Kurzgeschichten sind eine ganz besondere Sorte von Literatur: Kompakte Geschichten, verdichtet auf das Wesentliche. Die Kunst, mit wenigen Worten trotzdem große Dinge zu erzählen. Hier eine Sammlung meiner liebsten 100 Kurzgeschichten, von Science Fiction, über Krimi bis Horror. Alle ungewöhnlich. Alle lesenswert.
(Dabei verwende ich die Bezeichnung "Kurzgeschichte" in einer sehr weiten Definition : Siehe auch meine Einleitung )

Dieses mal eine Science Fiction Kurzgeschichte von 1977:

Harlan Ellison: Jeffty ist fünf
(englischer Originaltitel: Jeftfy is Five)
entnommen aus: Die besten Stories aus THE MAGAZINE OF FANTASY AND SCIENCE FICTION

Meine Wertung: Wertung: 5 von 5 Sternen

Für meine erste SF-Kurzgeschichte im Rahmen der 100 Titel wähle ich eine preisgekrönte Short-Story (1977 NEBULA-Award, 1978 HUGO-Award, 1999 LOCUS-Award "Best Short Story all Times) aus dem Jahr 1977.
"Jeffty ist fünf" ist eine Ich-Erzählung über den Nachbarjungen Jeff Kinzer, der sein Spielkamerad und bester Freund im Alter von 5 Jahren war. Und die erstaunliche und traurige Geschichte über die Tatsache, dass Jeffty in all den Jahren seines Lebens 5 Jahre alt blieb. Körperlich, mental, von seinen Interessen her.
Der Ich-Erzähler berichtet über das langsame Herausgleiten aus der Synchronität der Gleichaltrigkeit, während er selber älter und erwachsen wird, und der kleine Jeffty immer noch ein aufgeweckter 5-Jähriger ist, mit dem Interesse an Comics, Kinofilmen basierend auf Pulpgeschichten, und Radiohörspielen.
Und seiner Entdeckung, dass nicht nur Jeffty einfach "stehen geblieben" ist, sondern auch die Zeit um ihn herum. In seinem Beisein hören Sie neue Radiohörspiele aus Serien, die längst nicht mehr gesendet und produziert werden, sehen neue Kinofilme von Autoren, die schon lange tot sind, bekommen Gimmicks und Werbematerial von Produkten zugeschickt, die längst nicht mehr produziert werden.
Und so wird der Erzähler zum Erwachsenen, während er immer noch mit dem kleinen Jeffty befreundet ist, und gemeinsam verlieren sie sich in der Welt einer Kindheit, die für den Erzähler schon lange vorbei sein müsste.
Denn eigentlich ist die Geschichte die anrührende Beschreibung der Suche nach der eigenen Kindheit: "Damals, da kauften wir uns diesen tollen Comic". "Früher, da gab es noch diese super Fernsehserien!"
Es ist die melancholische Reminiszenz des Autors an die schöne und heile Welt seiner Kindheit, mit leckeren "Clark-Waffeln", mit täglichen Radiohörspielen, mit inzwischen längst nicht mehr erhältlichen Spielsachen.
Was die Geschichte so außergewöhnlich macht, ist die Virtuosität, mit der Ellison den Leser in seine persönliche Kindheit mitnimmt. Und wie es ihm gelingt, die Trauer der verlorenen Jugend dem Leser mitzuteilen, der doch weder diese Zeit noch den Kulturkreis erlebt hat.
Hrlan Ellison schafft es, mit tiefen Gedanken über Zeit, den Fortschritt und unser aller altern, mitsamt einem traurigen Ende der Geschichte, eine Saite in uns zum Klingen zu bringen. Ich war damals 17, und mich hatte diese Geschichte über unser aller verlorene Kindheit sehr berührt, obwohl meine Kindheit ja selber kaum vorbei war.
Einem Autor und einer Kurzgesschichte, der so etwas so virtuos gelingt, kann man kaum ein größeres Lob aussprechen. Absolut lesenswert!
Der Beitrag wurde am Montag, 26. November 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic 100 Kurzgeschichten abgelegt.
'100 Kurzgeschichten ~ Tag 2: Harlan Ellison - Jeffty ist fünf'

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