Es lebe der Fortschritt
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 1/2015


Der technische Fortschritt hat uns in den letzten Jahren Dinge beschert, die vor vielen Jahren noch locker als völlig unglaubwürdige Science Fiction durchgegangen wären.
Telefone zum überall hin mitnehmen, jederzeit aufrufbare Streaming-Filme, als Touchscreen-Tablets herumtragbare Minicomputer und Markierungsspray für Bundesligaschiedsrichter.
Doch mancher Fortschritt kann selbst mich noch überraschen...


Am letzten Mittwoch klingelte während der Arbeit mein Telefon. Die auf dem Display angezeigte Frankfurter Nummer war mir nicht geläufig, und so nahm ich das Gespräch mit einer gewissen Vorsicht entgegen: „Hallo?“
Eine freundliche Stimme meldete sich am anderen Ende
„Hallo, hier ist Ihre Bad Kreuznacher Autoniederlassung. Ihr Auto hat bei uns angerufen und einen Termin vorreserviert. Ich wollte mal nachfragen, ob Sie das Datum bestätigen können?“
Ich starrte auf das Telefon.
„Haha, sehr lustig. Du mich auch! Rudi, bist Du das?“
„Nein, ich heiße Alfons. Niederlassung Bad Kreuznach. Ihr Fahrzeug hat in 2.000 km Ölwechsel. Und nach der Verschleißanzeige sollten wir auch unbedingt mal die Bremsklötze wechseln. Könnten wir gleich in einem mitmachen. Wäre der nächste Donnerstag 8 Uhr für Sie okay?“
Anscheinend war der Anruf kein Scherz. Zumal – ich musste es gestehen - das Display meines Fahrzeugs tatsächlich am Vortag einen Hinweis auf eine näher rückende Auswechslung der Schmierflüssigkeit gegeben hatte.
„Äh – und woher wissen Sie das?“
Jetzt war es an meinem telefonischen Gegenüber, eine gewisse Überraschung zu verraten.
„Haben Sie nicht im Menü Ihres Autos ‚Einstellungen’, unter ‚Motor’, bei ‚Wartung’, das Häkchen ‚Wartungsdaten übertragen’ gesetzt? Dann baut die bei Ihnen eingebaute SIM-Karte automatisch eine Verbindung ins Internet auf und übermittelt regelmäßig alle notwendigen Wartungsinformationen ganz aktuell an uns! Toll, nicht?“
Tatsächlich beinhalteten die Bildschirm-Menüs meines Mittelklasse-PKWs eine Unzahl von mehr oder weniger kryptischen Optionen, von denn bei Auslieferung eigentlich fast alle aktiviert waren.
„Ja, ich gebe es zu: Das ist ganz praktisch. Aber da ist ja wohl noch ein wenig Zeit. 2.000,- km... “
„Ja, aber bei der von Ihrem Auto übermittelten aktuellen Fahrleistung sollten wir da maximal 3 Wochen warten, und in der übernächsten Woche ist ja für Sie eher schlecht. Wegen der Abendveranstaltung am Dienstag sowie dem Stammtischtermin am Mittwoch. Da wollen wir ja nicht riskieren, das ihr Fahrzeug wegen eines Problems noch in der Werkstatt ist...“
„WAS?“
„Jaa, und am Donnerstag haben Sie Hochzeitstag. Wenn Sie da wirklich ins „La Piolino“ fahren wollen, brauchen Sie natürlich das Auto. Kenne ich übrigens, ist ein sehr nettes Lokal. Sehr freundliche Bedienung. Nehmen Sie aber nicht die Muscheln, da hatte ich mal eine Woche lang echte Probleme!“
„WOHER wissen Sie das??“
„Nur keine Überraschung. Gehört alles zum Kundenservice! Ihr Auto hat für den geplanten Werkstatttermin natürlich Ihren elektronischen Kalender gecheckt. Sie haben doch den ‚Kalenderabgleich’ im Menü ‚Business’ aktiviert? Ich habe dann per Fernwartungszugriff noch mal gegengeprüft, damit dann kein Fehler passiert. Bei Ihrem „Chef-Meeting“ morgen habe ich übrigens den Schreibfehler korrigiert – der Mann heißt laut Ihrem elektronischen Adressbuch Meyer, nicht Mayer!“
„Hören Sie mal, das geht doch nicht!“
„Sie haben völlig Recht! Sie müssen da einfach vorsichtiger sein! Ich sehe ja, dass Sie ein verantwortlicher Fahrer sind und die Höchstgeschwindigkeitswarnungen Ihrer Navis nur ganz wenig überschreiten – aber Sie müssen insgesamt achtsamer werden. Die 60 km/h-Beschränkung an der Schiersteiner Brücke können Sie nicht einfach ignorieren – da steht eine festeingebaute Radarkamera! Und peng, hat man Sie erwischt.
Und – das ist jetzt ein privater Tipp – Sie sollten übrigens beim Besuch des Nachtclubs vorsichtiger sein! Und ich würde an Ihrer Stelle lieber bar bezahlen. Mit Scheck oder Karte kriegen Sie irgendwann Ärger mit Ihrer Frau...“
„WIE??“
„Na, ich habe das Wegeprofil ihres Fahrzeugs im Navi-Speicher gegen die Gefährdungsliste unsres Unternehmens laufen lassen – Sie wissen schon: Gegenden, die für das Fahrzeug ungesund sein könnten.
Dabei habe ich festgestellt, dass Sie regelmäßig alle paar Monate in der Nähe eines Clubs parken. Ihr Kalendereintrag sagt nur ‚Vorsicht: Scheck!’ Dem kann ich nur zustimmen...“
Jetzt hatte ich genug. Ich röhrte los.
„Erstens geht Sie das gar nichts an. Zweitens ist der „Parkplatz“ der Verlag meines Verlegers, bei dem ich mir für meine VorSICHT-Satiren meinen Honorarscheck abhole. Der Nachtclub ist nur zufällig schräg gegenüber! Drittens ist das ja wohl alles ein schlechter Scherz. Wahrscheinlich gibt es auch ein Häkchen ‚Kontostand prüfen’, damit auch sichergestellt ist, dass ich meine Werkstattrechnung pünktlich bezahle... !!“
„Da brauchen Sie sich wirklich keine Gedanken zu machen, Ihr Kontostand ist diesen Monat ausreichend hoch...“
„Das reicht! Ich mache mir meinen Werkstatttermin selber!“
Ich haute den Hörer knallend auf die Gabel und deaktivierte in meinem Auto alle Häkchen in sämtlichen Untermenüs.

Den Werkstatttermin habe ich dann natürlich vergessen. Wie mir der Meister in der Werkstatt mitteilte, hätten die Reparaturkosten wegen des defekten Luftfilters vermieden werden können, wenn das Auto dies der Technikzentrale hätte rechtzeitig melden können. Aber er habe Verständnis für Abschalten der Fernübertragung.
„Das machen viele. Übrigens sollten Sie auf ihr Gewicht aufpassen! Der Gurtsensor im Fahrersitz zeigt mir an, dass Sie in den letzten Monaten ein bisschen zugelegt haben. Hallo, wo gehen Sie denn plötzlich hin? Hallo??“
Der Beitrag wurde am Montag, 25. Mai 2015 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Es lebe der Fortschritt - Satire 01/2015 in der VorSICHT'

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