Berufspendler
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 3/2015

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Du, lieber Leser, planst also einen lukrativen Arbeitsplatzwechsel, der mit einem täglichen Pendeln zwischen Heimatort und der Stelle beruflichen Wirkens verbunden ist? Gar über die Autobahnen ins Rhein-Main-Bermudadreieck zwischen Mainz, Wiesbaden und Frankfurt?
Du hältst das für eine gute Idee und freust Dich schon auf Deine entspannende tägliche Autofahrt?
Dann hast Du keine Ahnung!


Lass es Dir von einem altgedienten Fahrensmann sagen: Das erste, was dem Neupendler bei der Fahrt Richtung neuer Arbeitsstätte auffällt, ist der Verkehr. Nicht, dass morgens oder abends viel Verkehr wäre. Nein!
Es herrscht das reine Chaos! Als Du voller Optimismus an einem Sonntag probeweise nach Frankfurt gefahren bist, hast Du Dich noch gewundert, wofür die vielen Fahrspuren bei so wenigen Autos eigentlich gut sind. Jetzt, um 7:30 Uhr an einem beliebigen Montagmorgen, weißt Du es: Sie nehmen die zehntausende stehender Autos auf, deren Fahrer auch einmal so naiv wie Du waren.
Natürlich könntest Du auch erst um 11 Uhr zur Arbeit fahren. Da ist wenig los. Oder schon um 15 Uhr wieder den Rückweg antreten. Da ist auch wenig los. Wäre da nicht Dein Chef, der das überhaupt nicht lustig findet.
Und um diese Zeit sind dafür die Straßenmeistereien unterwegs, um mal schnell ein oder zwei Verkehrsspuren abzusperren und dringend notwendige Reparaturen vorzunehmen. Und dann stehst Du wieder im Stau. Aus diesem Grund gilt: verdopple alle Berechnungen für die notwendige Fahrtzeit. Die von Arbeitgebern bei Bewerbungsgesprächen genannten Fahrtzeiten kann man sowieso vergessen. Die sind entweder gelogen, um den ahnungslosen Bewerber nicht abzuschrecken, oder beruhen auf weltfremden Schätzungen, weil der Chef in einem Dachappartement schräg gegenüber der Firma wohnt – was Du Dir bei den Immobilienpreisen dort sowieso nie leisten wirst können.
Der klassische Fehler jedes Neupendlers: Kaffee. So sehr die Müdigkeit am frühen Morgen im Auto Dich auch übermannen mag - widerstehe der Versuchung, die Wartezeit im Stau durch den Genuss von Kaffee zu überbrücken. Was in der ersten halben Stunde noch angenehm wach machen mag, weist Dich bald darauf auf eine nicht unwichtige Erkenntnis hin: Es gibt auf der Autobahn nur wenig Toiletten! Und schon gar nicht in einem Stau.
Wichtigster Tipp: Tanke rechtzeitig. Was zu Hause noch als lässliche Sünde durchgehen mag („Reservelampe leuchtet? Ach was, ich tanke erst Morgen!“) ist für den ernsthaften Berufspendler eine existentielle Frage. Es ist kaum zu glauben, wie im Stau vor dem Wiesbadener Dreieck die Tanknadel in den freien Fall überzugehen scheint. Übel dabei sind auch die modernen Durchschnittsanzeigen für die Reichweite der Tankfüllung. Was bei Tempo 100 noch locker 60 Kilometer weit reichen würde, ist bei Schritttempo höchstens noch für 10 km gut. Und auch im Leerlauf säuft Dein blöder Wagen wie ein Loch. Und wenn Du dann mit leerem Tank am Straßenrand stehst, gibt’s von der Polizei noch einen Strafzettel oben drauf.
In einem Survival-Ratgeber aus den USA habe ich mal gelesen, dass man die Polster der Sitze aufschlitzen und als Decke verwenden soll, wenn man in North Dakota in einer Schneewehe mit dem Auto stecken bleibt. Das hört sich für Deine mitteleuropäischen Ohren unwirklich an? Nach 4 Stunden in einer unfallbedingten Vollsperrung an einem eisigen Winterabend wird Dir schnell bewusst, dass ein eigentlich gut geheiztes Auto binnen Minuten Außentemperatur erreicht, wenn Du Motor und damit die Heizung abstellst. Lässt Du den Motor an, dann geht Dein Tank zu Neige (siehe oben). Und dann wird’s kalt UND Du bleibst liegen. Also, auch wenn's irgendwie lächerlich klingt: Decke in den Kofferraum packen. Und ja, ein kleiner Vorrat an Crackern und vor Atomschlag geschützten Dauerkeksen der Bundeswehr mit 150 Jahren Haltbarkeit kann auch nicht schaden.
Auch wenn Du nicht im Stau stehst, eine Regel gilt für den Berufspendler immer: Rechne mit allem! Du hältst Dich nicht an Verkehrsregeln und hast sowieso den Fahrstil einer Wildsau? Dann wirst Du feststellen, dass Du im Vergleich zu den anderen Autofahrern richtig harmlos bist!
Du wirst Fahrern begegnen, die ohne mit der Wimper zu zucken, mit dem Handy am Ohr, Dich rechts mit doppelter Geschwindigkeit auf dem Standstreifen überholen, die Dich schneiden oder bei Tempo 180 bis zu Deinem Kofferraum auffahren, um Deine schnachnasige Fahrweise zu kommentieren und Dich von der Überholspur zu vertreiben. Die Grundregel fürs Überleben als Pendler lautet: Entweder, oder.
Also: Entweder reihst Du Dich auf der rechten Spur bei Tempo 80 hinten den LKWs ein und zuckelst halbwegs geschützt zu Deiner Arbeit, oder Du legst den Turboriemen auf die Orgel und rast mit Tempo 200 auf der linken Spur Deinem Ziel entgegen. Nutze niemals die mittlere Fahrbahn bei durchschnittlicher Geschwindigkeit: Du wirst von beiden Seiten überholt und endest irgendwann als Unfallbeteiligter in einem Blechhaufen auf der Autobahn.
Wenn Dich all dies, lieber zukünftiger Pendler, nicht abgeschreckt hat, dann wünsche ich Dir alles Gute für Deine zukünftige Fahrt hin und zurück zur Arbeit. Wir werden uns sicher sehen: Im Stau am Wiesbadener Kreuz, an der anhaltenden Zähflüssigkeit am Mainspitzdreieck oder bei der Vollsperrung vor der Schiersteiner Brücke. Ich bin der mit dem Laptop auf dem Beifahrersitz, der gerade beim Warten an dieser Satire schreibt.
Ich winke Dir dann einfach zu!
Der Beitrag wurde am Dienstag, 26. Mai 2015 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Die Fahrt zur Arbeit - meine Satire in VorSICHT März 2015'

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