Ich sage NEIN!
von Klaus Marion.
Veröffentlicht in VORSICHT 2/2008


Vorweg eine kleine Anmerkung: Diese Satire betrifft ein sehr regionales Thema. Es geht um die seltsame Tendenz, dass in den letzten Jahren fast alle Projekte in der Stadt Bad kreuznach durch schnell entstehende Bürgerinitiativen toddiskutiert werder - unter tatkräftiger Mithilfe regionaler Tageszeitungen, die jedem noch so abstrusen Protest eine Plattform bieten und sich als Vertreter von Volkes proteststimme sehen. Vielleicht wäre es Zeit, dass sich auch Journalisten darauf besinnen, dass sie über Nachrichten berichten sollen - und nicht sie selber zu machen...

In einer Zeit, in der sich Millionen von jungen Menschen an Internet-Online-Spielen beteiligen, war es dringend Zeit, dass für den einfachen Bürger eine vergleichbare Alternative angeboten wird, die auch ohne moderne Technik und horrenden Stundeneinsatz ein identitätsstiftendes und befriedigendes Gemeinschaftserlebnis erlaubt. Gott sei Dank ist so etwas seit einiger Zeit bei uns möglich. Aufgrund der immer weiter steigenden Beliebtheit und der Tatsache, dass "Ich sage NEIN!" bereits zur Nominierung als Spiel des Jahres vorgeschlagen wurde, möchte ich nicht versäumen, es auch dem geneigten Leser dieser Publikation vorzustellen

Ziel des Spieles
Aufgabe der Mitspieler ist es, in möglichst kurzer Zeit ein öffentliches oder privates Projekt zu Fall zu bringen. Dabei spielt die Notwendigkeit oder der Sinn des Projektes keine Rolle. Für das erfolgreiche Verhindern von Vorhaben werden dabei Punkte vergeben, wobei neben der benötigten Zeit auch die Höhe des notwendigen öffentlichen Drucks in die Berechnung einfließt. Neben diesen Pflichtpunktzahlen können Mitspieler auch Punkte in der Kür erhalten. Hierbei werden für besonders interessante oder hinterlistige Argumentationen zusätzliche Punkte vergeben.
Hinweis: sachliche Gründe oder Mehrheitsverhältnisse sind hilfreich, aber nicht notwendig!

Teilnehmer
Die Anzahl der Teilnehmer ist unbeschränkt, das Spiel kann jedoch auch als Solospiel gestartet und durchgeführt werden, was bei erfolgreicher Abwehr von Projekten mit einem Solo-Punktebonus belohnt wird. Eine zwanglose Teambildung ist jederzeit möglich, dazu genügt bereits ein kurzer Blickkontakt bei einer Bürgerversammlung oder die verbale Unterstützung eines anderen Leserbriefschreibers. Bei Gruppenspielen werden die Siegpunkte allen Mitspieler gutgeschrieben, für besonderes clevere Einzelleistungen werden individuelle Punkte vergeben (siehe Beispielspiel SPASSBAD und Punktetabelle).

Spielmaterial
Als Spielmaterial werden 1 aktuelle Tageszeitung mit Regionalteil benötigt, sowie für Leserbriefe Papier, Stift sowie 1 Briefumschlag. Für die Ausbauvarianten "Bürgerinitiative" sowie "Bürgerentscheid" wird zusätzliches Spielmaterial benötigt, das Basisspiel kann jedoch auch ohne diese Zusatzsets gespielt werden.

Die Spieleröffnung
Der Eröffnungszug erfolgt nach Bekanntmachung eines beliebigen Projektes im kommunalen Bereich durch öffentliche oder private Träger und besteht im Schreiben eines kritischen Leserbriefs. Beliebt sind als Anlässe dabei Ausweisung von Neubaugebieten (Ziegelgrube), verkehrsändernde Maßnahmen (Umgehungsstrecke Salinenstraße), Ansiedelung von Gewerbebetrieben (REWE-Markt) oder die wirtschaftliche Nutzung von ungenutzten Flächen (Reiterhof Kuhberg). Hinweis: In der Spiel-Variante "Ich sage IMMER NEIN" können auch beliebige Modernisierungen (Spaßbad) oder geplante Umbaumaßnahmen (Rathaus) als kritikwürdiger Anlass genommen werden.
Dabei kann der Leserbrief in den Eröffnungsvarianten "besorgt" ("Ist das Projekt auch wirklich durchdacht...?"), "sachlich" ("Ist der Verwaltung offensichtlich nicht bekannt, dass die Kosten...") oder "empört" ("...ist ein Schlag ins Gesicht ehrlicher Steuerzahler!") erfolgen.
Wichtig ist, nicht gleich am Anfang die stärksten Argumentationsvarianten zu wählen, damit nicht durch schnellen Projektabbruch die Möglichkeit verschenkt wird, weitere Argumentationspunkte zu sammeln.

