Das Ferienhaus
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 11/2014
Vor langen Jahren, in den finsteren Zeitaltern, verlief die Buchung eines Urlaubsdomizils immer auf die gleiche Art: Im Reisebüro las ein mehr oder weniger gelangweilter Angestellter des Unternehmens die knappen, begeisternden Zeilen des angebotenen Objektes vor ("…traditionelles und romantisches Ferienhäuschen mit Meerblick"), man buchte das in einem dicken Katalog verschwommen in Briefmarkengröße abgebildete Objekt, um dann vor Ort festzustellen, dass sich zwischen dem baufälligen Haus und dem Strand eine 8-spurige Fernautobahn befand.
Dann kamen das Internet und die Onlinekataloge. Endlich konnte man das ins Auge genommene Cottage mit vielen Bildern von außen und innen genau betrachten und die Anmietung überlegt abwägen. Nach langem nachdenken wurde dann das Häuschen mit den hübschesten Bildern gebucht - um dann festzustellen, dass überraschender Weise die zwei 20-stöckigen Hotelhochhäuser sich immer gerade 10 cm außerhalb des Blickwinkels der Aufnahmen befunden hatten (und die auf den Bildern als malerische Raufasertapete erscheinenden Wände in Wirklichkeit mit Schimmel überzogene unverputzte Mauern waren).
Doch jetzt ist alles anders. Mit Google Earth und mit Streetview kann man schon im Vorhinein und ohne Manipulation und Vorauswahl des Vermieters den optischen Gesamteindruck prüfen und sich einen Überblick über die Umgebung verschaffen.
So auch bei unserem letzten Urlaubsdomizil.
Die Vorauswahl aus dem Internetkatalog hatte uns ein kleines Cottage in britischen Landen ins Auge fallen lassen.
Dabei fiel uns auf, dass viele Anbieter keine genaue Adresse ihres Schmuckstücks präsentierten. Doch was die NSA kann, können wir internetgestählte Privatnutzer schon lange. Die ganze Familie hatte sich mit um den Bildschirm versammelt.
"Also: Das Häuschen hat zwei Schonsteine, Sattelwalmdach und liegt an einem kleinen Sträßchen. Im Hintergrund sehe ich Tannen und den Giebel einer Halle. Ortsrand, würde ich sagen!"
Langsam arbeiteten wir uns heran. Die Satellitenaufnahme des kleinen Ortes wurde eingefroren, mit farbigen virtuellen Fähnchen markierten wir die Dächer von Gebäuden, die möglicherweise in Frage kamen. Mein Nachrichtenoffizier für Feindidentifizierung (im bürgerlichen Leben meine gerade volljährige Tochter) machte einen interessanten Hinweis:
"Auf dem Katalogbild sieht man einen Schatten vorne links, sehr steil. Unter Berücksichtigung des Breiten- und Längengrades müssen wir von einer Aufnahme zur Mittagszeit ausgehen. Dies bedeutet unter Einbeziehung der örtlichen Zeitzone, dass auf diesem Bild auf 2 Uhr sich Süden befinden muss!"
Das machte Sinn. Wir verschoben das Bild und drehten es passend.
"Ja! Hier muss es liegen. Sollte es dieses Gebäude sein?" Die Familie starrte auf die auf Maximum vergrößerte Luftaufnahme. Hm… Da war ein Dach mit zwei Flecken, die die Schornsteine sein mussten. Großer Garten. Dann im Nachbargelände, mit großem Abstand, eine wohl sehr große Halle. Und da waren die Tannen und der Stadtrand. Ja!! Mission erfolgreich. Wir hatten unser Zielobjekt gefunden.
Meine Aufklärungseinheit zog befriedigt die Checklisten hervor.
"Irgendwelche Schnellstraßen in der Umgebung?" Definitiv nein, das Cottage lag am Rande einer schmalen Dorfstraße, am Stadtrand. Meine Frau zog die Stirne kraus.
