Es leuchtet
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VorSICHT 12/2014


Jedes Jahr zur Weihnachtszeit stellt sich wieder die alles entscheidende Frage: Wir schmücke ich meinen Weihnachtsbaum?
Neben den möglichen Standardvarianten wie Naturbaum mit Strohsternbasisbeschmückung oder die exzessive Verwendung von Lametta, gibt es da noch die Grundsatzfrage über die Art der Beleuchtung: Elektro oder Kerze?


Einige Jahre lang hielten wir es mit der basisökologischen Fraktion der Echtkerzenverwender. Wunderbar duftende Bienenwachskerzen, die mit flackernden Licht des Wohnraum erhellen, süßlich anheimelnd duften und mit ihrer warmen Luft die an den Baum gehängten Sterne und Kugeln zum Schwingen bringen, geben den Weihnachtsfeiertagen einen ganz besonderen Flair.
Allerdings sollte man dabei die Kerzen besser nicht aus den Augen lassen, um ein Überschlagen der flackernden Flämmchen auf Baum und angehängtem Interieur zu vermeiden.
Ein paar kleinere Zwischenfälle sowie der deutliche Hinweis der Hausratsversicherung, dass brennende Objekte am Weihnachtsbaum als zeitgesteuerte Brandstiftung zu betrachten seien, ließen in uns den Entschluss reifen, zur Elektrofraktion überzutreten.
Allerdings nicht die Plastikkerzen in Echtgröße, sondern die zu diesem Zeitpunkt endlich auch in erschwinglichen Preisklassen zu bekommenden Elektrolämpchen im Miniformat. 50 oder 100 kleine Glühlämpchen erzeugen dabei winzige Lichtpunkte, die an Glühwürmchen gemahnten und im Wohnzimmer bei abendlich verdunkeltem Raum eine wunderbare Nachtstimmung verbreiten.
Allerdings neigen diese Lichterketten dazu, mitten im weihnachtlichen Beleuchtungsauftrag ganz oder teilweise auszugehen, weil wieder eines der Lämpchen durchgebrannt ist. Dann verbrachte der Autor dieser Zeilen viele Stunden, in der am Baum befestigten Lichterkette Lämpchen für Lämpchen auszutauschen, um den defekten Übeltäter zu identifizieren und dabei betont unchristliche Flüche von sich zu geben. Da schon im folgenden Jahr die Erinnerung verschwamm, wo denn die Ersatzlämpchen abgelegt worden waren, folgte in den folgenden Jahren der stete Kauf von neuen Lichterketten, um halb- und vierteldefekte Ketten zu ersetzen.
Und dann kam die LED.
Kleine, unempfindliche Halbleiterleuchten, die für einen jahrelangen unbeschwerten Einsatz gedacht sind.
Da die ersten dieser Ketten noch mit einem unangenehmen Blaustich in ihrem Kerzenweiß zu kämpfen hatten, dauerte es jedoch bis zur Marktreife des naturweißen Lichtes, bis ich mich zu einem Systemtausch entschloss. Beim Baumarkt meines Vertrauens gab es dieses Jahr die 300er-LED-Lichterkette zu einem durchaus akzeptablen Angebotspreis. Ich kaufte mir zwei der Ketten und begann mit dem Schmücken des neu gekauften Tannenbaumes.
Wie sich herausstellte, waren die kleinen LEDs sehr eng gesetzt, was es mir ermöglichte, jeden Ast des stattlichen Baumes mit vielen Lämpchen zu versehen. Es war jedoch überraschend, wie schnell die erste Lichterkette am Baum verschwand, und binnen kurzem war abzusehen, dass auch die zweite Kette es nicht schaffen würde, den im Wohnzimmer stehenden Baum komplett zu beleuchten.
Kurzentschlossen kaufte ich vier weitere Packungen des beleuchtungstechnischen Sonderangebots und brachte sie am Baum in Stellung.
Ich rief meine Frau.
„So, jetzt kommt der große Augenblick! Tausende kleiner Lichtchen, die wie Glühwürmchen zwischen den Ästen schweben und sich hundertfach in den Christbaumkugeln spiegeln. Ich schalte jetzt ein…“
Für einen kurzen Augenblick war ich überzeugt, dass die gleißende weiße Helle von einem nuklearen Erstschlag in unmittelbarer Nachtbarschaft stammen müsse. Rund 1.800 kleine LED Lämpchen warfen ihr blendendes Licht in die Umgebung. Ich schaltete den Baum wieder aus. Bunte Lichtpunkte tanzten vor meinen Augen, während ich mich blind zum Sofa tastete.
„Was war dass denn??“
Vorsichtig schaltete ich den Baum erneut an. Mit stark zusammengekniffenen Augen gelang es mir, jetzt auch wieder Einzelheiten im Raum zu erkennen. Der Baum selber waberte in einem gleißenden Licht, dass an die Supernovae in Galaxienkerne erinnerte.
„Du musst das irgendwie dimmen!“
Leider war dies mit den verwendeten Lämpchen nicht möglich. Als Alternative versuchten wir, nur einzelne der Lichterketten zu aktivieren. Der Effekt war seltsam. Ein Teil des Baumes bestand statt aus Ästen jetzt nur noch aus einem weißen Fleck, der auf der Netzhaut flammende Nachlichter erzeugte.
Um die Beleuchtung des Zimmers überhaupt wieder erträglich machen, verschoben wir unseren Weihnachtsbaum probeweise an den Rand der bodentiefen Terrassentüren. Nach Aktivierung des Baumes war der gesamte Garten in gleißendes, schattenloses Licht getaucht. Geblendete Eichhörnchen fielen aus den Büschen, Igel beendeten verwirrt ihren Winterschlaf, eine Katze aus der Nachbarschaft torkelte mit angesengtem Fell gegen einen Baum. Vögel stürzten aus den Wolken. Auf dem Rasen war der Schattenwurf einer Amsel in das Gras gebrannt. Von dem Tier selber fand sich keine Spur mehr.
Meine Frau starrte mich an: „Wir könnten die Lichter einfach auslassen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe 6 Stunden gebraucht, um die Dinger da dran zu kriegen. Da muss es eine Lösung geben!“
Die gibt es. Statt einer Weihnachtsfeier haben wir die Nachbarn zu einer Beachparty in unser Wohnzimmer eingeladen. Sonnenbrillen, Hawaihemden und Sonnenschutzfaktor 24 sind Pflicht. Die Caipirinhas werden von uns gestellt.

Frohe Weihnachten!
Der Beitrag wurde am Dienstag, 26. Mai 2015 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - VORSICHT abgelegt.
'Es leuchtet ! - Weihnachtssatire 2014 in der VorSicht'

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