: Mann und Mode. Was Zalando oder ähnliche Mode-Unternehmungen für die Frau anbieten, soll jetzt auch den Mann kleidertechnisch beglücken. Für mich kommt so etwas überflüssiges natürlich überhaupt nicht in Frage!
Beim gelangweilten Betrachten der Fernsehwerbung, kurz bevor die actiongeladene Ermittlungsarbeit New Yorker Polizeioffiziere endlich wieder ihren Fortgang nehmen durfte, erstarrte ich plötzlich.
In einem Werbespot blickte mir ein geradezu aus dem Gesicht geschnittener Mann (jung, dynamisch, attraktiv) direkt in die Augen, lehnte sich in seinem gleichermaßen geschmackvoll wie teuer eingerichteten Loft-Appartement in seinem Sessel zurück und verkündete mit ernster Miene: "Am Samstag gehe ich shoppen!" Lange Pause. Dann brüllendes Gelächter, in dem er prustend erklärt: "Quatsch! Ich doch nicht!" Danach öffnete er ein offensichtlich soeben vom Postboten überbrachtes Paket und entnahm ihm ein liebevoll gepacktes Arrangement an Hemden, Hosen, Schuhen und Sakkos.
"Ich bestelle direkt im Internet! Dort werde ich beraten! Dann wird alles perfekt gestylt geliefert! Was nicht gefällt, gebe ich einfach zurück!"
Meine Augen weiteten sich. Das war ja genau MEIN Ding! Nach meinem schon vor Jahren gescheiterten Versuch, Einkaufsshopping auf die Liste der Genfer Konvention über grausame Verhörmethoden setzen zu lassen, hatte hier offensichtlich endlich jemand die Einstellung von 98,35% aller männlichen Bewohner Deutschlands erkannt! Bloß kein Einkaufsstress!
Ich rief die Internetseite auf. Neben vielen hübschen Bildern von durch die Warenlieferung attraktiv aufgewerteten Männern wurde ich jedoch erst einmal durch einen Parcours von investigativen Fragen nach Kleidergrößen, Preisvorstellungen und Kreditkartennummern geleitet. Nett fand ich die Altersangabe, bei der nur nach dem gefühlten Alter gefragt wurde.
Übergangslos ging es dann mit Kleiderensembles ("Besuch in London", "Casual Wear für die Weekend-Party") weiter, bei der mein interessiertes Klicken zu zwei überraschenden Meldungen der Art "Ihre Box wird jetzt gepackt und umgehend versendet!" führte. Das war jetzt etwas zu schnell. Ich hielt inne. Wo konnte man das wieder stornieren? Ich versuchte es bei dem Stichpunkt "Beratung". Als Ergebnis wurde mir mitgeteilt, dass meine persönliche Style-Beraterin Silke mich "am Mittwoch" anrufen würde. Der Versuch, diesen Telefontermin zu stoppen, misslang. Stattdessen hatte ich im Ergebnis einen weiteren Telefontermin mit dem Berater "Horst" am Donnerstag.
Das musste an diesem Pad liegen. Ich begab mich zum PC und rief die Seite dort erneut auf. Interessanter Weise war die Optik hier gänzlich verändert, und auch der Ablauf der Software war anders. Drei unabsichtliche Sortimentsbestellungen und einem vereinbarten Beratertermin später gab ich auf. Ich schrieb eine EMail mit der Bitte, die Lieferungen auf ein Paket zu reduzieren.
Drei Tage später traf ein großes Paket ein. Im Inneren erblickte ich tatsächlich ein geradezu liebevoll gepacktes Bündel, dass neben der erwarteten stylischen Hemd/Hose-Kombination noch unverbindlich einen Sakko, einen Wintermantel, zwei Pullover, einen Gürtel, Socken, Blazer, T-Shirts sowie ein Gratisbier als Werbegeschenk enthielt. Dazu ein nettes Schreiben. Die Sachen sahen toll aus, und eigentlich passten sie auch.