"Flugplätze? Gibt es Landebahnen und Einflugschneisen?" Eine kurze Prüfung ergab Entwarnung. Der nächste Flugplatz lag 200 km entfernt. Wir nahmen uns die Prüfliste für das Haus vor: "Ist Garten vorhanden? Ist der Garten grün?" Der Garten war groß und breit und machte auf dem Bild einen schönen, floralen Eindruck. Die angepriesene Terrasse wie auch der Pool konnten wir ebenfalls identifizieren. Ich überlegte. "Gibt es weitere Häuschen auf dem Grundstück?" Auch nicht. Singulär und malerisch lag das Haus einsam da. Meine Tochter hatte inzwischen sogar einen Streetview-Blick von der Hauptstraße auf das Häuschen gefunden: Wunderschön verputzt, Rosenbüsche umrahmten den Garten, ein grüner Rasen ließ sich hinter den wohlgeformten Hecken erahnen.
"Was ist mit der Nachbarschaft? Diskotheken, Fabrikgebäude, Kläranlagen?" Wir starrten auf das Bild und prüften die Gegebenheiten. Im gesamten Umkreis lagen einzelne, kleine Häuschen, neben dem Cottage vor einer Szenerie von Äckern eine große landwirtschaftliche Halle, sowie große und lange Streifen von dunklen Flächen, die ich mit geübtem Auge sofort als Blumenbeete identifizierte.
Wir starrten uns an. Es sah aus, als ob wir einen Volltreffer gelandet hätten! Trotzdem, wir wollten auf Nummer sicher gehen. Auch die Checkliste für Spezialfälle wurde abgearbeitet: Flüsse (Hochwasser!), stehende Gewässer (Stechtiere!), Eisenbahnlinien (nächtlicher Lärm!), Pubs und Restaurants in sicherem Abstand?
Check! Meine Aufklärungseinheit hatte ganze Arbeit geleistet!
Wir buchten das Häuschen.
Tatsächlich war alles, wie wir es schon im Vorfeld ermittelt hatten.
Das wunderschön eingerichtete Cottage und der fantastische Garten waren eine echte Urlaubsfreude.
Und wenn die riesigen Güllegruben auf der nachbarschaftlichen Schweinefarm (ich hatte die offenen Behältnisse auf den Bildern für Blumenbeete gehalten) nicht gewesen wären, hätten wir während des Urlaubs sogar einmal durch Nase atmen und in unserem Häuschen auch etwas essen können.
Nächstes Jahr bleiben wir zu Hause.
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 11/2014
Vor langen Jahren, in den finsteren Zeitaltern, verlief die Buchung eines Urlaubsdomizils immer auf die gleiche Art: Im Reisebüro las ein mehr oder weniger gelangweilter Angestellter des Unternehmens die knappen, begeisternden Zeilen des angebotenen Objektes vor ("…traditionelles und romantisches Ferienhäuschen mit Meerblick"), man buchte das in einem dicken Katalog verschwommen in Briefmarkengröße abgebildete Objekt, um dann vor Ort festzustellen, dass sich zwischen dem baufälligen Haus und dem Strand eine 8-spurige Fernautobahn befand.
Dann kamen das Internet und die Onlinekataloge. Endlich konnte man das ins Auge genommene Cottage mit vielen Bildern von außen und innen genau betrachten und die Anmietung überlegt abwägen. Nach langem nachdenken wurde dann das Häuschen mit den hübschesten Bildern gebucht - um dann festzustellen, dass überraschender Weise die zwei 20-stöckigen Hotelhochhäuser sich immer gerade 10 cm außerhalb des Blickwinkels der Aufnahmen befunden hatten (und die auf den Bildern als malerische Raufasertapete erscheinenden Wände in Wirklichkeit mit Schimmel überzogene unverputzte Mauern waren).
Doch jetzt ist alles anders. Mit Google Earth und mit Streetview kann man schon im Vorhinein und ohne Manipulation und Vorauswahl des Vermieters den optischen Gesamteindruck prüfen und sich einen Überblick über die Umgebung verschaffen.
So auch bei unserem letzten Urlaubsdomizil.
Die Vorauswahl aus dem Internetkatalog hatte uns ein kleines Cottage in britischen Landen ins Auge fallen lassen.
Dabei fiel uns auf, dass viele Anbieter keine genaue Adresse ihres Schmuckstücks präsentierten. Doch was die NSA kann, können wir internetgestählte Privatnutzer schon lange. Die ganze Familie hatte sich mit um den Bildschirm versammelt.
"Also: Das Häuschen hat zwei Schonsteine, Sattelwalmdach und liegt an einem kleinen Sträßchen. Im Hintergrund sehe ich Tannen und den Giebel einer Halle. Ortsrand, würde ich sagen!"
