Ein trauriger Abend
von Klaus Marion.

WoK
© Klaus Marion Juni 2011


Am gestrigen Samstag wurde unser Freund, SF- und Fantasy-Fan Joachim begraben.
Viele Freunde waren gekommen, um den letzten Weg mit ihm gemeinsam zu gehen. Und um sich danach zusammenzusetzen und über ihn zu reden.


Das Licht war schon etwas heruntergedreht, die Musik spielte leise, die Gespräche waren gedämpft.
An einem Tisch im Hintergrund saßen noch ein paar Freunde unseres verstorbenen Freundes Jo zusammen und unterhielten sich. Die meisten waren inzwischen gegangen. Der ewige Amateur-Autor Frank Außenstein hatte das Schreiben auf seiner alten Schreibmaschine an dem Tisch im Hintergrund eingestellt und sich zu den anderen gesetzt, selbst Christian "Krischan" Holl, der bei freien Getränken seit Jahren mit der Bemalung der Kneipenrückwand mit einem lebensgroßen Flugdrachen beschäftigt war, hatte seine Arbeit unterbrochen und war offensichtlich bereit, nach jahrelangen Abstinenz mal wieder für seine Getränke selbst aufzukommen.
Ich hatte mich an die Bar verzogen.
Rudi goß mir einen blau schimmernden Cocktail ein. "Geht aufs Haus" brummte er. "Ist ein 'Asimov Bleue'. Hilft gegen Depression."
Er winkte einer Aushilfe kurz zu, dass er beschäftigt sei und setzte sich mir Gegenüber. "Gehts wieder?"
Ich seufzte. "Beerdigungen sind deprimierend. Besonders, wenn es ein langjähriger Freund ist." Ich nippte an dem Drink. "Hm, schmeckt gut." Ich seufzte.
"Rudi, mal ehrlich: Wo geht die Zeit hin? Wo gehen die Leute hin? Kanns das sein? Mit 48 Jahren? Bumm und Exitus? Ich meine, was bleibt von uns?"
Rudi blickte mich an. "Was denkst Du?"
"Ich? Ich weiß es nicht. Was bleibt von uns? Ja, wenn Du ein großer Autor warst, dann liest man Deine Bücher noch in 20 Jahren. Oder Du bist ein bekannter Herausgeber, den man noch lange vermisst. Aber der einfache Fan ist bald vergessen. Als SF-Fan bleibt von Dir nichts. Deine Fanzinesammlung wird entsorgt, Deine Bücher werden auf dem Flohmarkt zu Geld gemacht, und Deine Lieblingsromane, die so richtig verlesen und gebraucht sind, lassen sich nicht mal mehr verkaufen und kommen in die Tonne. Ich bin deprimiert. Mach mir noch so einen Drink hier."
Schweigend mixte Rudi mir gekonnt ein neues Glas, stellte er es vor mich hin und beugte sich bedächtig vor.
"Weißt Du, was das Wichtigste für einen guten Barkeeper ist? Den Leuten zuzuhören und gar nichts selber zu sagen. Die Antworten auf ihre Fragen liegen in den Leuten selber, und meine Aufgabe ist, dass sie sich trauen, sie auszusprechen. Das ist das Geheimnis eines guten Barkeepers."
Er seufzte.
"In Deinem Fall mache ich eine Ausnahme: Du bist ein Idiot!"
Ich starrte ihn an.
"Bist Du. Du erzählst Unsinn. Bloß weil Dein Name noch lange Zeit genannt wird, oder Du auf einem Buchdeckel stehst, heißt das noch lange nicht, dass Du Unsterblichkeit besitzt. Das ist nur Schall und Rauch! Mit Dir als Person hat das nichts zu tun. Das ist nur Tand."
"Mag sein..."
"Nein. Was Dir Unsterblichkeit verleiht, sind die Erinnerungen an Dich. An Dein Selbst. Wenn sich Freunde an Dich erinnern. Wenn ein Satz oder eine Handlung von Dir noch in 10 Jahren bei einem Freund ein Lächeln auslösen, und man das Gefühl hat: Ja, so hätte er das gesagt!. Das ist ein Hauch von Unsterblichkeit."
Ich dachte nach. "Okay, das verstehe ich. Aber das mit den Autoren, das ist so nicht ganz richtig..."
Rudi machte eine Handbewegung.
"Ich weiß, was Du sagen willst. Natürlich gibt es auch Autoren, die mehr sind, als nur Geschichtenerzähler. Sie sind selten, aber sie sind die Juwelen unter den Schreiberlingen. Diejenigen, die in ihren Büchern ihre Seele einfließen lassen. Bücher, bei denen Du das Gefühl hast, hier hat ein Mensch einen Teil seines Inneren mitgegeben. Seine Gedanken, Gefühle, seine Lebensweisheit. Sein Augenzwinkern. Nehmen wir mal Willi Voltz..."
"Okay, da sind wir einer Meinung. Ein Autor, bei dem in seinen Figuren und seinen Geschichten immer der Mensch Voltz sich widerspiegelte."
"Genau. Deswegen ist Willi manchmal auch hier."
Ich starrte Rudi an. "Äh, er ist schon eine Weile tot..."
"Natürlich. Doch manchmal, wenn sich viele Fans die Köpfe heiß reden, und das Thema auf die Perry Rhodan Serie kommt: Ja, dann sitzt er elegentlich dort hinten in der Ecke. Im Halbschatten, kanpp hinter der Säule. Und er lacht mit Walter Ernsting, beide trinken ein, zwei Runden. Dann scheinen sie einfach wieder zu gehen. Ich setze die Getränke dann auf den Deckel. Eines Tages werde ich ihn einlösen können."
Er seufzte.
"Schau mich nicht so an. Wenn ein SF-Fan in den Gedanken anderer wieder zum Leben kommen sollte, gibt es dann einen Ort, wo das wahrscheinlicher ist als gerade hier?"
Ich schüttelte den Kopf. "Unsterblich in unseren Gedanken. Vielleicht hast Du recht. Ich hab genug. Was kriegst Du?"
"Nichts. Das geht aufs Haus."
Ich winkte kruz den anderen zu, dann bewegte ich mich zur Treppe. Und für einen kurzen Moment, aus den Augenwinkeln, glaubte ich im Hintergrund der Bar mehrere Personen sitzen sehen. Sie prosteten sich zu, und für einen Moment hätte ich schwören können, dass einer von Ihnen Joachim war. Und er schien mir zuzuzwinkern.
Dann war das Bild verschwunden. Ich schritt die Treppe langsam nach oben.
Doch Rudi hat recht: Wenn es irgendwo einen Ort gibt, wo auch die verflossenen Fans auf einen Drink hereinschneien werden, dann ist es die Asimov-Keller-Bar.
Und dann werde ich Joachim einen ausgeben.


Asimov Bleue
1 Teil Curacao bleue
2 Teile Zitronensaft
8 Teile Gin

Im Shaker mit zerkleinertem Eis gut schütteln und dann in ein Cocktailglas seihen
Der Beitrag wurde am Sonntag, 5. Juni 2011 veröffentlicht und wurde unter dem Topic Satiren Asimov-Keller-Bar abgelegt.
'Neues aus der Asimov-Keller-Bar: Ein trauriger Abend'

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