Das sagte ich auch "Silke" am Telefon, die mich tatsächlich wie angekündigt kontaktierte. Sie war überrascht, dass ich parallel zu ihrem Beratungsgespräch schon etwas bestellt hatte, aber nach einigen Fragen zu meinen farblichen und stilistischen Vorlieben beschlossen wir, dass sie auf diesen Erkenntnissen aufbauend mir ein jetzt passendes Probepaket schicken würde.
Am nächsten Tag kam ein weiteres Paket (Stil: Besuch in London"). Meine Frau erkundigte sich eisig, wer eigentlich Silke wäre. Ich erläuterte ihr kurz diese neue Verkaufsidee und pries die Vorzüge auch dieser Lieferung, die offensichtlich noch aus meinem ersten Webseitenbesuch stammen würde. Auch hier enthielt das Paket wunderschöne Hosen, Shirts und Hemden und Lederjacken. "Du möchtest doch immer, dass ich mehr Einkaufen gehe!"
"Hast Du mal auf den Preis gesehen?"
Ich nahm die Rechnung und schluckte. Für sich genommen waren die Artikel nicht teuer, trotzdem summierte sich die gelieferten Objekte dank Bugatti-Schuhen und Strellson-Mantel auf einen Betrag, der dem Monatsgehalt eines erfahrenen KFZ-Mechanikers nahe kam. Ich musste etwas tun.
"Hören Sie mal, Horst, das wird zu viel. Ich schicke sowieso das meiste zurück. Der Beratungstermin ist überflüssig!"
Modeberater Horst stimmte mir voll und ganz zu, gab aber zu bedenken, dass er mir nach seinen Vorstellungen sowieso etwas ganz anderes empfehlen würde. Ich solle doch zumindest einen Blick darauf werfen, Rücksendung wäre ja kostenfrei. Das schien mir einleuchtend.
In den folgenden Tagen trafen in schneller Folge weitere Pakete ein.
Neben der stilistisch gut gelungenen Zusammenstellung von Beraterin Silke kamen meine falsch geklickten Looks "Techno im Berghain", "Meeting New York" sowie "My Life as a Millionaire".
Die Sachen waren alle toll, die meisten passten sogar, doch ich hatte bei der Zuordnung jetzt leider komplett die Übersicht verloren. Ich musste dringende Maßnahmen ergreifen.
"Hören Sie! Auf jeden Fall schicken Sie mir nichts mehr an die Firmenadresse. Die Pakete sind mit Werbung bedruckt, und die Leute tuscheln schon! Danke übrigens für die kostenfreie Mitgliedschaft im Executive Member Mode-Club! Jetzt aber keine Pakete mehr, bitte!"
Tatsächlich flaute die Paketwelle ab. Lediglich zwei größere Pakete und eine nicht erwähnenswerte Auswahl an Gürteln erreichten mich noch ("Danke für Ihre Mitgliedschaft in unserem Modeclub! Hier unsere neuen Vorschläge für Sie!") und vergrößerten das bestehende Rücksende-Chaos.
Nach einem sortierenden Wochenende, bei dem es mir gelang, die meisten Kleidungsstücke den einzelnen Lieferungen wieder zuzuordnen, schaffte ich es immerhin, knapp 30% der Kleidungsstücke noch vor dem letzten Rückgabetermin wieder zurückzusenden. Die anderen Sachen musste ich behalten.
In meinem Arbeitszimmer stapeln sich jetzt Schuhe und Sakkos, eine ungezählte Menge von T-Shirts und Hemden lagern in den Ecken.
Habe beschlossen, das Problem eigenhändig zu lösen und beruflich in den Modehandel zu wechseln. Braucht jemand einen Ledergürtel? Oder zwei? Auch Hemden habe ich im Angebot.
Bitte. Bitte… !
Der Beitrag wurde am Sonntag, 30. August 2015 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Shopping - meine Satire in VorSICHT April 2015'
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