Langsam arbeiteten wir uns heran. Die Satellitenaufnahme des kleinen Ortes wurde eingefroren, mit farbigen virtuellen Fähnchen markierten wir die Dächer von Gebäuden, die möglicherweise in Frage kamen. Mein Nachrichtenoffizier für Feindidentifizierung (im bürgerlichen Leben meine gerade volljährige Tochter) machte einen interessanten Hinweis:
"Auf dem Katalogbild sieht man einen Schatten vorne links, sehr steil. Unter Berücksichtigung des Breiten- und Längengrades müssen wir von einer Aufnahme zur Mittagszeit ausgehen. Dies bedeutet unter Einbeziehung der örtlichen Zeitzone, dass auf diesem Bild auf 2 Uhr sich Süden befinden muss!"
Das machte Sinn. Wir verschoben das Bild und drehten es passend.
"Ja! Hier muss es liegen. Sollte es dieses Gebäude sein?" Die Familie starrte auf die auf Maximum vergrößerte Luftaufnahme. Hm… Da war ein Dach mit zwei Flecken, die die Schornsteine sein mussten. Großer Garten. Dann im Nachbargelände, mit großem Abstand, eine wohl sehr große Halle. Und da waren die Tannen und der Stadtrand. Ja!! Mission erfolgreich. Wir hatten unser Zielobjekt gefunden.
Meine Aufklärungseinheit zog befriedigt die Checklisten hervor.
"Irgendwelche Schnellstraßen in der Umgebung?" Definitiv nein, das Cottage lag am Rande einer schmalen Dorfstraße, am Stadtrand. Meine Frau zog die Stirne kraus.
"Flugplätze? Gibt es Landebahnen und Einflugschneisen?" Eine kurze Prüfung ergab Entwarnung. Der nächste Flugplatz lag 200 km entfernt. Wir nahmen uns die Prüfliste für das Haus vor: "Ist Garten vorhanden? Ist der Garten grün?" Der Garten war groß und breit und machte auf dem Bild einen schönen, floralen Eindruck. Die angepriesene Terrasse wie auch der Pool konnten wir ebenfalls identifizieren. Ich überlegte. "Gibt es weitere Häuschen auf dem Grundstück?" Auch nicht. Singulär und malerisch lag das Haus einsam da. Meine Tochter hatte inzwischen sogar einen Streetview-Blick von der Hauptstraße auf das Häuschen gefunden: Wunderschön verputzt, Rosenbüsche umrahmten den Garten, ein grüner Rasen ließ sich hinter den wohlgeformten Hecken erahnen.
"Was ist mit der Nachbarschaft? Diskotheken, Fabrikgebäude, Kläranlagen?" Wir starrten auf das Bild und prüften die Gegebenheiten. Im gesamten Umkreis lagen einzelne, kleine Häuschen, neben dem Cottage vor einer Szenerie von Äckern eine große landwirtschaftliche Halle, sowie große und lange Streifen von dunklen Flächen, die ich mit geübtem Auge sofort als Blumenbeete identifizierte.
Wir starrten uns an. Es sah aus, als ob wir einen Volltreffer gelandet hätten! Trotzdem, wir wollten auf Nummer sicher gehen. Auch die Checkliste für Spezialfälle wurde abgearbeitet: Flüsse (Hochwasser!), stehende Gewässer (Stechtiere!), Eisenbahnlinien (nächtlicher Lärm!), Pubs und Restaurants in sicherem Abstand?
Check! Meine Aufklärungseinheit hatte ganze Arbeit geleistet!
Wir buchten das Häuschen.
Tatsächlich war alles, wie wir es schon im Vorfeld ermittelt hatten.
Das wunderschön eingerichtete Cottage und der fantastische Garten waren eine echte Urlaubsfreude.
Und wenn die riesigen Güllegruben auf der nachbarschaftlichen Schweinefarm (ich hatte die offenen Behältnisse auf den Bildern für Blumenbeete gehalten) nicht gewesen wären, hätten wir während des Urlaubs sogar einmal durch Nase atmen und in unserem Häuschen auch etwas essen können.
Nächstes Jahr bleiben wir zu Hause.
Der Beitrag wurde am Montag, 25. Mai 2015 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Das Ferienhaus - meine Satire aus VorSicht 11/2015'
Teilen