Das Paket
veröffentlicht in initiativ 2/2012


Es gab Zeiten, da war der Versand eines Pakets für den Geschäftsmann eine sehr einfache Sache: Man brachte das Paket zum Postamt, ein grummelnder Beamter nahm das Objekt entgegen, und eine nicht näher bestimmbare Zahl von Tagen später kam das versendete Paket mehr oder weniger komplett beim Empfänger an. Dafür bezahlte man einen streng festgelegten Preis. Keine Optionen, keine Flexibilität, keine zusätzlichen Leistungen. Heutzutage ist das glücklicherweise völlig anders…

Firmeninhaber Georg H. betrachtete nachdenklich das kleine Paket auf seinem Schreibtisch. Es war ein Geburtstagsgeschenk für seine Mutter, deren Festtag, wie er leider feststellen musste, sich schon am morgigen Tag jährte. Da er peinlicher Weise schon ihren Geburtstag im vergangenen Jahr vergessen hatte, war es ihm ein besonderes Anliegen, ein Geschenk pünktlich zu ihr nach Hamburg zu senden.
Er beschloss, sich in seiner Firma mit einem Fachmann zu beraten.
Unglücklicherweise war jedoch der für den Versand in seiner kleinen mittelständischen Firma verantwortliche Spezialist kurzfristig erkrankt, so dass er mit ihm kein Gespräch über die logistischen Möglichkeiten durchführen konnte.
Georg H straffte die Schultern und entschloss sich, die Problemlage offensiv durch einen direkten Besuch beim zuständigen Postamt anzugehen. In Zeiten moderner Dienstleistungen würde es sicherlich eine Lösung geben.
Der Mitarbeiter am Postschalter lächelte ihn auch freundlich und betont sachkundig an.
"Ein Päckchen bis Morgen? Das ist gar kein Problem! Geben Sie mal her."
H.s Optimismus erlitt jedoch einen Dämpfer, als der Mann feststellte, dass das zu versendende Objekt doch ein deutlich zu hohes Gewicht aufwies.
"Das tut mir leid. Das ist leider kein Päckchen mehr. Das müssen wir als Paket versenden!"
"Oh je. Das dauert doch erfahrungsgemäß Tage, bis das ankommt?"
Der Mann lächelte nachsichtig.
"Sie dürfen da nicht die schlechten Erfahrungen von früher ansetzen. Heutzutage ist Paketversand eine hochprofessionelle Dienstleistung. Selbstverständlich können wir auf Wunsch mit dem Overnight-Time-Tarif eine Zustellung bis spätestens Morgen Nachmittag garantieren! Das macht lediglich 8 Euro extra."
Georg H. war erleichtert. Dann dachte er erneut nach.
"Meine Mutter wird aber am Nachmittag nicht im Haus sein. Was machen wir denn da?"
Die Person hinter dem Schalter strahlte.
"Das ist schon gar kein Problem! Mit dem kostenpflichtigen Delivery-Service-High-Noon garantieren wir eine Zustellung bis 12 Uhr Mittags."
"Das heißt aber, dass die Zustellung irgendwann am Vormittag passiert. Keine genaue Uhrzeit?"
"Nein. Selbstverständlich haben wir für Geschäftskunden auch die Option des 10-Uhr-Service. Zustellung des Paketes bis garantiert 10 Uhr am morgigen Dienstag. Natürlich gegen eine Zusatzgebühr."
"Natürlich."
"Nun, gegen einen Aufpreis von weiteren12 Euro können wir auch zusätzlich die Auslieferung mit unserem Frühexpress garantieren: Späteste Zustellung 9 Uhr am Morgen!"
Georg H. atmete auf.
"Das ist genau das Richtige. Das nehme ich!"
Der Sachbearbeiter tippte am Bildschirm.
"Ich füge noch die Option der Wert-Transport-Versicherung hinzu. Ist der Inhalt zerbrechlich?"
"Ein Glasbriefbeschwerer"
"Da sollten Sie unbedingt noch unsere erweiterte kostenpflichtige Fragilitäts-Versicherung wählen. Sichert Ihnen vollständigen Schutz bei Bruch oder Zerstörung."
"Kann das Paket eigentlich verloren gehen?"
"Natürlich ist das nicht 100% auszuschließen. Mit unserem Internet-Verfolgungsservice sehen Sie jedoch jederzeit, wo sich ihr Paket gerade befindet. Mit dem Zusatzdienst Security-Express (kostenpflichtig) wird aber das Paket auf seiner gesamten Strecke durch einen vereidigten Wachmann beobachtet, bei Double-Security-Plus sogar von zwei Mitarbeitern, davon mindestens ein ehemaliger SEK-Beamter!"
"Und was ist bei Streik?"
"Da buchen Sie für Ihr Paket einfach die Safety-Delivery-Option: Im Falle von technischen Schwierigkeiten oder Streiks wird das Paket über Nacht per Taxi an den Bestimmungsort gebracht. Und mit dem zusätzlichen Bring-und-Sing-Tarif wird bei der Übergabe des Pakets vom Lieferanten eines von drei wählbaren Geburtstagsständchen dargeboten!"
Georg H. starrte auf den Gesamtpreis.
"Das ist ja teurer als das Geschenk selber. Soviel wollte ich aber nicht ausgeben!"
"Dann lassen Sie das Geschenk einfach weg! Durch das niedrigere Gewicht reduzieren sich die Versandkosten deutlich. Das gesparte Geld investieren Sie in unsere zubuchbare "Flower-Power"-Option: Da gibt es für den Empfänger noch einen Blumenstraß zum Paket extra! Und wenn Sie dabei noch die zusätzliche Frischegarantie ankreuzen, wird gegen einen zusätzlichen Obulus eine Mindestfrischezeit von 36 Stunden ab Zulieferung garantiert! Natürlich können wir auch zusätzlich noch die Option "Meine Geburtstagstorte" wählen. Hierbei wird ein lecker Kuchen…Hallo? Hallo! Wo wollen Sie denn hin…?"
Der Beitrag wurde am Freitag, 19. Oktober 2012 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren - initiativ abgelegt.
'Das Paket - Satire in initiativ 2/2012'

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