Der Spielverlauf
Nach Abdruck des Leserbriefs und der erschreckten Reaktion der Betroffenen ist es unerlässlich, durch weitere Diskussionsbeiträge zusätzliche Argumentationslinien aufzubauen. Dabei können zusätzliche Bonuspunkte gewonnen werden, wenn regionale Tageszeitungen sich des eben geschaffenen Problems annehmen und sich als "neutraler Mittler" oder als Plattform des Bürgerprotestes präsentieren.
In dieser Phase ist es wichtig, durch Sammeln von Mitstreitern mit garantiert uneigennützigem Image zusätzliche Wertungspunkte zu bekommen. Diese sind dabei nach Schwierigkeit der Beteiligung gestaffelt: Protestierende Umweltschutzverbände geben 1 Punkt, Parteien beliebiger Couleur 2 Punkte, kirchliche Träger und Wohlfahrtsverbände 3 Zusatzpunkte.
Bitte beachten: der entstehende öffentliche Druck muss durch regelmäßiges Leserbriefschreiben ständig erhöht werden (5 oder 6 Schreiber sind für eine Kampagne völlig ausreichend!).

Wertungsgruppen:
Die Leserbriefe und ihre Wirkung werden nach Gruppen gewertet, wobei die verwendete Argumentation über die Höhe der Punkte entscheidet. Dabei können die Argumente auch ohne Bezug zur Realität ausgespielt werden. So kann die Behauptung "soziale Ungerechtigkeit" auch dann verwendet werden, wenn die angeführten Harz-4 Empfänger sowieso nicht die Zielgruppe des anzusiedelnden Unternehmens wären. Oder die Variante "Wir brauchen so etwas nicht!" ist auch dann gültig, wenn der Leserbriefschreiber für die Rentner spricht, aber die Nutzer des Ponyhofs zumeist minderjährig wären.
Immer erlaubt sind die Argumentationslinien "So was gab's ja noch nie!", "das ist nicht gut für die Umwelt", "das ist unbeschreiblich kulturlos" sowie "das Geld könnte man auch anderweitig viel besser ausgeben". Letzte Variante ist auch dann erlaubt, wenn es sich bei der Investition um völlig privates Investitionsgeld (siehe Spielvariante "HEUSCHECKEN") handelt.
Die Standard-Argumente "typisch Politiker", "Verschwendung von Steuergeldern" und "das ist undemokratisches Verhalten" sind erlaubt, bringen aber wegen ihrer Simplizität keine Zusatzpunkte.
Die rhetorischen Vermutungen von Ausländerhass, Frauendiskriminierung, Kinder- und/oder Seniorenfeindlichkeit sind erlaubt, werden aber wegen ihrer starken Wirkung und dem schnellen Abwürgen des Spieles als spielverderbend angesehen.

Joker
Folgende Joker sind erlaubt: a) Gründung einer Bürgerinitiative (20 Sonderpunkte, wenn diese für etwas ist, und nicht nur dagegen) b) Verlangen eines Bürgerentscheids (auch wenn dies rechtlich gar nicht möglich ist), c) Mahnwachen.
Achtung: Die Karten "Hungerstreik", "Rathausbesetzung" sowie "Strafanzeige gegen den Stadtrat" sind nur erlaubt, wenn das geplante Projekt nach 8 Wochen noch nicht abgesagt wurde und beenden das Spiel normalerweise sofort! Joker sind immer kombinierbar!

Spielende
Das Ende des Spieles ist erreicht, sobald ein Vertreter der Stadt oder der Investorengruppe öffentlich das Ende des Projektes bekannt gibt. Dann erfolgt die Abrechnung, wobei die Nennung von einzelnen Protestgruppen oder Personen als Beendigungsgrund mit Sonderpunkten für diese belohnt wird.
Nach der Gesamtabrechnung und der Punkteverteilung kann das Spiel jederzeit in eine neue Runde gehen.

Sonderregel für Experten
Sobald die Verwaltung entnervt das Projekt zurückgezogen hat und das verlange Ersatzprojekt publiziert, wird auch dieses neue Vorhaben umgehend in den Medien angegriffen. Dies kann beliebig lange fortgesetzt werden. Jedes zu Fall gebrachte Alternativprojekt wird dabei mit den doppelten Punkten zum Hauptspiel gewertet.

Viel Vergnügen!


Klaus Marion
Der Beitrag wurde am Sonntag, 2. März 2008 veröffentlicht und wurde unter dem Topic abgelegt.
'VORSICHT Satire Februar 2008'

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